Möwe auf Beethovenstatue

AP/MARTIN MEISSNER

Lange Nacht der Neuen Musik

Aus dem Schatten Beethovens

"Lange Nacht der Neuen Musik" über Beethoven-Echos in der Neuen Musik.

War Ludwig van Beethovens Musik für die Komponierenden bis 1945 so unerreichbar, dass sie wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebte, wird er nach 1945 als Motivgeber und Anreger in Distanz, Respekt und Humor wahrgenommen. Einst war Beethoven ein Gott der symphonischen Musik, und seine neun Symphonien waren das Neue Testament der Musik. Er war der "neue Zeus" auf einem "Thron aus Erz, ehern wie die Zeit, ein Thron der Ideen", wie ihn Max Klinger monumental darstellte.

Gustav Mahler, der 1902 anlässlich der Aufstellung von Klingers Beethoven-Denkmal in der Secession ein Arrangement für Bläsersextett aus der "Neunten" aufführen ließ, wurde noch "Verhunzer" genannt. Der Weg von der tragisch-titanenhaften Darstellung mit grimmigem Blick zu Markus Lüpertz’ grob bemaltem Beethoven-Kopf aus der Hand, der vor einem beinamputierten "Krüppel" platziert ist, führte zur Provokation bei den Rechtgläubigen und zur Abwertung bei den politisch Verantwortlichen.

Mantel der Erinnerung

Beethoven hat sich gewandelt: Die Komponierenden der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart nehmen Bezug auf biografische Kuriosa, auf Motive seiner Symphonien, auf Skizzen und Sequenzen, sie variieren in seinem Stil, überschreiben oder verdichten - im doppelten Wortsinn. Er, dessen Werk unauslöschlich in das Komponieren eingeschrieben ist, dessen Strahlkraft unangezweifelt ist, lässt die Nachfolgenden aus dem Schatten treten. Keine Last mehr und kein uneinholbarer Maßstab, ein sanfter Mantel der Erinnerung.

In "Beethovens Cello - Drei Sätze für Cello und Orchester. Teils entschlossen, teils entrückt, teils entlehnt" entdeckte Otto M. Zykan Beethoven wieder. "Beethoven ist wohl in allen Lebensphasen eines Menschen, der sich für Musik interessiert, präsent. Er ist sicher nicht der Einzige, an dem kein Weg vorbeiführt, aber möglicherweise konkurrenzlos in der Fähigkeit, fast alle denkbaren, erfahrbaren Konzepte musikalischer Gestaltung so persönlich, so vielfältig, so konzise zu beherrschen. So war sein vermeintliches heldisches Pathos die Ergriffenheit meiner Kindheit, seine Virtuosität der Zauber meiner Jugend, seine knappe Genauigkeit der Respekt im reifen Mannesalter, seine Tiefe, sein Humor, seine Überlegenheit die Liebe meines Alters."

"Beethoven ist wohl in allen Lebensphasen eines Menschen, der sich für Musik interessiert, präsent" Otto M. Zykan

Da ist Mauricio Kagels Film "Ludwig van ...", in dem "Beethoven" an die überfüllte Rumpelkammer herangeführt wird, "deren Inhalt sich beim Öffnen der Tür vor die Füße Beethovens, des Fremdenführers, des Kameramanns und des Betrachters ergießt". Die Überfülle der Beethoven’schen Musik geht in eine wilde Jagd im Garten des Hauses über, in dem Wäsche und Blätter mit Texten auf Wäscheleinen aufgehängt sind, und in ein Versteckspiel, das Kagels "Beethoven" mit schattenhaften Musikern spielen muss.

Bernhard Lang verwandelt in "Loops for Ludvik - Monadologie XXXIV" Beethovens musikalische Substanz, Themen und Motive in eine Komposition der Schleifen und Wiederholungen, er folgt Beethoven und dekonstruiert ihn, in einen Dialog mit ihm tretend und seine Musik aus dem Takt hebend; Lang fügt Musikwelten von Mikrotonalität über Gamelan bis Jazz an. Beethovens 3. Klavierkonzert in c-Moll wird zum Ausgangsmaterial, erkennbar für Wissende, erfreulich für die Neuzugänge im Publikum, vermittelnd zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Wolfgang Mitterer überschreibt, stellt heraus und vervielfältigt, original ist seine elektronische Komposition "Nine In One", wenn auch das Original die Aufnahmen der neun Symphonien unter Gustav Kuhn sind. Mitterer mischt Beethoven und mischt sich ein, lässt kurz unsere Erinnerung aufleuchten, um uns sogleich vor dem Hineinfallen zu retten, in einer vergnüglichen Balance zwischen Abtauchen und Erstaunen.

Ausgangspunkt der Weiterarbeit ist immer inniges Hören, wenn es zur Improvisation "Don’t forget Beethoven" bei Galina Vracheva, zur Integration einer Eisverkäufer-Glocke bei Louis Andriessen, zur Mahnung zum Abstandhalten bei Arno Lücker führt: "Für Elise (Corona-Version)" - und alle Töne halten den Abstand von mindestens einer Terz.

Gestaltung