Dalai Lama

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Tao

Ein Porträt des 14. Dalai Lama

Vor 80 Jahren wurde Tenzin Gyatso - mit gerade einmal vier Jahren - feierlich als 14. Dalai Lama inthronisiert. Am 6. Juli feiert der wohl bekannteste buddhistische Mönch seinen 85. Geburtstag. Übersetzt bedeutet Dalai Lama so viel wie „ozeangleicher Lehrer“. Er selbst sagt von sich stets, er sei einfach ein buddhistischer Mönch und seine Philosophie Freundlichkeit.

Geboren wurde Tenzin Gyatso als zweiter Sohn einer Bauernfamilie im Nordosten Tibets. Im Alter von zwei Jahren haben ihn vier buddhistische Mönche als Wiedergeburt des 13. Dalai Lama entdeckt. Er wird oft als spirituelles Oberhaupt der Tibeterinnen und Tibeter betrachtet und bezeichnet.

Genau genommen ist er der höchste Tulku bzw. Meister innerhalb der Hierarchie der Gelug-Schule des tibetischen Buddhismus. Der Dalai Lama verkörpert nach tibetisch-buddhistischer Vorstellung einen Bodhisattva, ein bereits erleuchtetes Wesen, das sich aus Mitgefühl bewusst für eine Wiedergeburt in der Welt entschieden hat, um das Leid der Menschen zu lindern.

"Thank You, Dalai Lama"

„Für uns Tibeter ist sein Heiligkeit der Dalai Lama unser Ein und Alles, die Tibeter haben ihm dieses Jahr 2020 als Dankeschön gewidmet, wir nennen das Jahr ‚Thank You, Dalai Lama‘. Für seine unermüdliche, unermessliche Güte und Segnungen, die er uns gegeben hat“, sagt die 43-jährige Biologin Tshering Doma, Mitglied der Tibeter-Gemeinschaft in Österreich.

Ihre Großeltern sind mit ihrem Vater, der damals sechs Jahre alt war, nach dem sogenannten Tibetaufstand 1959 nach Nordindien geflohen. Tshering Doma ist in Indien geboren. Sie konnte den Dalai Lama bereits persönlich treffen: „Als mein Vater schwer krank war, habe ich für ihn eine Audienz mit Seiner Heiligkeit organisiert. Mein Vater hat es zwar letztendlich nicht geschafft hinzukommen, weil er zu krank war, aber ich bin dann für meinen Vater zu Seiner Heiligkeit gegangen und der Dalai Lama hat dann für ihn die Segnungen gegeben. Mein Vater hat sich so gefreut, er hat gesagt, dass er jetzt in Ruhe sterben könne.“

"Ihr sollt die Chinesen nicht hassen."

Bis 1959 residierte Tenzin Gyatso in Lhasa, der Hauptstadt Tibets. Während des sogenannten Tibetaufstands 1959 musste der Dalai Lama ins Exil fliehen. Seit Jahrzehnten lebt er nun im nordindischen Dharamsala. Für seine Bemühungen um eine friedliche Einigung zwischen seinem Volk und der Regierung in Peking hat er 1989 den Friedensnobelpreis erhalten.

Der Dalai Lama spreche immer nur gut über alle Menschen, auch im Konflikt mit China habe er immer auf Gewaltlosigkeit und Dialog gesetzt, sagt Tshering Doma. „Immer wenn er uns sieht, also wenn er die Tibeter trifft und eine Audienz gibt, sagt er nur, ihr sollt die Chinesen nicht hassen, auch wenn es euch schwer fällt. Die Chinesen sind genau so arm wie ihr, die wissen ja nicht alles. Immer und immer sagt er nur so etwas und redet er nur gut über alle. Das berührt uns, das hilft uns im Exil, man muss so einen Anhaltspunkt haben, sonst schafft man es nicht.“

"In Wirklichkeit bin ich auch nur ein Mensch.“

Die österreichische Tibeter-Gemeinschaft feiert heuer ihr 30-jähriges Bestehen und hat mittlerweile 500-600 Mitglieder. Für sie ist der Dalai Lama mehr als ein normaler Mensch, mehr als ein buddhistischer Mönch, wie er sich selbst immer wieder bezeichnet. So beispielsweise in seinem letzten ORF-Interview, das er im Rahmen seines Österreich-Besuches 2012 gegeben hat.

