Navid Kermani

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Literatur

Die Reden von Navid Kermani

Navid Kermani, einer der einflussreichsten deutschen Intellektuellen, hat als Wissenschaftler u.a. eine Studie über islamische Selbstmordattentäter verfasst, als Reporter hat er die Krisenregionen dieser Welt bereist, als Romancier einen 1.200-Seiten-Roman geschrieben, und: Kermani ist ein glänzender Redner, der die öffentliche Rede zu einer Kunst gemacht hat. Das kann man jetzt in seinem neuen Buch, "Morgen ist da", nachlesen: einer Sammlung seiner bedeutendsten Reden aus den vergangenen 20 Jahren.

Morgenjournal | 12 11 2019

Kristina Pfoser

Es sind Reden über Gott und die Welt, über Europa und den Nahen Osten, die Liebe und den Tod, die Religionen und Literaturen der Welt und den 1. FC Köln, Reden in denen es Navid Kermani mit schöner Regelmäßigkeit gelingt, sein Publikum in den Bann zu ziehen - einmal versöhnend, ein anderes Mal wütend und immer wieder auch die Regeln ignorierend, die bei den diversen Anlässen gelten. Darauf angesprochen meint Navid Kermani: "Das höre ich gern." Und das gilt auch für seine Zuhörer und Zuhörerinnen.

Kulturjournal | 12 11 2019 | Navid Kermani im Gespräch

Kristina Pfoser

Keine Angst vor Widerspruch

Anno 2005 hat sich Navid Kermani als Festredner zum 50-Jahr-Jubiläum der Wiedereröffnung des Burgtheaters mit dem großen Thema Fluchtbewegungen auseinandergesetzt und vorweggenommen, was zehn Jahre später passierte. Und zehn Jahre später griff Navid Kermani als Festredner im deutschen Bundestag das Thema wieder auf - in seiner viel beachteten Rede zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes kritisierte er die deutsche Asylgesetzgebung scharf.

Was Navid Kermanis Reden auszeichnet, das ist so etwas wie ein Leitmotiv - er hat offensichtlich keine Angst vor Widerspruch.

Hassreden im Netz

"Ich möchte doch ins Herz treffen", sagt Kermani, "einen Stich versetzen. Da geht es nicht um billige Provokation, sondern darum, dass ich bei meinen Zuhörern eine Tür öffne. Ich überlege, wo ist eine Bewegung möglich, in den Herzen und Köpfen."

Wie Widerspruch artikuliert wird, das wird aber mehr und mehr zum Problem, stellt Navid Kermani fest. "Ein öffentliches Wort ist keine Stammtischrede. Beleidigungen und Bedrohungen - das ist im Internet mittlerweile gang und gäbe. Jeder Müll wird da rausgebrüllt und man macht sich offenbar gar keine Gedanken, welche katastrophalen Folgen das für die Betroffenen hat, die gar nicht einschätzen können, ob sie real bedroht werden."

Meinungsfreiheit?

"Deutsche sehen Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit eingeschränkt", das hatte unlängst die deutsche Tageszeitung "Die Welt" getitelt, und eine Studie zitiert, laut der sich die Mehrheit der Deutschen in der Öffentlichkeit nur vorsichtig äußert. Navid Kermani hält dagegen: "Im Augenblick macht mir viel mehr Sorge die Enthemmung der Meinung." Und die zunehmende Polarisierung, die zu beobachten sei, das sei ein weltweites Problem.

Buchcover

C.H. BECK

Die letzten Unterschiede

"Einerseits rücken wir in einer globalisierten Welt immer näher zusammen, die Alltagswelten werden immer ähnlicher, mit den gleichen Marken, die man einkauft, den gleichen Idealvorstellungen, wie ein Leben aussehen sollte, und zugleich werden die Gegnerschaften immer größer. Ich glaube, das eine hängt mit dem anderen zusammen. Je gleicher wir werden, desto größer ist der Bedarf, die letzten Unterschiede zu markieren." Und Navid Kermani fügt hinzu: Statt über Meinungsfreiheit sollten wir vielmehr über Diskurskultur reden.

Service

Navid Kermani, "Morgen ist da - Reden", (C.H.Beck)

Am 12. November präsentiert Navid Kermani sein Buch im Wiener Akademietheater. Beginn ist um 20 Uhr.

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