Eine Frau mit einem Chip auf der Stirn

APA/HANS KLAUS TECHT

Künstliche Intelligenz im Journalismus

Wenn die Maschine die News macht

Maschinelle Hilfe ist aus dem Journalismus nicht mehr wegzudenken. Programme schreiben automatisierte Texte, verknüpfen Wort und Bild, Algorithmen platzieren Nachrichten, Daten liefern Stoff für Geschichten. Können News-Programme Journalisten ersetzen? Was bedeutet das für die Qualität? Und wie weit sind wir in Österreich?

Ein Blick nach China liefert einen Blick in die Zukunft. Auf einer Technologiekonferenz vor zwei Jahren stellt sich ein automatisierter Nachrichtenmoderator vor. Eine Maschine mit Brille, Anzug und Krawatte präsentiert sich im Nachrichtenstudio. "Hallo, ich bin ein englisch-sprachiger künstlicher Intelligenz-Moderator, heute ist mein erster Tag bei der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Ich freue mich, Ihnen eine brandneue Nachrichtenwelt zu präsentieren."Unermüdlich wolle er berichten, wenn er Texte bekomme, sagt der digitale News-Beamte, die einem echten TV-Moderator der staatlichen Nachrichtenagentur gleicht. Kein Mensch kann da mithalten.

Auf dem Weg zum digitalen Anchor

Die Verheißung: Nachrichten können automatisiert erstellt werden, indem Daten und Texte ausgewertet werden. Sie können mit Bildern verknüpft werden, eine Software macht daraus die News - rund um die Uhr. Derzeit wird im Journalismus viel experimentiert, auch in Österreich, etwa bei der Austria Presse Agentur. Die APA liefert zum Beispiel automatisiert erstellte Texte über Wahlergebnisse in Gemeinden. Dafür zuständig ist Katharina Schell, sie erklärt wie es geht.

APA experimentiert mit Lückentexten

"Hey lieber User, heute ist Wahl, wenn du möchtest, schicke ich dir das Ergebnis deiner Gemeinde, sobald es da ist" - das sei das Angebot an den Kunden, auf dem Smartphone erscheinen dann Text und Grafik. "Das ist wie ein Nachrichtentext aufgezogen und geht von Platz eins bis zum letzten Platz und hat Information über die Wahlbeteiligung", so Schell. Grundlage dafür ist ein Lückentext, der sehr genau programmiert wird, da werden zum Beispiel Gemeinde- und Parteinamen automatisch eingesetzt. Dafür braucht es gut strukturierte Daten. Aber auch Journalisten, die müssten Regeln für die Formulierungen aufstellen, zum Beispiel: "Wann kann man eigentlich davon sprechen, dass der Abstand hauchdünn ist, oder dass die Partei auf Platz zwei weit abgeschlagen ist?"

"Das ist kein Roboter-Journalismus"

Dahinter steckt viel Arbeit. Es gehe also nicht darum, Journalisten einzusparen, betont Schell. Im Gegenteil, die APA könne ihren Kunden ein Zusatzprodukt anbieten. Zeitungen zum Beispiel wollen die Auswertung als digitalen Service für ihre Leser. Noch am Wahlabend sind innerhalb kürzester Zeit alle Texte da, Journalisten könnten das nicht schaffen und es wäre eine schrecklich öde Arbeit, sagt Schell. "Wir sehen darin nicht Roboterjournalismus, wir sehen darin eine Evolution des Datenjournalismus", sagt Schell. Es werde ein neues journalistisches Berufsbild geben: Datenjournalisten, die programmieren und analytisch Texte konzipieren können.

Vor allem für den Lokaljournalismus sieht Schell große Chancen: Kein Medium könne Journalisten beschäftigen, die etwa über lokale Fußballmatches schreiben, den Job könnten automatisierte Texte machen. Oder: Aus dem Datenmaterial ließen sich Geschichten machen: Etwa über das Wahlverhalten im eigenen Grätzel, bisher kaum möglich. Was der APA wichtig ist: Alle automatisch generierten Texte sind als solche gekennzeichnet.

Bei Puls24 schreibt die Software Texte

Auch Puls 24, der Newskanal der Puls4-Gruppe, veröffentlicht Texte auf der App und im Web, die nicht von Journalisten geschrieben werden. Sie sind computer-generiert. Die Software durchforstet Texte von Qualitätsmedien und macht daraus automatisch Texte im Bullet-Point Format. Der Sender sucht die Quellen aus. Am Ende vieler Puls24 Artikel steht als Quelle oft nur "Agenturen". Werden die Texte von der Redaktion bearbeitet, findet sich ein Kürzel des Redakteurs. Woher die Information kommt, ist nicht immer ganz genau ersichtlich. Und wie sicher kann man sein, dass die Information auch stimmt? "Bis zu einem gewissen Grad kann man nicht sicher sein", sagt Senderchefin Stefanie Groiss-Horowitz. Aber grobe inhaltliche Fehler seien bisher nicht passiert.

