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Weltkarriere eines Sportschuhs: Der Sneaker
Einst bedienten nur die klassischen Sportschuh-Produzenten wie Adidas, Puma oder Nike den Markt. Dann stiegen auch Marken wie Chanel, Louis Vuitton und Co. ein in den hochprofitablen Markt jener bequemen sportlichen Schuhe, die sich längst vom reinen Dasein in Turnhallen und auf Fußballplätzen emanzipiert hatten.
25. Juni 2021, 14:30
1916 brachte der US-amerikanische Reifenkonzern „Goodyear“ erstmals einen Stiefel mit Gummisohle auf den Markt. In den 1920er Jahren entwickelte der Hersteller Converse - ebenfalls aus den USA - den sogenannten „All Star“: einen Schuh, der mit seiner hohen Schnürung die Knöchel der Basketballspieler schützen sollte und von dem Profisportler Chuck Taylor weiterentwickelt wurde.
Mit dem „Samba“ brachte der deutsche Sportartikelhersteller Adidas in den 1950er Jahren einen Trainingsschuh für Fußballer heraus. Es folgte der „Stan Smith“, ein nach dem US-amerikanischen Tennisspieler benannter weißer Tennisschuh mit grünem Logo. 1968 zog der deutsche Konkurrent Puma nach, mit dem Trainingsschuh „Suede“. Vom Sammelbegriff Sneaker sprach zu diesem Zeitpunkt noch niemand, und doch legten jene Modelle den Grundstein für die Erfolgsgeschichte.
"Heutzutage ist Sneaker ein Statement."
Mitte der 1980er Jahre designte Nike für den Basketballer Michael Jordan den „Air Jordan One“, einen Schuh mit hohem Schaft, auf den unzählige Neuauflagen folgten. Nike und Michael Jordan, eine geschickte Marketingstrategie, die beiden Milliardenumsätze bescheren sollte. Die Welle schwappte über, und der „Air Jordan“ verdrängte für eine Zeit lang die in Europa populär gewordenen Sportschuhe von Adidas und Puma.
„Man kann Sneakers grob in zwei Kategorien einteilen. Es gibt so die High-tops. Das sind die Schuhe, die so an Basketballschuhe angelehnt sind“, erklärt Monica Titton. Soziologin und Modetheoretikerin an der Universität für angewandte Kunst in Wien. „Die gehen in dem Sinne vom Design her zurück auf die Air Jordan Sneaker von Nike, die ja oft als eines der ersten gehypten Sneaker-Modelle bezeichnet werden und dann gibt’s die Modelle die an Laufschuhe angelehnt sind, die also nicht über den Knöchel gehen und das sind eben die klassischen Sneaker-Modelle von Adidas, All Star.“
"Also, das sind die bequemsten Schuhe, die ich jemals hatte."
Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre wurden Sportschuhe zum gefeierten Stilmittel in der Hip-Hop-Musik. Dicke Pullis, schwarze Trainingshosen und weiße Adidas ohne Schuhbänder. Die Single “My Adidas” der New Yorker Hip-Hop-Gruppe Run D.M.C. führte 1986 zum ersten Werbevertrag zwischen einem Musikkünstler und einem Sportartikelhersteller.
In den 90er-Jahren waren die Sportschuhe noch Symbol der Subkulturen für Auflehnung und Abgrenzung, ab dem Jahr 2000 bereits Mainstream. Im Sprachgebrauch festigte sich der Begriff Sneaker für einen modernen, sportlichen Freizeitschuh. Nach und nach engagierten Sportunternehmen Modedesigner, die den alten Sportschuhmodellen einen zeitgemäßen Anstrich verleihen sollten.
Als populär gelten etwa die futuristischen Y-3-Kollektionen von Adidas, designt vom japanischen Modemacher Yohji Yamamoto oder die Kollaboration zwischen Adidas und dem belgischen Modedesigner Raf Simons. Mit dem klobigen Ozweego-Modell schuf Raf Simons 2013 den Vorläufer des sogenannten „Chunky-Sneaker“, eines überproportionalen Schuhs, der aussieht, als würden die Füße in zwei Mini-Autodromen stecken.
ORF/ISABELLE ORSINI-ROSENBERG
Heute hat es der Sneaker bis in die Chefetagen geschafft und sei aus dem Berufsleben nicht mehr wegzudenken, sagt Bernhard Roetzel, Autor und Ratgeber für klassische Herrenmode. Selbst zu einem lockeren Anzug aus gewaschener Baumwolle könne man ohne Bedenken Sneakers tragen. Man erinnere sich etwa an die weißen Nike-Sneakers des ehemaligen deutschen Politikers Joschka Fischer, als er 1985 zum Umweltminister vereidigt wurde.
