Figur eines golfenden Mannes in einer Schneekugel, Ausschnitt des Buchcovers

CAMPUS VERLAG

Diagonal

Bewundert, beneidet, verhasst: Eliten

Establishment, Schickeria, die Oberen Zehntausend: sie haben viele Namen, ohne sie kommt keine Gesellschaft aus. So sehr man sie bewundert und beachtet in Society-Magazinen, im Sport und Wissenschafts-Jet-Set, so sehr werden sie auch verdammt: Eliten.

Es seien Menschen, die große Wirtschaftsunternehmen leiten, Streitkräfte befehligen, an den Schalthebeln des Staatsapparates sitzen und für sich alle Vorrechte, die sich daraus ergeben, beanspruchen, so der US-amerikanische Soziologe Charles Wright Mills in den 1950er Jahren, und die, wie sein französischer Kollege Pierre Bourdieu ergänzte, über kulturelles und symbolisches Kapital verfügen: Bildung, Titel, Beziehungen, einen bestimmten Habitus.

„Wir erleben, wie sich elitäre Hipster gegenüber den Normalbürgern abschotten. Das ist nicht weltoffen, sondern provinziell.“

So wetterte der deutsche CDU-Politiker Jens Spahn im Jahr 2017 mitten im Wahlkampf.

Es ist unübersichtlich geworden in Sachen Eliten-Bashing. Ein ranghoher Politiker der sonst doch eigentlich recht leistungsorientierten deutschen konservativen CDU kritisiert Eliten. Und anderswo spricht der amerikanische Präsident Donald Trump, mitunter schon mal von einer Verschwörung der "globalen Elite" gegen ihn.

„Die Elite“, so scheint es, das sind immer die anderen. Egal ob man selbst ranghoher Politiker ist, auf einer Elite-Uni sozialisiert wurde oder zusätzlich optional – wie etwa Donald Trump - auch noch Millionärssohn ist. Und auch im Frühling 2020 hat die Elite in Sachen Nachrede nicht unbedingt einen guten Stand.

„Der Corona Virus ist im Labor gezüchtet worden: von der selbsternannten Elite. Kein Scheiss.“

Heißt es etwa in Verschwörungstheorien nicht abgeneigten Echokammern in sozialen Netzwerken. Die Machtübernahme einer globalen Elite würde bevorstehen, lautet es anderswo.

„Teuflische Eliten“ würden einen Plan verfolgen und wollen Chaos stiften, poltert einer auf Youtube mit antisemitischem Unterton. Und mit einer etwaigen Impfung gegen das Coronavirus - die es nebenbei gesagt noch gar nicht gibt - werde uns heimlich ein Chip implantiert, mit dem uns Eliten wie Drohnen fernsteuern werden, heißt es wieder andernorts.

Wovon diese Schwurbeldiskurse ablenken, ist, dass tatsächlich belegbare Kritik an Eliten ja durchaus eine demokratiepolitisch enorm wichtige Angelegenheit ist.

Nicht erst seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2007 und der darauffolgenden Finanz- und Staatsschuldenkrisen, die eine globale Rezession ausgelöst haben, aber insbesondere seitdem, kann man getrost von einer weitschichtigen Entzauberung der Politik- und Finanzelite sprechen. Populisten, rechts wie mancherorts auch links, haben Auftrieb, und Politologen wie etwa der in Wien forschende Bulgare Ivan Krastev sehen gar die liberale Ordnung sowie den Fortbestand der EU in Gefahr.

„Die neuen populistischen Mehrheiten sehen in den Wahlen nicht die Chance, zwischen verschiedenen Politik- optionen zu wählen, sondern eine Revolte gegen privilegierte Minderheiten – im Fall Europas gegen die Eliten und ein entscheidendes kollektives 'Anderes' die Migranten."

Die liberale Elite sei in den Augen vieler Menschen spätestens seit der Krise der Asylpolitik 2015 zum Synonym für Heuchelei geworden, meint der Politologe Ivan Krastev. Die demokratischen Institutionen würden das Vertrauen verlieren, und auch etablierte Medien.

Stattdessen glaube man eher abgeschotteten Echokammern, also kleinen Gemeinschaften, die man selbst aussuche. Kritik an Eliten hat in der Menschheitsgeschichte Tradition, vor allem die eingangs erwähnte Kritik an Eliten von Eliten.

"Eliten-Kritik von Eliten ist an sich nichts Neues. Das können wir seit der Antike verfolgen - auch der Kampf welche Elite dann tatsächlich bestehen bleiben kann. Es ist ja nicht so, als ob es nur eine Elite gäbe", die Philosophin Lisz Hirn.