"Effizienz statt Grundrauschen"

Dem Sender gehe es um den effizienten Einsatz von Ressourcen, sagt die Senderchefin. "Unsere Journalisten sollen sich mit journalistischer Arbeit auseinandersetzen, die über ein gewisses Grundrauschen hinausgeht", sagt Groiss-Horowitz. Zum Beispiel müssten Journalisten keine Wetterberichte schreiben, das könne man automatisieren. Aber zum „Grundrauschen“ gehört laut Groiss-Horowitz auch eine Pressekonferenz der Regierung, die so ausgewertet wird. Also journalistisches Täglich-Brot. Die Aufsicht, ob Inhalt und Gewichtung passen, hat eine kleine Online-Redaktion, vier bis fünf Personen seien zuständig, den 24-Stunden Service zu betreuen.

Billiger Onlinejournalismus?

Der Privatsender wird nicht müde zu betonen, dass auch er öffentlich-rechtliche Inhalte produziere, denn er will dafür öffentliche Förderungen. Auf die Frage, ob automatisierte Texte öffentlich-rechtliche Ansprüche erfüllen, sagt Groiss-Horowitz, sie bekomme die Förderung ja für die Journalisten, die Fernsehen machen. Die Onlinetexte seien nur ein Zusatzprodukt. Ermöglicht die Text-Software dem Sender also möglichst günstig das Internet zu bespielen? "Nein, die Alternative wäre die Newsplattform nicht zu haben", sagt Groiss-Horowitz. "Ich glaube, es ist schwierig zu sagen, nur mit einer Armee von Journalisten kann man journalistische Produkte herstellen."

ORF: Innovation versus Sparprogramm

Im ORF werden automatisierte Texte redaktionell nicht eingesetzt. Unterstützung durch Software gibt es etwa bei der Untertitelung von Videos oder für automatische Transkripte von Beiträgen und Interviews, sagt Manfred Wieser, der sich im ORF mit solchen Innovationen beschäftigt. "Wir müssen da mehr Ressourcen ausbauen, das ist ein Bereich, der eine neue Zusammenarbeit zwischen Redaktion und Technik erfordert", meint Wieser. Keine leichte Aufgabe, wenn Redaktionen aufgrund von Sparprogrammen schrumpfen, die Anforderungen im Netz aber immer größer werden. Man müsse hier Prioritäten setzen, sagt Wieser. Für den ORF werde es wichtig, Algorithmen einzusetzen, die personalisierte Angebote ausspielen, nach dem Vorbild von Netflix oder Spotify, das ist aber momentan gesetzlich noch nicht erlaubt. "Wenn wir weiter eine Rolle spielen wollen als ORF, müssen wir da eine Menge tun."

Die Standard-Leute lieben den "Forumat"

Redaktionelle Unterstützung durch eine Software gibt es auch bei der Tageszeitung "Der Standard" - und die hat dort sogar einen Namen. Man spricht vom "Forumat", er hilft, täglich tausende Postings im Onlineforum zu durchforsten und Hetze und Beschimpfungen auszusieben, erklärt Verlagsleiterin Gerlinde Hinterleitner: "Das ist der Grund warum unser Forum so groß ist. Weil die Masse automatisiert moderiert wird und wir uns auf die Problemfälle und Poster konzentrieren konnten, und nicht immer jedes einzelne Posting freischalten mussten."

Die Liste mit den bösen Wörtern

Das Programm wurde bereits 2003 entwickelt und wird mit einer sogenannten "Böse-Wort-Liste" programmiert, die laufend angepasst wird. Aber der "Forumat" lässt ein böses Wort auch mal stehen, wenn der Kontext es rechtfertigt. Zum Beispiel, wenn der Kolumnist Hans Rauscher über das Schimpfwort "Oasch" schreibt, das im Ibiza U-Ausschuss gefallen ist. Acht von zehn Mal treffe das Programm gute Entscheidungen, und so wurde der "Forumat" ein geliebtes Redaktionsmitglied. Man sei ihm sehr dankbar und deshalb werde er ja auch liebevoll beim Namen genannt, so Hinterleitner. De facto habe der "Forumat" Jobs geschaffen, weil die Community nur mit seiner Hilfe so groß werden konnte. Das bringe mehr Leser und mehr Werbeeinnahmen. Außerdem könne man aus den Foren gute Geschichten herausholen, die Software liefere Vorschläge.

Wer bekommt was angezeigt?

Der Standard arbeitet seit einiger Zeit auch mit einem News-Algorithmus, der die Nachrichten auf der Website platziert. Redakteure geben Parameter über Wichtigkeit und Haltedauer ein. In Zukunft könnte es noch mehr maschinelle Unterstützung geben, etwa bei der Frage: Welche Headline generiert die meisten Abos - oder auch bei der Frage: Wem zeige ich welche Immobilien oder Job-Inserate, sagt Gerlinde Hinterleitner. Maschinelle Hilfe in den Redaktionen ist also nicht mehr wegzudenken, weder bei der Recherche noch bei der Aufbereitung der Artikel oder der Art, wie sie ausgespielt werden. Derzeit beteuern die Anwender, dadurch würden Journalisten nicht ersetzt, sondern freigespielt und entlastet. Die Sparprogramme der Zukunft werden zeigen, ob das so bleibt.

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