Friederike Mayröcker

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

"Ich lebe nur in Sprache"

Friederike Mayröcker zum 95. Geburtstag

Am 20. Dezember wird die österreichische Schriftstellerin Friederike Mayröcker 95 Jahre alt. Wie wenige andere hat sie mit ihrer Lyrik und experimentellen Prosa, mit Hörspielen und Bühnentexten die Nachkriegs-Avantgarde und nachfolgende Generationen geprägt. Ihr eben fertiggestellter neuer Text erscheint im Spätsommer bei Suhrkamp.

Zum Interview kommt Friederike Mayröcker ins Wiener Funkhaus. In ihrer Schreibwohnung will sie nicht mehr empfangen. Zu hoch, meint sie, seien dort mittlerweile die Papierstapel. Die mit Notizen, Manuskripten und Briefen übersäte Wohnung ist heute legendär, die stets schwarz gekleidete Schriftstellerin genießt Kultstatus - obwohl, oder gerade auch weil ihre Texte alles andere als leichte Kost sind.

"Man muss es über sich ergehen lassen als Leser", so Mayröcker. "Manchmal kommt man vielleicht drauf, dass es ganz nett ist zum Lesen, und manchmal schmeißt man’s vielleicht in eine Ecke und schaut’s nicht mehr an."

Proeme

Tatsächlich hat Friederike Mayröcker durch ihre völlig neue Art des Schreibens über die Jahrzehnte eine große Zahl an Verehrern um sich geschart und die höchsten Auszeichnungen erhalten. Erst in den letzten Wochen hat die Schriftstellerin ihr jüngstes, und wie sie sagt, auch letztes Manuskript fertiggestellt - und selbst hier die Suche nach neuen Formen nicht aufgegeben.

"Ich schreibe jetzt Proeme. Nicht Poeme, sondern Proeme. Das ist ein Zwischending zwischen Prosa und Lyrik, und ich bin ganz besessen von dieser Vorstellung, Proeme zu schreiben."

Besessen vom Schreiben generell war Friederike Mayröcker schon von frühester Jugend an. Ein Schlüsselerlebnis habe sie als siebenjähriges Kind gehabt, schildert sie, als sie bei einem ihrer heißgeliebten Sommeraufenthalte in Deinzendorf mit Mundharmonika am Brunnen saß - und auf einmal wusste, was Schreiben ist.

„Plötzlich war es da“

"Ich weiß nicht, wie das zugegangen ist. In der ganzen Familie und auch rundherum war niemand, der gedichtet, also geschrieben hat. Plötzlich war es da. Und ich hab mir immer gewünscht, dass es bleibt."

Ihre ersten Gedichte veröffentlichte Mayröcker 1946 in der Literaturzeitschrift "Plan". Andreas Okopenko brachte sie in Kontakt mit der Wiener Gruppe um H.C. Artmann und Gerhard Rühm. 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, der bis zu seinem Tod im Jahr 2000 ihr "Hand- und Herzgefährte" war, wie sie es ausdrückt - von dem sie aber auch einiges trennte.

"Er hat auch mit sehr viel Humor gearbeitet, was ich nicht gemacht hab. Am Abend bin ich zu ihm gegangen - weil wir haben ja auch nicht zusammen gewohnt - und hab mir dann von ihm vorlesen lassen, was er während des Tages gemacht hat."

Die Papierstapel in Jandls und auch Mayröckers früheren Schreibwohnungen dürften sich bald lichten: Denn die Österreichische Nationalbibliothek hat vor kurzem einen Teilvorlass der Schriftstellerin übernommen - um ein bedeutendes Stück Literaturgeschichte für die Nachwelt aufzuarbeiten.

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