"Naja, man fällt natürlich auf mit einem 700 Euro Sneaker."
In den letzten fünf Jahren habe sich der Sneakers-Markt spürbar verändert, sagt Monica Titton, Modetheoretikerin und Lehrende an der Universität für angewandte Kunst in Wien. In Abstand von wenigen Wochen bringen die „Big Player“ Adidas, Nike und Asics limitierte Schuhe auf den Markt, meist nur ein paar Hundert oder Tausend Stück. Wer sich am Tag der Veröffentlichung – auch „Drop“ oder „Release“ genannt – einen Schuh sichern möchte, muss vorher bei einem „Raffle“, einer Verlosung, teilnehmen. Mit Glück gewinnt man ein Kaufrecht am Schuh und kann sich diesen zum Einzelhandelspreis in bestimmten Schuhgeschäften abholen. Die Limitierung sorgt dafür, dass der Preis für den Schuh künstlich in die Höhe getrieben und der Schuh oft für ein Vielfaches wiederverkauft werden kann.
Auf der weltweit größten Wiederverkaufsplattform Stock-X wird bestimmt was der Sneaker kostet. Schuhe handelt man hier wie Wertpapiere, online und anonym zwischen privaten Kunden. Der Preisverlauf wird in Grafiken angezeigt. Kommt es zum Kauf oder Verkauf, werden die Schuhe zunächst an Stock-X geschickt und dort auf ihre Echtheit überprüft. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom Dezember 2019 hat der in den USA 2015 gegründete Online-Marktplatz einen Jahresumsatz von mehr als eine Milliarde Dollar und beliefert Kunden in fast 200 Ländern.
"Dieses Gefühl etwas Limitiertes zu haben, treibt die Leute dazu, diese Dinge zu wollen, egal ob’s einem gefällt oder nicht. "
Manchmal genügt es, wenn ein Star ein bestimmtes Paar Schuhe bei einem Konzert trägt, und der Preis schnellt in die Höhe. Garant für einen hohen Preis sind Kollaborationen zwischen bestimmten Designer und Prominenten, wie beim "Nike SB Dunk Low Travis Scott".
Seitlich Jeansstoff, die Sohle und Zunge in Beige und Schuhbänder aus Stoffkordeln. Der „Nike SB Dunk Low Travis Scott“ ist ein Skaterschuh, der seinem neuen Träger ein stolzes Grinsen entlockt.
Denn Insider wissen um seine Bedeutung. Er ist ein sogenannter „Colabo“, das Design ein Ergebnis einer Kollaboration zwischen dem US-amerikanischen Sportartikelhersteller Nike und dessen Landsmann, dem Rapper Travis Scott. Marktwert im Mai 2020: mehr als 1.000 Euro. Noch vor vier Monaten gab es diesen Schuh um 150 Euro zu kaufen.
Ebenfalls hohe Preise sind garantiert wenn Klassiker wieder produziert werden. So wie der heilige Gral unter den Sneakers, der sich selbstschnürende „Nike Air MAG“, bekannt aus dem Science-Fiction Film „Zurück in die Zukunft“ aus dem Jahr 1988. Er ist in einer Neuauflage wieder auf den Markt gekommen.
"Mittlerweile gehts in dem Ganzen schon sehr viel um das Plakative."
Da die meisten Sneakers aus erdölbasierten Kunststoffen bestehen, können sie auf Dauer Schweißfüße und Hautpilz verursachen, so Peter Schleifer, Betreiber eines Podologiezentrums in Wien. Er rät daher, die Schuhe öfters zu wechseln, damit die Einlagen trocknen können. Sneakers aus Leder oder Naturstoffen seien zwar kurzlebiger, dafür atmungsaktiver und hautfreundlicher.
Allerdings hätten die Sneakers in den letzten Jahren an Funktionalität verloren und manches Design sei für die Träger und Trägerinnen nahezu gefährlich, meint die Soziologin und Modetheoretikerin Monica Titton: „Wenn ich in einen Sneakershop gehe, dann schaue ich mir die Schuhe schon sehr genau an und wundere mich einfach, wie unfunktional die geworden sind und wie viele unnötige Details in diese Schuhe eingebaut werden.“
Gestaltung: Noel Kriznik