Patti Smith

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Hingabe

Kurzgeschichte von Punk-Ikone Patti Smith

Als Musikerin hat Patti Smith Bekanntheit erlangt, dabei sah sich die heute 72-Jährige immer in erster Linie als Lyrikerin. 2010 veröffentlichte sie den Memoirenband "Just Kids" über ihre Beziehung mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe und gewann damit den National Book Award, jetzt kommt auf Deutsch ihr erster fiktionaler Text heraus.

Mittagsjournal | 16 05 2019

Lang dauerte Patti Smiths Ausflug ins fiktionale Erzählen nicht, zumindest was die Anzahl der Seiten betrifft, denn die Kurzgeschichte "Hingabe" nimmt nur gut sechzig der insgesamt knapp 140 Seiten des neuen Buches ein.

Eine Geschichte und ihre Entstehung

Und der andere Teil? Ja, genau der macht die Sache interessant, denn Patti Smith liefert hier zwei Berichte über die Frankreichreise mit, auf der ihre Kurzgeschichte entstanden ist: "Ich sollte eigentlich einen Essay über das Schreiben schreiben, keine einfache Aufgabe, weil sich schon so viele Schriftstellerinnen von Virginia Woolf bis Marguerite Duras über dieses Thema geäußert hatten. Deshalb versuchte ich, die verschiedenen Impulse zu zeigen, aus denen schließlich eine Geschichte wird."

Herkunft und Eislaufen

"Hingabe" erzählt von der sechzehnjährigen Eugenia, die als Säugling in Estland von ihren Eltern getrennt wird und mit ihrer Tante vor Stalins Schergen in die Schweiz flüchtet.

Heißt es im Text. Ihrer Leidenschaft kommt Eugenia auf einem zugefrorenen Teich nach, wo sie der viel ältere und wohlhabende Alexander beobachtet, der zu ihrem Liebhaber und Förderer wird.

Ein Teich aus Ham and Eggs

In den begleitenden Essays "Wie der Verstand funktioniert" und "Ein Traum ist kein Traum" beschreibt Patti Smith nun, wie sie mitten in Paris auf den Schauplatz ihrer Geschichte gestoßen ist: "Ich habe im Café de Flore Ham and Eggs bestellt und bekam sie in einer Pfanne serviert und musste bei dem Anblick an einen zugefrorenen Teich denken, auf dem Eisläufer ihre Kreise zogen. Der Teich meiner Heldin Eugenia wurde also aus Ham and Eggs im Café de Flore geboren, mit anderen Worten, man weiß nie, aus welcher Richtung die Inspiration kommt."

Buchcover

KIEPENHEUER & WITSCH

Die eislaufende Philosophin

Eugenia, die Hauptfigur, kam hingegen nächtens und aus zwei ganz unterschiedlichen Richtungen zu ihr, so Patti Smith: "Ich war in meinem Hotel, wachte auf und sah im Fernsehen diese russische Eisläuferin, deren Mischung aus Athletik und Ausdruckskraft einfach umwerfend war. Damals las ich auch gerade ein Buch über Simone Weil, die ich für ihren brillanten Geist bewunderte und da dachte ich mir, was, wenn ich diese beiden zu einer Figur verschmelze."

Zu Besuch bei Camus

Seit ihrer ersten Parisreise, die Patti Smith mit zwanzig unternahm, ist Frankreich ihr großes Sehnsuchtsland, was viel mit Smiths Leidenschaft für die französischen Literatur zu tun hat. So streift sie dieses Mal an der Statue Voltaires vorbei oder besucht Albert Camus‘ Haus in der Provence, wo sie zu ihrer Geschichte inspiriert wurde. Patti Smith: "Ich genieße es so, von Geschichte umgeben zu sein, die mehr einem Traum gleicht und mich inspiriert, weil ich einfach eine Romantikerin bin."

Eine hemmungslose Romantikerin ist Patti Smith sogar und deshalb ist es ihr auch völlig egal, wenn mal eines der Räder ihrer Geschichte kurzfristig im Kitsch versinkt, und auch als Leser nimmt man das interessanterweise gelassen hin, wahrscheinlich weil diese 72-jährige Punkerin so unbeirrt und schwelgerisch auf diesen silberstreifigen Romantikhorizont zusteuert, hinter dem alle Dingen noch diesen geheimnisvollen Zauber besitzen.

Service

Patti Smith, "Hingabe", aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit, Kiepenheuer&Witsch
Titel der Originalausgabe: "Devotion"

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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