AMNESTY INTERNATIONAL
Hörbilder
Foltergefängnis Saydnaya - eine Maschine, die Seelen tötet
Das in den Bergen von Damaskus gelegene Militärgefängnis Saydnaya gilt als Todesfabrik. Zehntausende werden dort systematisch gebrochen und getötet. Da sie nichts sehen dürfen, tragen Geräusche die Erinnerungen der Überlebenden. Wie macht man ein Radiofeature über den schlimmsten Ort der Welt?
27. Jänner 2020, 02:00
Saydnaya ist ein Ort, den Überlebende beschreiben als „einzigartige Maschine, die nicht nur Fleisch schneidet, verbrennt und schmilzt, sondern die auch Seelen tötet“? Ein Ort, den Human Rights Watch charakterisiert als „schwarzes Loch, von dem keine Bilder existieren“? Wo Gefangene „unter brutal exekutierter Stille in totaler Finsternis gehalten werden“, auf den Knien, nackt, den Kopf gegen die Wand gerichtet? Wo bis zu 20.000 Menschen zu Tode gefoltert und exekutiert wurden?
Eine geistige Kartografierung
Im syrischen Foltergefängnis Saydnaya erkennen die Inhaftierten Wärter/innen an ihren Schritten, Folterinstrumente an ihrem Lärm, Räume an ihrem Echo. Das Hören wird zum wichtigsten Faktor des menschlichen Sensoriums. Es ermöglicht eine geistige Kartografierung der Umgebung und ihrer Risiken, entscheidet mitunter über Leben und Tod. Weil der Schall als wichtigster Botenstoff der Erinnerung funktioniert, erscheint es nur logisch, mithilfe der Überlebenden eine akustische Rekonstruktion von Saydnaya zu versuchen.
JONAS ROEMMIG
Aufnahmen im Stasi-Gefängnis
Das Feature wurde im Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen aufgenommen. Das sogenannte U-Boot ist der älteste, unterirdische Trakt des Gefängnisses und wurde vom sowjetischen Geheimdienst noch zur Folter genutzt. Dort unten inszeniert ein Geräuschemacher in einer leeren Zelle die Geräusche von Saydnaya: Schritte, Metallschüsseln, Stöcke, Ketten. Im Dialog mit den Überlebenden wird das „schwarze Loch“ Saydnaya auf diese Weise Geräusch für Geräusch erfahrbar gemacht, werden die routiniert stattfindenden Praktiken systematischer Unterwerfung über ihren Ton sukzessive erschlossen. Wie klingt und funktioniert die Trauma-Maschine Foltergefängnis? Was passiert mit den Menschen, die sie erleben?
Wahrheit ist eine Schnittmenge
Die Beschreibung von Folter bleibt am Ende immer nur eine Annäherung und ihre klangliche Nachahmung eine Anmaßung. Eine Rekonstruktion sollte nachvollziehbar und eine nüchterne, forensische Distanz erhalten bleiben. Als Inspiration dient das Projekt „Inside Saydnaya“ von Forensic Architecture, welches im Auftrag von Amnesty International entstand. Es wird deutlich, dass die „Wahrheit“ über solch einen Nicht-Ort immer nur die Schnittmenge verschiedener Stimmen sein kann. Oder wie es ein Überlebender in Königreich des Schweigens ausdrückt: „Das Gedächtnis ist in solch extremen Situationen kein guter Zeuge.“
Abu Omars verwüstete Seele
In Paris interviewte ich einen makellos gekleideten Syrer, der in internationalen Medien gefeiert wird als migrantische Erfolgsstory. Er inszeniert seine Fluchtgeschichte als Hintergrund für einen einzigartigen Aufstieg zum Chefkoch. Doch der junge Mann mit den nervösen Augen trägt ein Geheimnis in sich, das seine „Seele verwüstete“. Er ist der erste Häftling seit der Revolution, der Saydnaya von innen gesehen hat, überlebt hat und auch darüber spricht.
Abu Omar schaffte es, durch Bestechung zum Funktionshäftling aufzusteigen. Danach war er in der Lage, sich als Essensträger frei im Gebäude zu bewegen. In Königreich des Schweigens bricht er zum ersten und einzigen Mal sein Schweigen. Für seine Kollaboration bezahlte Abu Omar er einen hohen Preis. Unter eben diesem Pseudonym erzählte er mir auch, dass er heute seine kleinen Kinder verprügelt: „In meinem Inneren ist ein Monster gewachsen.“
Warum wird in Saydnaya gefoltert?
Die Antwort scheint nahe zu liegen: um Informationen über die Opposition zu erpressen, aus Sadismus, aus Rache. Die meisten Überlebenden sind sich jedoch einig, dass diese Faktoren nicht ausreichen, um die staatliche Strategie zu verstehen, die hinter der massenhaften Traumatisierung von Opposition und unbeteiligter Zivilbevölkerung steckt. Einerseits sind traumatisierte Menschen oft für immer in einem selbstzerstörerischen Zyklus eingesperrt: Ihre Psyche oszilliert zwischen Schuldgefühlen und Scham, tendiert zur Isolation und entzieht sie brutal der politischen Sphäre. Andererseits funktionieren syrische Foltergefängnisse wie Durchlauferhitzer eines totalitären Social Engineering. Diese Gefängnismaschinen spucken konstant zerstörte Individuen und hasserfüllte Extremist/innen aus, die den Kreislauf der Gewalt des syrischen Bürgerkriegs befeuern. Königreich des Schweigens versucht, am Beispiel Saydnaya zu beschreiben, welche Strategie das Assad-Regime mit der Traumatisierung weiter Teile seiner Bevölkerung verfolgt – sei es durch Folter, Gasangriffe oder Fassbomben auf Hospitäler.
JAKOB WEINGARTNER
3-D-Audiofassung als Podcast
Der Autor Yassin al-Haj Saleh hat 16 Jahre in syrischen Gefängnissen verbracht: „Saydnaya ist heute mehr als ein Foltergefängnis, es ist eine Todesmaschine, ein Vernichtungslager im Herzen des Genozids, den das Assad-Regime gegen seine eigene Bevölkerung führt.“ Als Podcast wird außerdem eine 3-D-Version einzelner Passagen von Königreich des Schweigens zur Verfügung stehen. Dadurch wird es möglich, das räumliche Empfinden in Saydnaya mithilfe von Kopfhörern noch besser nachzuvollziehen.
Text: Jakob Weingartner