„Im Grunde genommen fühle ich mich als einfacher buddhistischer Mönch, das ist meine Bestimmung. Manche mögen sagen, ich wäre ein Gottkönig, andere sagen lebender Buddha und manche sagen Dämon. Aber das ist alles Unsinn, in Wirklichkeit bin ich auch nur ein Mensch.“

Dass pures Mitgefühl das Ergebnis harter Arbeit an sich selbst ist, merkt man, wenn man Tenzin Gyatsos Schilderungen seines Tagesablaufes hört: „Gewöhnlich stehe ich so zwischen 3.15 Uhr und 3.30 Uhr auf. Ich frühstücke und meditiere dann im Anschluss circa 5 Stunden, immer.“

Als Halbgott gilt er seinen Fans, als Medienphänomen den globalen Beobachtern und immer noch als Bedrohung der chinesischen Regierung. Die Tibetologin und Achtsamkeitstrainerin Tina Draszczyk erklärt, was ihrer Meinung nach diesen 14. Dalai Lama einzigartig macht: „Mal zunächst, dass seine Lebenszeit in eine Phase fiel, in der die gesamte tibetische Kultur auf den Kopf gestellt wurde. Die Besetzung Tibets seitens Chinas hat ein altes System völlig verändert. Und der Dalai Lama war und ist nach wie vor für sehr viele Tibeter eine wichtige Integrationsfigur – die für das steht, was sie verloren haben, ihr altes Tibet.“

„Meine Philosophie ist Freundlichkeit."

2011 hat er sich von seinen politischen Ämtern zurückgezogen und sie an die tibetische Exilregierung abgegeben. Und damit in gewisser Weise auch einen Modernisierungsprozess der tibetischen Gesellschaft eingeleitet. Politisch ist sein Plan - Autonomie für Tibet zu erreichen - nicht aufgegangen. Was er auf jeden Fall erreicht hat, war den Buddhismus, vor allem den tibetischen Buddhismus, auf der ganzen Welt bekannter zu machen, sagt Tina Draszczyk. Und auffällig sei immer schon seine Offenheit für neue Denkmuster und Erkenntnisse gewesen. Auch für den Dialog der Religionen hat er sich in den vergangenen Jahrzehnten eingesetzt.

„Meine Philosophie ist Freundlichkeit“, sagt Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, immer wieder. Wie darf man das verstehen? Tina Draszczyk mit ihrer Deutung: „Da meine ich, dass das auf einer Geisteshaltung beruht, die Menschen wertschätzt, die das Potenzial in jedem Menschen wertschätzt und auch, dass jeder Mensch Bedürfnisse hat und sich nach Glück sehnt. Und wenn ich diese Art von Wertschätzung jenen Menschen gegenüber erbringe, die mir begegnen, dann kann ich gar nicht anders als freundlich zu sein. Weil mir die Menschen wichtig sind.“

In Kürze wird Tenzin Gyatso 85 Jahre alt, den 100er wird er laut eigenen Aussagen auch noch überschreiten. Mit 90 will der Dalai Lama jedenfalls eine Vorausschau auf seine Wiedergeburt geben, erklärt Tshering Doma. „Er hat gesagt, dass er sich dann von den großen buddhistischen Lamas und tibetischen Verantwortlichen beraten lassen wird und dass er dann ankündigen wird, ob es eine Reinkarnation von ihm geben wird und wie sie zu finden sein wird. Aber wir hoffen, dass er noch lange lebt – wir brauchen ihn.“

"Vielleicht werde es gar keinen Dalai Lama mehr geben."

Unkompliziert wird die Zeit nach seinem Tod jedenfalls nicht. Wie wird es Tibet und den um Freiheit ringenden Tibeterinnen und Tibetern danach ergehen, wenn sie ihre charismatische Führungsfigur verlieren? Die Tradition hat ja bisher vorgesehen, dass der Dalai Lama dann als 15. Dalai Lama wiedergeboren wird, erklärt Tina Draszczyk: „So, dass er dann als Junge aufgefunden werden kann, ausgebildet wird und in die Fußstapfen seines Vorgängers tritt. Das ist ein Konzept, dass es so nur im tibetischen Buddhismus gibt.“

Es sei zu erwarten, dass China diese Tradition für seine Zwecke instrumentalisieren wird und eine eigene Wiedergeburt des Dalai Lama finden lässt: „Ein Teil der tibetischen Bevölkerung wird dem Vertrauen schenken, ein anderer Teil nicht – das allein hat schon Potenzial für Konflikte. Und außerhalb von Tibet und von China wird kaum jemand einem vom kommunistischen China eingesetzten Dalai Lama Vertrauen schenken. Da wird die Exil-Regierung ein anderes Kind als Dalai Lama auffinden. Und damit sind es schon einmal zwei, was auch nicht so einfach wird.“

Politisch steht dann also eine durchaus heikle Phase bevor. Und was sagt der Dalai Lama dazu? Der bleibt gelassen und scherzt derweil über seine Wiedergeburt - vielleicht werde er eine blonde Frau oder eine Biene sein oder, und - das sagt er in etwas ernsterem Ton - vielleicht werde es gar keinen Dalai Lama mehr geben.

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