Rotraud A. Perner

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Im Gespräch

Eine heimatlose Linke

Die Psychotherapeutin und evangelische Pfarrerin Rotraud A. Perner

Der Paterfamilias ist "abmontiert". Aber dass Romuald R. Kratochwill in den 1950er Jahren kraft seiner väterlichen Autorität die Ballettkarriere seiner Tochter im Keim erstickte, hatte auch sein Gutes: Rotraud A. Perner sollte sich zu einer der bekanntesten österreichischen Psychoanalytikerinnen entwickeln.

Das Mädchen, das Primaballerina werden wollte, wurde am 18. August 1944 in Orth an der Donau geboren. In seinen Augen war die Mutter eine durch Heirat verhinderte Pianistin, der tschechische Vater "ein leutseliger marxistisch-atheistischer" Mittelschullehrer. Damit seine Tochter Altgriechisch und Latein statt Spitzentanz lernen möge, holte er sie an das Knabengymnasium, dem er als Direktor vorstand.

Ernüchterung am Kreisgericht

Nach der Matura im Jahr 1962 inskribierte Perner Jus an der Universität Wien. Eine "gerechte Richterin" wollte sie werden, da sie als Kind so viele Ungerechtigkeiten erfahren hatte. Aber auch dieser Berufswunsch wurde keine Realität: Als Hörerin am Kreisgericht Wiener Neustadt war Perner zu der Einsicht gekommen, dass Gerechtigkeit auch vor Gericht nicht axiomatisch ist.

Nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hatte, arbeitete Perner von 1968 bis 1976 als volkswirtschaftliche Referentin in der Oesterreichischen Nationalbank, wo sie sich zuweilen ein Zimmer mit dem späteren sozialdemokratischen Bundeskanzler Franz Vranitzky teilte.

Protest gegen Frauenverachtung

Auch ideologisch stand sie, die sich heute eine "heimatlose Linke" nennt, der SPÖ nahe: Von 1973 bis 1987 war Perner als rote Bezirksrätin in Wien Favoriten tätig. Aus Protest gegen frauenverachtende Abwertungsversuche legte sie ihre Parteimitgliedschaft 2017 zurück.

Von der Politik mäandert Perners Vita in den 1980er Jahren über Sozialarbeit zur Psychoanalyse. Parallel führte sie eine Ehe, aus der 1972 und 1974 zwei Söhne hervorgegangen waren. Den damals herrschenden Rollenzwängen zum Trotz setzte Perner auch als Mutter ihre berufliche Tätigkeit fort. "Ich habe den Herd mit dem Computer betrogen", resümiert sie lachend.

Unkonventionelle Therapeutin

Sie bildete sich stetig weiter, gründete Vereine, trat in Radio und Fernsehen auf, schrieb Kolumnen, forschte, lehrte und publizierte accelerando. In den 1990er Jahren avancierte die Mitbegründerin des Kinderschutzzentrums die möwe zu einer der populärsten Sexualtherapeutinnen des Landes.

Das neue Jahrtausend brachte ihr zahlreiche Ehrenzeichen ein, darunter jenes der Republik Österreich. Perner wandte sich Methoden der Stressbewältigung und Gesundheitsförderung zu, entwickelte den Ansatz der "Provokativpädagogik" und scheute auch unkonventionelle, spirituelle Zugänge nicht. 2003 eröffnete sie im niederösterreichischen Matzen das Institut für Stressprophylaxe und Salutogenese.

Spätberufene Theologin

Im Alter von 66 Jahren begann sie, evangelische Theologie zu studieren, 2016 wurde sie zur Pfarrerin im Ehrenamt ordiniert. Die Saat war bereits Jahrzehnte zuvor gestreut worden, als Perner sich von dem Satz "Herr, mach mich zum Werkzeug deines Friedens" aus dem Friedensgebet von Franz von Assisi berühren ließ. Ein Autounfall, den sie unverletzt überlebt hatte, brachte ihren Glauben schließlich zum Aufblühen.

Text: Viktoria Waldhäusl

Service

Rotraud Perner, "Aufrichten! Anleitung zum seelischen Wachstum", Verla Orac 2019