Ian McEwan

AP/zz/KGC-107/STAR MAX/IPx

Ian McEwan meets Kafka

"Die Kakerlake" - Ian McEwans Brexit-Roman

Franz Kafka lieferte die Initialzündung zu einem Schnellschuss von Ian McEwan. McEwan, einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren des englischen Sprachraums, hat erst vor ein paar Monaten in "Maschinen wie ich", einem umfangreichen Roman über Künstliche Intelligenz, die Geschichte des 20. Jahrhunderts umgekrempelt. Jetzt hat der Europa-Anhänger und vehemente Brexit-Gegner eine böse Satire auf die britische Gegenwart, konkret auf den Brexit geschrieben.

Wer hier an Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" denkt, liegt nicht ganz falsch: "Als Jim Sams, klug, doch beileibe nicht tiefgründig, an diesem Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in eine ungeheure Kreatur verwandelt." Mit diesem Satz beginnt Ian McEwan seinen Roman und die Ähnlichkeit von Jim Sams mit Gregor Samsa kommt nicht von ungefähr.

Morgenjournal | 27 11 2019

Kristina Pfoser

"Ich war selbst überrascht", sagt Ian McEwan. "Ich hatte nicht vor, so ein schnelles Buch zum Brexit zu schreiben, ich dachte auch, das Thema ist dafür viel zu komplex. Aber dann parodierte ich die ersten Sätze von Kafkas Verwandlung und ein Absatz führte zum nächsten … Ich war total gefesselt von dieser kurzen Geschichte."

Ian Mc Ewans Satire "Die Kakerlake" ist bei Diogenes erschienen.

Im Land des "Reversalismus"

Jim Sams Schicksal allerdings geht in die umgekehrte Richtung: Da wird nicht ein Mann in ein Ungeziefer verwandelt, die Kakerlake wird zum Menschen und nimmt die Gestalt des britischen Premierministers an. Und der ist wild entschlossen, zwar nicht den Brexit, aber einen britischen Sonderweg umzusetzen: den so genannten "Reversalismus", eine Umkehr des Geldkreislaufs. Das heißt, für Einkäufe werden die Briten bezahlt, arbeiten kostet.

In gewissen Momenten habe er den Eindruck gehabt, dass die Realität die Satire bei weitem übertreffe, meint Ian McEwan, "zum Beispiel als ich meinen Kakerlaken-Premierminister erstmals vor dem House of Commons auftreten ließ. Dazu habe ich mir Boris Johnsons Mission Statement angesehen und dachte: Ich kann es nicht besser."

Der Brexit als Religion

Der Brexit als Projekt sei eine Art Religion, "etwas Mystisches, es werden keine ökonomischen Argumente mehr vorgebracht, es gibt auch keine ökonomischen Argumente, ich kann kein einziges Argument erkennen, das für einen Brexit spricht, außer einen Blut-und-Boden-Mystizismus."

Schon vor der Brexit-Abstimmung hatte Ian McEwan für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben und zuletzt verzweifelt für ein zweites Referendum plädiert. Auf seiner Website schreibt er jetzt: "Wenn Minister schamlos lügen wie einst die Sowjetführer, wenn Brexiters in hohen Positionen die Katastrophe eines No-Deals geradezu herbeiflehen - dann muss ein Schriftsteller sich fragen, was er tun kann. Es gibt nur eine Antwort darauf: schreiben."

Schwacher Stoff oder fein gearbeitete Prosa?

Die britische Kritik verhielt sich zu dem Buch jedenfalls wie die Bevölkerung zum Brexit - gespalten. Ein "ziemlich schwacher Stoff" meinten die einen, die anderen freuten sich über die "fein gearbeitete Prosa", die eine gewisse Erleichterung bietet von einer politischen Farce.

Service

Ian Mc Ewan, "Die Kakerlake", aus dem Englischen von Bernhard Robben, Diogenes. Originaltitel: "The Cockroach"

Übersicht