Gerade in Mitteleuropa und im deutschsprachigen Raum verortet die Philosophin Lisz Hirn - anders als im angelsächsischen Raum und in asiatischen Ländern - ein besonders ambivalentes Verhältnis zu Eliten. Nichtsdestotrotz werde der Begriff gerade neuerdings auch in unseren Breiten wieder interessant.

"In Zeiten der Krise, in Zeiten der Unsicherheit, kommt dieses Bedürfnis nach Eliten, die uns aus der Krise herausführen wieder auf."

"Das ist natürlich kein Zufall, es gibt ja einen Grund dafür, dass dieser Bedarf nach Personen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten jetzt wieder steigt, und das ist durchaus auch demokratisch problematisch", sagt Lisz Hirn.

In ihrem neuesten Buch konstatiert die Philosophin eine Sehnsucht nach Superhelden – durchaus auch umgelegt auf Politiker oder andere Sphären. Dieses Bedürfnis nach Helden habe auch mit einem wachsenden Misstrauen gegenüber Intellektuellen, beziehungsweise auch Eliten zu tun.

"Was man im Moment stark feststellt, ist dass eine digitale Elite unter Beschuss steht. Jetzt macht es sich aber auch an gewissen Personen fest. An Menschen, die ein großes Vermögen haben, die verschiedenste Bereiche sponsern, finanzieren oder auch inhaltlich involviert sind."

Die Philosophin fände es interessant, genauer zu prüfen, welche Ansprüche wir an die Eliten stellen, die wir ausfindig machen können. Nicht nur an die politische Elite eines Landes beispielsweise, sondern auch an die internationale digitale Elite. Inwieweit große Konzerne wie Amazon auch gesellschaftliche Verantwortung gegenüber der breiten Bevölkerung in den Ländern übernehmen sollen, in denen sie jeweils tätig sind - etwa in Bezug auf Steuerzahlungen. Dahinter steht auch eine philosophische Frage: Jene nach der Rückwirkung, sowie einer moralischen Verantwortung von Eliten.

Nutzt diese Elite jetzt alles, was sie an Privilegien hat, aus, um ihre eigene Gruppe zu stärken? Oder kommt auch etwas zurück zu der Masse, auf die sie ja angewiesen ist?

Elite, sonderlich trennscharf ist der Begriff ja nun wirklich nicht. Denn nicht erst im Moment, da Kritik geortet wird, stellt sich die Frage, wer ist diese Elite? Und wer definiert, wer dazugehört?

Gerade das sei laut Lisz Hirn problematisch. "Nicht jeder von uns hat die gleichen Voraussetzungen, irgendeiner Elite anzugehören. Wir können in soziologischen Studien feststellen, dass Menschen einen gewissen sozialen Hintergrund brauchen, um überhaupt in diese Eliten aufgenommen zu werden. Das heißt, wir können eindeutig bestätigen, dass die Möglichkeit der Teilhabe an Eliten dadurch, dass man ebenso große Leistungen vollbringt, ein Mythos ist. Ein Mythos, der natürlich auch dafür da ist, Systeme zu rechtfertigen."

An sich sei Elite aber nicht ausschließlich negativ. "Auf der anderen Seite gibt es auch die Argumentation, dass Eliten, vor allem wenn es Wissens- und Bildungseliten sind, Katalysatoren für gesellschaftliche, wissenschaftliche, technologische Entwicklungen sein können", sagt Hirn.

Eliten werden auch bewundert. Wir freuen uns, wenn die österreichischen Skifahrer und Skifahrerinnen schneller den Berg hinunterfahren als die anderen, nicht der vierzigste Virologe von links mit der Entwicklung eines Serums beauftragt wird, sondern die erst- oder der zweitbeste, oder wir uns oder unsere Kinder in prestigereichen Jobs unterbringen können.

"Wenn wir objektive Kriterien hätten, um festzustellen: Wann gehört jemand zur Elite? Dann hätten wir nicht so ein Problem mit dem Eliten-Begriff."

Was müsste passieren, um das gestörte Verhältnis zwischen den so genannten Eliten und der so genannten Masse zu entlasten? Der - unerfüllte - Mythos von der Möglichkeit an Eliten teilzuhaben, nämlich dadurch, dass man ebenso große Leistungen vollbringe, sei eines der größten Probleme, so Lisz Hirn.

"Ich denke, dass eher dieses Gefühl von möglicherweise Ohnmacht oder auch Ungerechtigkeit dazu führt, dass die Elite nicht anerkannt ist. Also wenn ich jetzt wirklich objektive Kriterien hätte, um festzustellen: Wann gehört jemand zur Elite? Dann hätten wir nicht so ein Problem mit dem Eliten-Begriff.

Gestaltung: Alina Sklenicka