Fliesenbildnis von Jesus

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Logos

Der Jude Jesus

Im Laufe der Jahrhunderte ist er immer mitteleuropäischer geworden: Jesus von Nazareth. Durchaus beliebte Darstellungen zeigen ihn mit blauen Augen, hellem Teint und einer zwischen dunkelblond und hellbraun changierenden Haarfarbe. Dass Jesus von Nazareth Jude war und sich Zeit seines Lebens auch nicht vom Judentum distanziert hat, das gerät dabei leicht aus dem Blick.

Der Bart gestutzt und sehr gepflegt, der Blick sanft. Keine Spur von dem zornigen Jesus, der die Geldwechsler aus dem Tempel vertreibt. Er ist im Laufe der Jahrhunderte gewissermaßen domestiziert worden, einem (mittel)europäischen Klischee angepasst, als Begründer des christlichen Abendlandes inszeniert.

Dass Jesus von Nazareth Jude war und sich Zeit seines Lebens auch nicht vom Judentum distanziert hat, das gerät dabei leicht aus dem Blick. Ungerechtfertigterweise, wie der katholische Theologe und Autor Norbert Reck hervorhebt, in seinem jüngsten Buch „Der Jude Jesus und die Zukunft des Christentums“. Als aussagekräftige Quelle dafür dienen ihm ausgerechnet die heiligen Schriften des Christentums, die Evangelien.

Jesusbildnis

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Dort wird etwa festgehalten, dass Jesus als Baby beschnitten wurde - wie es für männliche Säuglinge im Judentum bis heute Vorschrift ist. Und seine Mutter Maria wird - ebenfalls im Neuen Testament - als religionskundige Frau dargestellt, die bereits ihr ungeborenes Kind in die geistlichen Traditionen des Judentums einführt.

Was umso bedeutsamer ist, als das Judentum matrilinear weitergegeben wird: Nach traditioneller jüdischer Lehre darf sich nur als Jude oder Jüdin bezeichnen, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Und das war bei Jesus von Nazareth eindeutig der Fall.

Taufe am Jordan - kein Abschied vom Judentum

So weit, so klar. Doch kommt es laut biblischer Überlieferung zu einer entscheidenden Wende im Leben Jesus - und zwar als er durch Johannes am Fluss Jordan die Taufe empfängt. Diesen Ritus gelte es freilich richtig zu verstehen, so Autor Norbert Reck: „Johannes hat die Leute mit Wasser besprengt, als Zeichen dafür, dass sie sich reinigen sollen und dass sie ein neues Leben anfangen sollen. Johannes hat wahrscheinlich als guter Jude gedacht: Ich benutze hier ein Symbol, mit dessen Hilfe ich die Menschen zu besseren Juden machen kann. Denn im Judentum ist Wasser als Symbol für Reinigung und Neubeginn durchaus gebräuchlich. Zu meinen, durch diesen Ritus habe sich Jesus vom Judentum abgewandt, wäre ganz fatal. Das hatte Jesus nicht im Sinn. Da würde man ihn verraten, wenn man so etwas sagt.“

Vielmehr stehe Jesus öffentlich zu seinem jüdischen Glauben: etwa indem er wichtige religiöse Feste in der „heiligen Stadt“ Jerusalem begehe - so auch das Pessach-Fest am Beginn seiner Leidensgeschichte, in der christlichen Überlieferung als „Letztes Abendmahl“ von zentraler Bedeutung.

Jesus und die Pharisäer

Andererseits wird Jesus in den Evangelien immer wieder im Disput mit „den Juden“ gezeigt, in der Regel mit den Pharisäern. Als verschlagen und hinterlistig werden sie dargestellt, düstere Gestalten, die nur eines im Sinn haben: Jesus aufs theologische Glatteis zu führen.

Hinterfragt man diese oberflächliche Darstellung allerdings kritisch, dann zeigt sich, dass die Pharisäer in den Texten zunächst einmal so etwas wie eine dramaturgische Funktion haben: sie stellen die Fragen, liefern Jesus gewissermaßen die Stichworte, sodass er vor diesem Hintergrund seine Lehre entfalten kann. Berühmt dabei die Formulierung „Ich aber sage euch…“

Genau die sei allerdings mit Vorsicht zu genießen, erklärt Marianne Grohmann, Professorin für Altes Testament an der evangelisch-theologischen Fakultät in Wien. Denn: Diese Zuspitzung sei nur eine von mehreren möglichen Übersetzungsvarianten. Der griechische Urtext lasse sich zwar mit „Ich aber sage euch“ übersetzen. Genauso aber mit „Und ich sage euch“. Fazit der Bibelwissenschaftlerin: „Der Gegensatz, der hier hergestellt wird, ist gar nicht notwendig da.“

Ähnlich sieht es auch der katholische Theologe Norbert Reck. Für ihn hat die Weltanschauung Jesus viel gemein mit dem der Pharisäer. Eben deshalb habe es ja so viele Gespräche mit ihnen gegeben, meint er. Und: „Jesus hat selbst gesagt: Die Pharisäer sitzen heute auf dem Stuhl, auf dem Moses gesessen ist. Alles, was sie euch auftragen, das tut. Jesus hat überhaupt nicht gesagt, dass sie mit allem falsch liegen. Die Evangelien sind eben Texte aus dem alten Orient. Da ist es auch in der inhaltlichen Auseinandersetzung durchaus heiß hergegangen.“

Das konkrete Leben im Blick haben

Was bedeutet es nun, Jesus als Juden ernst zu nehmen? Für Grohmann und Reck hat das verschiedene Auswirkungen. Da ist einmal eine Aufwertung der Hebräischen Bibel - des sogenannten Alten Testaments - als spiritueller Quelle. Außerdem: mehr Solidarität mit Jüdinnen und Juden heute. Wer ernst nimmt, dass Jesus Jude war, wird es auch ernster meinen mit seinem Engagement gegen Vorurteile und Antisemitismus.

Und - ein Drittes: Das Judentum ist eine Religion, die die Ethik sehr betont, das Handeln nach dem Willen Gottes. Wie gilt es unter den konkreten Umständen ein guter Nachbar, eine gute Kollegin zu sein? Wie ist es möglich, die traditionellen Gebote im Hier und Jetzt zu verwirklichen? Etwa wenn die Mächtigen dieser Welt die Natur ausbeuten oder Fremde drangsalieren (beides ein No-Go in der hebräischen Bibel).

Würde man das jüdische Erbe ernster nehmen, dann könnte auch das Christentum mehr Akzente auf das konkrete Handeln legen - eine Religion werden, die mehr im Leben stehe, so Norbert Reck.

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