Sebastian Pass

LUPISPUMA.COM/VOLKSTHEATER

Bearbeitung von Franzobel

Doderers "Merowinger" im Volkstheater

Nach dem Theater in der Josefstadt, das letzte Woche mit der "Strudlhofstiege" eröffnet hat, zeigt auch das Wiener Volkstheater eine Bearbeitung von Heimito von Doderer: "Die Merowinger oder Die totale Familie". Diesen Auftakt zu ihrer letzten Spielzeit inszeniert die Volkstheater-Direktorin Anna Badora selbst.

Kulturjournal | 11 09 2019 | Gespräch mit Anna Badora

Gernot Zimmermann

Morgenjournal | 11 09 2019

Gernot Zimmermann

Peter Fasching, Nestroy-Preisträger im vergangenen Jahr für den Nachwuchs, ist als Baron Childerich III. von Bartenbruch zu erleben - ein später Nachfahre der Merowinger in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, der im Zentrum von Doderers Roman "Die Merowinger oder Die Totale Familie“ steht. Er wird von Wutanfällen gerüttelt und geschüttelt, die nur der Psychiater Dr. Horn mit diversen abstrusen Instrumenten wie der Nasenzange, dem Wutmarsch oder dem Wuthäuschen in den Griff bekommt.

Wut und Egomanie

Anna Badora hat, wie sie Doderers 1962 erschienenes Buch zum ersten Mal las,von der Vielfalt der Handlungsstränge und Geschichten "Kopfweh bekommen, aber was mich gleich gepackt hat, war der Umgang mit der Wut. Neben der riesigen, diktatorischen Egomanie des Childerich, ist die Wut das Thema, und das hat mich für das Buch entzündet."

Peter Fasching, Bernhard Dechant

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Franzobel als Bearbeiter für Doderer

Und dann hatte Badora die Idee, den vielbeschäftigten Autor Franzobel um eine Bearbeitung des Romans für das Theater zu gewinnen. Franzobel kenne sich aus bei Doderer und schätze Doderer. Und er habe den Roman für heute umgesetzt. "Und wir spüren den Puls der Zeit da drin, hoffe ich sehr", sagt Badora.

Aber man spürt in Franzobels Fassung auch die Gespenster des Totalitarismus, mit denen sich Doderer in seinem Roman humorvoll auseinandersetzt. In den sogenannten Wutmärschen hört man den Gleichschritt des Dritten Reiches und Franzobel hat einiges aus Doderers Biografie einfließen lassen.

Ende Childerichs

Mit Childerich nimmt es ja kein gutes Ende. Er, der durch diverse Verheiratungen und Adoptionen selbst zur totalen Familie werden will, das heißt sein eigener Vater, Großvater, Oheim und Neffe und so fort ,wird von seinem Hausmeister Pippin, dem Karolinger, am Ende geschlagen, kommt in die Zwangsjacke, entsagt seinem unsagbaren Reichtum und zieht mit seinem Hofzwerg in eine Zweizimmerwohnung. Dort hat er das Vergnügen, seine Nachbarin zu schlagen, die dieses Vergnügen auch ihrerseits verspürt und nach den Watschen giert.

Heimito von Doderers 1962 erschienener Roman - damals war er am Zenit seines Ruhms - verblüffte und erstaunte die Zeitgenossen und er tut es bis heute. Selbst gibt er sich am Ende als Figur des Dr. Döblinger zu erkennen, eine Schriftstellerfigur, die eine besondere Vorliebe fürs "Plombieren" hat, also für handfeste Auseinandersetzungen.

Besorgter Blick in die Zukunft

Franzobel setzt auf kurze prägnante Szenen, die bei Anna Badora in einer abstrakten Bühnenarchitektur wie am Schnürchen abrennen. Dabei hieß es natürlich vieles weglassen, was in diesem grotesken Roman auch noch mitspielt. Im Roman outet sich der Dr. Döblinger am Ende als Autor der ganzen Geschichte, und dabei ist die Rede von einem "Mordsblödsinn". Nicht so bei Franzobel und Badora. Sie schließen mit einem besorgten Blick in die Zukunft.

Freier Umgang mit Doderer

Franzobel geht in der Aufführung am Wiener Volkstheater sehr frei mit der Vorlage um, und so fallen viele Worte, die im Original keineswegs auftauchen bis hin zum Reizwort Ibiza. Ob das den Doderer-Siegelbewahrern gefallen wird, darf mit Spannung erwartet werden. Jedenfalls sind die "Merowinger" am Wiener Volkstheater eine Reise auf den Kontinent Doderer, die sicher so manchen animiert, sich das Original zum ersten Mal oder noch einmal vorzunehmen.