CHRISTOPHER HELLERICH
Hörbilder
Das Mädchen, das vom Himmel fiel
Die abenteuerliche Überlebensgeschichte von Juliane Koepcke. Dieses Feature von Renate Maurer wurde bei den New York Festivals International Radio Awards mit Gold in der Kategorie "Documentary/Heroes" prämiert.
20. Juli 2020, 12:00
JUAN ALFONSO ZAPLANA RAMIREZ
Ein Passagierflugzeug der peruanischen Linie LANSA gerät in ein Gewitter, bricht noch in der Luft entzwei und stürzt in den Urwald. An Bord sind auch die 17-jährige Juliane und ihre Mutter. Das Mädchen überlebt.
Sie wollte unbedingt noch beim Abschlussball der elften Klasse ihrer Schule in Lima dabei sein, deshalb überredete sie ihre Mutter, erst am 24. Dezember 1971 nach Pucallpa zu fliegen. Über die Abstürze der peruanischen Linie LANSA kursierten bereits Spottverse: "LANSA se lanza de panza", "LANSA landet auf dem Bauch". Aber es gab keine anderen Flüge mehr.
Kurz vor der Landung geriet die Maschine in ein Tropengewitter und brach, vom Blitz getroffen, in der Luft auseinander. Aus 3.000 Metern Höhe stürzte Juliane Koepcke, angeschnallt an ihren Sitz, in den Regenwald und überlebte - als Einzige der 92 Passagiere. Unter den Toten war auch ihre Mutter.
Elf Tage im Dschungel
Sie schaffte es, im Urwald am Leben zu bleiben. Ohne Brille, mit nur einer Sandale und einer Packung Fruchtbonbons schlug sie sich durch den Dschungel. Nach elf Tagen wurde sie von Holzfällern gerettet.
Juliane Koepckes Eltern, Maria und Hans-Wilhelm Koepcke, beide deutsche Zoologen in Lima, die Mutter Ornithologin, hatten ihre Tochter von klein auf mit den Stimmen des Regenwalds vertraut gemacht, mit seiner Gefährlichkeit und Nichtgefährlichkeit. 1968 zogen sie mit ihrer Tochter mitten in den Urwald und gründeten die biologische Forschungsstation Panguana. Juliane war damals 14. In den eineinhalb Jahren hier wurde sie ein richtiges Dschungelkind.
JUAN ALFONSO ZAPLANA RAMIREZ
Ein Polizist, Juan Alfonso Zaplana Ramirez, Militärarzt und Leiter der Suchaktion, Leutnant der Guardia Civil und ein Zivilist.
Beim Leiter der Suchaktion
Juan Alfonso Zaplana Ramirez, zur Zeit des Absturzes ein junger Militärarzt in Pucallpa, musste am Weihnachtstag 1971 die Suchaktion nach den Vermissten leiten; alle höheren Offiziere der Garnison waren bereits zu ihren Familien abgereist.
Acht Tage lang wurde mit Hubschraubern und einer Patrouille am Boden vergeblich nach den vom Urwald Verschluckten gesucht. Erst durch Juliane Koepckes Rettung Anfang Jänner 1972 und ihren Angaben fand man die Wrackteile des Flugzeugs und die Überreste der Toten. Der Arzt fand auch die Dreiersitzbank, auf der die junge Frau gesessen war, und den Stoffbeutel ihrer Mutter mit Aufnahmen von Vogelstimmen, den er ihrem Vater überbrachte. Beim Besuch der Autorin in Lima zeigt Juan Ramirez auch Fotos von der Absturzstelle, die er erst vor Kurzem wiedergefunden hat, und noch ein anderes Fundstück, eine wirkliche Überraschung ...
Von Werner Herzog verfilmt
Nach der wundersamen Rettung des deutschen Teenagers belagerten Horden von Journalist/innen Koepckes Krankenstation in der Urwaldsiedlung Yarinacocha. Hans-Wilhelm Koepcke vereinbarte ein Exklusivinterview mit dem "Stern"-Magazin, was die Verfolgungsjagd der Presseleute auf seine Tochter nur noch befeuerte.
Julianes Vater versteinerte in seiner Trauer. Beide konnten nicht weinen, von Trauma sprach damals niemand. Wenige Monate nach dem Unglück schickte Hans-Wilhelm Koepcke Juliane zu ihrer Tante nach Kiel. Jahrzehntelang konnte sie die schrecklichen Erlebnisse rund um den Absturz nur begreifen, nicht fühlen. Erst mit den Dreharbeiten zum Werner-Herzog-Film "Wings of Hope" an der Absturzstelle 1998 und mit der Veröffentlichung ihres Buchs "Als ich vom Himmel fiel" 2011 begann sich ihre emotionale Taubheit langsam zu lösen.
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AFP/ERNESTO BENAVIDES
In den Fußstapfen der Eltern
Juliane Koepcke studierte Biologie und leitet heute die Bibliothek der Zoologischen Staatssammlung in München. Im Frühjahr und Herbst aber kümmert sie sich jeweils für ein paar Wochen um die Forschungsstation Panguana in Peru. Sie hat dafür gesorgt, dass die Station und der Regenwald ringsherum wachsen konnten, von knapp zwei auf 14 Quadratkilometer. 2011 wurde ein großer Teil des Geländes zum privaten Naturschutzgebiet erklärt. Der Wald hat sie einst gerettet - jetzt rettet sie ihn.
Text: Renate Maurer