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Gedenk- und Erinnerungskultur
100 Jahre Kärntner Volksabstimmung
Ein jahrzehntelang schwelender Konflikt über zweisprachige Ortstafeln, der außerhalb Kärntens auf Unverständnis stößt, Minderheitenrechte, die im Staatsvertrag verankert werden, deren Umsetzung von der lokalen Politik - egal welcher Couleur - jedoch ebenfalls jahrzehntelang ignoriert werden: Die Geschichte der Kärntner Slowenen ist schmerzhaft und durchwachsen. Am 10. Oktober jährt sich die Abstimmung über den Verbleib Kärntens bei Österreich zum hundersten Mal.
6. November 2020, 02:00
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Grenzen in ganz Mitteleuropa neu gezogen worden. In Südkärnten wurde die Bevölkerung am 10. Oktober 1920 gefragt, ob sie zum Königreich Jugoslawien gehören oder bei Österreich bleiben wolle. Der Abstimmung zugunsten des Verbleibs bei Österreich gingen monatelange militärische Auseinandersetzungen voraus.
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kaernten.ORF.at - 100 Jahre Kärntner Volksabstimmung
Historische Gedenkfeier zum 100-Jahr-Jubiläum
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung bei der slowenischen Minderheit "für das erlittene Unrecht" entschuldigt. Beim Festakt im Wappensaal des Klagenfurter Landhauses dankte Van der Bellen am Samstag zugleich seinem slowenischen Amtskollegen Borut Pahor und dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) für den "Mut" zur gemeinsamen Feier.
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ORF.at - Van der Bellen entschuldigt sich
Matinee im Wiener Burgtheater
Das 100-Jahr-Jubiläum war Anlass für Burgtheaterdirektor Martin Kusej, hochkarätige Gäste aus Wissenschaft, Politik und Kultur zu einer Matinee mit dem Titel "Wie viel Zukunft hat unsere Vergangenheit?" zu laden.
Morgenjournal | 05 10 2020 - "Wie viel Zukunft hat unsere Vergangenheit?" im Wiener Burgtheater
Neben Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch diskutierten unter anderem der Zeithistoriker Oliver Rathkolb und die preisgekrönte Autorin Maja Haderlap. Eine zweisprachige Lesung machte den Auftakt der Veranstaltung. Sasa Pavcek, Marko Mandic vom Slowenischen Nationaltheater sowie die Burgtheaterstars Michael Heltau und Elisabeth Orth lasen Texte von Kärntner Autorinnen. Am Podium saß auch die Kärntner Filmemacherin Andrina Mracnikar, die sich seit den Nullerjahren mit Geschichte und Identität der Kärntner Slowenen auseinandersetzt.
Kulturjournal | 05 10 2020 | "Der Kärntner spricht Deutsch" - Dokumentarfilm von Andrina Mracnikar
"Manchmal liegt Kärnten viel weiter weg …"
Es ist ein emotional aufgeladenes Thema. Auch für Burgtheaterdirektor Martin Kusej. Kusej wird 1961 in Wolfsberg geboren. Seine Eltern gehören der slowenischen Volksgruppe an. Trotzdem wird er die slowenische Sprache erst später erlernen, auf Wunsch der Mutter wird in der Familie Deutsch gesprochen.
"Manchmal liegt Kärnten viel weiter weg, als der berühmte Wegweiser auf der A2 verheißt. Und ich bin sicher, dass man hier in Wien gerade noch irgendwann gehört hat, dass es dort im Süden Österreicherinnen und Österreicher gibt, die Slowenisch sprechen." Slowenisch sei nicht seine Muttersprache, so Martin Kusej, dennoch fühle er sich als Teil der slowenischen Minderheit Kärntens.
LUKAS BECK
Marginalisierung der slowenischen Minderheit
Kommende Woche feiert Kärnten das 100-jährige Jubiläum der Kärntner Volksabstimmung. Am 10. Oktober 1920 stimmten 59 Prozent der Bevölkerung für einen Verbleib Südkärntens bei Österreich und damit gegen einen Anschluss an den SHS-Staat - darunter auch ein erheblicher Teil der Kärntner Slowenen. Gedankt wurde es ihnen freilich nicht. Während des "Dritten Reichs" wird das Slowenische verboten, später ist es der gesellschaftliche Druck, der die slowenische Minderheit dazu drängt, sich zu assimilieren.
"Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Feierlichkeiten sofort den Heimatvereinen überlassen" Maja Haderlap
Der Streit um zweisprachige Orttafeln, der 1972 im berüchtigten Ortstafelsturm eskaliert, wird erst 2011 mit einem Kompromiss beigelegt. Die Marginalisierung der slowenischen Minderheit gehörte zum Kärntner Alltag, so die Schriftstellerin Maja Haderlap. "Wenn wir über Kärnten und die Kärntner Geschichte reden, dann merkt man in den Diskussionen sehr schnell ins Emotionale und Irrationale abdriftet. Jede rationale Debatte schlägt in etwas um, das für alle Beteiligten schmerzhaft ist. Ich bin der Meinung, dass diese inneren Konflikte eine Folge der Feierlichkeiten zum 10. Oktober sind."
Heimatverbände haben Narrativ geprägt
Die Republik Österreich, die 1920 aus den Trümmern der K-u-k-Monarchie entsteht, gewährt den Minderheiten in Kärnten und im Burgenland Rechte. Nicht zuletzt in Anlehnung an die supranationale Idee des österreichischen Vielvölkerstaates. In Kärnten werde die Erinnerungspolitik aber von deutsch-nationalen Kräften wie dem Kärntner Abwehrkampf oder dem Kärntner Heimatdienst vereinnahmt. "Das Problem ist, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Feierlichkeiten sofort den Heimatvereinen überlassen wurden, die das Narrativ der Erinnerungskultur geprägt haben", so Maja Haderlap in der gestrigen Burgtheater-Matinee, in der Bruchlinien zwischen Identitäts- und Erinnerungspolitik ausgeleuchtet wurden.
Eine echte Debatte wollte sich auf der hochkarätig besetzten Bühne - neben Haderlap sprachen unter anderem der Diplomat Wolfgang Petrisch und der Zeithistoriker Oliver Rathkolb - zwar nicht entfachen, dennoch darf man von einer symbolischen Setzung sprechen, wenn eine Woche vor der offiziellen 10.-Oktober-Feier im Burgtheater über eine neue Bewertung der Historie diskutiert wird.
Dokumentarfilm von Andrina Mracnikar
"Ich war acht Jahre alt und bin in die zweite Klasse gegangen, als Hitler gekommen ist", erinnert sich eine Zeitzeugin im Gespräch mit der Filmemacherin Andrina Mracnikar. "Von da an haben sie gesagt, dass man deutsch sprechen muss. 'Der Kärntner spricht deutsch!'" Lange haben sie geschwiegen, ihre Erinnerung verdrängt, vergessen wollen. Im Dokumentarfilm "Der Kärntner spricht Deutsch", der 2006 in den Kinos zu sehen war und derzeit auf der Website des Burgtheaters abrufbar ist, kommen Menschen zu Wort, deren Erinnerung von der offiziellen Kärntner Geschichtsschreibung überhört, um nicht zu sagen ausgelöscht worden ist. Sie wurden deportiert, kämpften als Partisaninnen gegen das NS-Regime und wurden nach dem Zweiten Weltkrieg dazu gedrängt, sich zu assimilieren, oder schlimmer als Volksverräter geächtet.
"Bereits mein erster Dokumentarfilm beschäftigt sich mit der Geschichte der Kärntner Partisanen. Es ist ein Film über meinen Großonkel, der bei den Partisanen war und 1944 mit einem Kopfschuss hingerichtet worden ist. Seine Familie wurde daraufhin deportiert. Als sie zu ihrem Hof zurückkehren konnten, war dieser ausgeräumt und verwüstet. Deshalb gibt es kaum Erinnerungen an die Zeit, oder an meinen Großonkel", so Sandrina Mracnikar.
"Es gibt kaum Erinnerungen an meinen Großonkel!"
In den Nullerjahren begibt sich die Filmemacherin auf Spurensuche in ihre Kärntner Heimat und führt Interviews mit Zeitzeuginnen, die während der Nazi-Diktatur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur slowenischen Minderheit in Arbeits- oder Konzentrationslagern interniert worden sind. Und: Sie trifft ehemalige Partisanen, die als Verbündete der Alliierten den Widerstand gegen das NS-Regime organisierten. "Wir haben zwischen 2004 und 2006 gedreht. Bereits damals gab es nicht mehr viele Zeitzeugen. Manche wollten auch nicht sprechen, oder konnten nicht mehr. Deshalb war es mir wichtig, ihre Geschichte zu dokumentieren. Mittlerweile sind alle Protagonistinnen meines Films verstorben", so Mracnikar.
Die Geschichte der Kärntner Slowenen ist schmerzhaft und durchwachsen. Bleibt abzuwarten, ob die Jubiläumsfeierlichkeiten in diesem Jahr dazu beitragen werden, ein neues Kapitel der Kärntner Geschichte aufzuschlagen.
Service
Burgtheater - Der Kärntner spricht deutsch
Adrina Mracnikar