Sally Rooney

PATRICK BOLGER

Literatur

Sally Rooneys neuer Roman „Normale Menschen“

Im englischsprachigen Raum wird Sally Rooney von der Kritik als „die erste große Autorin des neuen Millenniums“ gehandelt. Ein Ruf, den sie mit ihrem Debütroman „Gespräche mit Freunden“ begründet und mit ihrem zweiten Roman gefestigt hat, der von der BBC bereits als 12-teilige TV-Serie verfilmt wurde und dieser Tage unter dem Titel „Normale Menschen“ auf Deutsch erschienen ist.

Nein, welten- oder zeitumspannend sind Sally Rooneys Romane nicht. Meist verbleiben sie in den Straßen Dublins und sie tasten sich lieber tageweise voran als jahresweite Zeitsprünge zu machen.

Das Figurenensemble ist dabei mehr als überschaubar. Vier Hauptpersonen waren es im Erstling, jetzt, in „Normale Menschen“ sind es überhaupt nur zwei. Marianne und Connell heißen die beiden, wechseln in Kürze auf die Uni, und finden abwechselnd zusammen und wieder auseinander.

Sally Rooney sagt: „Mich interessieren Beziehungen viel mehr als das Individuum an sich. Im wirklichen Leben und im Roman. Ich will wissen, was das aus den Figuren macht, wenn ich sie in eine komplizierte Beziehung setze.“

Klassenkrampf

Die Beziehung zwischen den beiden jungen Leuten ist nicht nur kompliziert, sondern von Rooney auch genial konzipiert. Marianne stammt nämlich aus reichem Haus, in dem Connells Mutter als Putzfrau beschäftigt ist. Gesellschaftlich treffen sich da also Wohlstand und Unterschicht, nur sind die Verhältnisse in der Schule völlig umgekehrt. Dort ist Connell als Sportgröße und Klassenbester nämlich äußerst beliebt, während die spröde Einzelgängerin Marianne so gut wie keine Freunde hat.

Leicht macht es Rooney ihren Figuren mit ihrer Gegensätzlichkeit also nicht, sie verrät sie aber auch nicht: „Es gibt keine ironische Distanz zwischen mir und meinen Figuren. Stattdessen möchte ich, ohne Urteile über sie zu fällen, ganz nahe an ihnen dran sein, und das, was ich da beobachte so neutral wie möglich wiedergeben.“

Ganz normal schräg

Und damit sind wir schon ganz knapp dran am Geheimnis von Rooneys Schreiben. Sie liefert keine breiten gesellschaftlichen Panoramen und keine Ausnahmesituationen, sondern Alltägliches, aber aus einer Nähe und Unmittelbarkeit, die „das Normale“ in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen.

Sally Rooney sagt: „Nichts von dem, was die beiden erleben ist außergewöhnlich, sondern völlig alltäglich. Ich mag es in völlig normale Szenen zu schlüpfen und sie von innen in Frage zu stellen, anstatt sie einfach nur von außen wiederzugeben.“

Buchcover, blau und grün

LUCHTERHAND VERLAG

Jane Austen trifft Marx

Dass sich Rooney derart auf ihre beiden Protagonisten konzentriert, heißt nicht, dass sie die Wirkkräfte der Gesellschaft ausklammert. Die zerren und ziehen tatsächlich fortwährend an ihren Figuren. Kein Wunder also, dass sie im englischsprachigen Feuilleton ironisch die „Jane Austen des Prekariats“ genannt wurde.

„Als Marxistin halte ich Klassen für das strukturierende Element unseres gesellschaftlichen Lebens“, so Sally Rooney. „Deshalb will ich in meinen Roman genau beobachten, wie sich Klassen- und Geschlechterunterschiede im Kleinen auf Beziehungen auswirken. Es geht aber darum, diese Phänomene im Moment ihres Einwirkens zu beschreiben, und nicht darum, irgendwelche Schlüsse zu ziehen.“

Die Abenteuer der Generation Z

Sally Rooneys „Normale Menschen“ lassen einen nicht los, weil sie permanent im Fluss sind. Und weil Rooney dabei so hautnah am Geschehen entlang schreibt, erlebt man selbst halb verschluckte Sätze oder winzige Gesten ihrer Figuren wie überraschende Abenteuer, die einen tief hineinführen in die wilde Beziehungslandschaft der Generation Z.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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