Kino
Bauen und Wohnen im Kollektiv
Der Immobilienmarkt boomt. Das ist zwar gut für die Baubranche und für Investoren, die Wertsteigerungen verbuchen können. Doch für viele Menschen mit geringem oder keinem Eigenkapital bedeutet es auch, dass die Mieten in Ballungsräumen unerschwinglich werden. Auswege aus dieser Situation zeigt ein neuer Film auf, der heute Abend in Graz Premiere hat: "Der Stoff, aus dem Träume sind" stellt sechs selbstverwaltete, gemeinschaftliche Wohnprojekte vor.
18. Juli 2019, 02:00
Morgenjournal | 17 06 2019
Anna Soucek
"Gemeinsam geht mehr!"
Gerade in Zeiten von steigenden Mieten und rasant wachsenden Immobilienpreisen wird die Frage immer brisanter, wie leistbarer Wohnraum auf längere Sicht erhalten werden kann - und zwar nicht nur auf politischer Ebene, sondern im eigenen Umfeld. Selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen ist ein Konzept, das derzeit mit Baugruppen Aufschwung erhält, unterstützt durch den Umstand, dass bei großen Stadtentwicklungsgebieten, etwa dem Sonnwendviertel oder dem Nordbahnhof in Wien, Grundstücksflächen für solche Gruppen vorgesehen sind, die sich als Kollektiv organisieren, den Neubau als partizipativen Prozess planen und in dieser Form dann auch miteinander leben wollen.
Im Film zu Wort kommen die Initiatorinnen, die Architekten, die Bewohnerinnen - allesamt "sehr engagierte Menschen, die nicht zufrieden sind mit dem, was der Wohnungsmarkt bietet oder die mit den Wohnformen nicht einverstanden sind", meint Lotte Schreiber. Allerdings muss man es sich auch "leisten" können, sich einem solchen Projekt anzuschließen, gilt es doch, viel Zeit zu investieren in Arbeitsgruppen, Besprechungen und manchmal auch handwerkliche Tätigkeiten.
Kulturjournal | 17 06 2019 | Regisseur/innen Michael Rieper und Lotte Schreiber im Gespräch
Anna Soucek
STADTKINO FILMVERLEIH
Pionierzeit 1970er Jahre
Solch alternative Bauprojekte gehen zurück auf die 1970er Jahre, wie der Film "Der Stoff, aus dem Träume sind" von Michael Rieper und Lotte Schreiber veranschaulicht. Darin werden sechs Projekte porträtiert, die von der Idee des kollektiven Lebens und nachhaltigen Wirtschaftens getragen werden; darunter die Terrassenhaussiedlung Graz-St. Peter mit über 1.000 Bewohnerinnen und Bewohnern, das Projekt Kooperatives Wohnen in Graz-Raaba und die Ökosiedlung Gänserndorf. In diesen Pionierwohnbauten vollzieht sich gerade ein Generationenwechsel, sind doch viele der Initiatorinnen, Erbauer und Bewohnerinnen der ersten Stunde bereits ins Alter gekommen.
Mehrstöckiges Kinderzimmer
Das Wohnprojekt Wien wurde 2013 fertiggestellt: ein in Architekturkreisen viel beachtetes, jedoch äußerlich unauffälliges Haus mit Holzfassade am Gelände des Nordbahnhofes. Die rund vierzig Wohnungen sind hier nicht im Eigentum ihrer Bewohner, sondern des Vereins, dem alle Mieterinnen angehören.
Die individuellen Wohnflächen sind kleiner gehalten, dafür gibt es viele gemeinschaftliche Räume; es braucht nicht jedes Kind sein eigenes großes Spielzimmer, wenn alle gemeinsam im ganzen Stiegenhaus spielen können, so ein Gedanke dieses partizipativ geplanten Bauwerks. Ausgestattet ist das Wohnprojekt Wien auch mit zwei Solidaritätswohnungen, die zu günstigen Mieten an bedürftige Familien vergeben werden.
Häuser mit Bestand
Das Wohnen im Kollektiv bedarf nicht unbedingt eines Neubaus. Doch was tun, wenn die Wohnungen am Markt zu teuer sind? Man kann zum Beispiel ein ganzes Wohnhaus vom Markt freikaufen, die Vermietung über einen Verein organisieren und die Einnahmen wieder in neue gemeinschaftliche Projekte stecken. Das hat das Projekt Willy*Fred in Linz gemacht. Ein Wohnhaus in der Innenstadt, errichtet in den 1930er Jahren, wurde von einer Gruppe Gleichgesinnter über Bankkredite und Privatkredite erworben.
Die rechtliche und organisatorische Grundlage dafür bietet ein Modell, das langfristig leistbaren Wohnraum und Raum für Initiativen schaffen will. In Deutschland funktioniert diese Beteiligungsgesellschaft mit Namen "Miethäuser Syndikat" bereits seit über zwei Jahrzehnten, und in Österreich wurde das gleiche Modell unter dem Namen "Habitat" eingeführt. Die von diesen Gruppen erworbenen Häuser sind für immer dem Immobilienmarkt entzogen und somit keine Spekulationsobjekte mehr.
Einfamilienhaus ohne Zukunft
"Ich kann teilen, ich kann ausziehen, woanders einziehen, ohne Besitzverhältnisse zu ändern - wenn man es sich genau anschaut, spricht kein einziges Argument für privates Eigentum. Mit Ausnahme der privaten Wertschöpfung", sagt Michael Rieper. Mit dem Film "Der Stoff, aus dem Träume sind" wollen Rieper und Schreiber Alternativen zum Einfamilienhaus aufzeigen, das immer noch als liebste Wohnform der Österreicherinnen und Österreicher gilt. Obwohl es volkswirtschaftlich unhaltbar ist, Ressourcen und Grünland verschlingt und relativ wenig flexibel auf die sich ändernden Lebensumstände reagieren kann, wie zahlreiche nach Scheidungen leerstehende Neubauten verdeutlichen.
Service:
- Die Premiere in Graz am Montag, den 17. Juni 2019, im KIZ RoyalKino beginnt um 18:30 Uhr - am Dienstag folgt eine Vorführung im Stadtkino im Künstlerhaus Wien.
- Stadtkino Wien - Der Stoff, aus dem Träume sind
- Der Stoff
- Willy*Fred
Gestaltung
- Anna Soucek