Louise Glück

AP/MICHAEL DWYER

Literaturnobelpreis 2020

Louise Glück im Porträt

Obwohl die US-amerikanische Lyrikerin Louise Glück da und dort als Geheimtipp gehandelt wurde, war die Zuerkennung des Literaturnobelpreis 2020 auch für die meisten Experten völlig überraschend. Die 77-jährige wird "für ihre unverkennbare poetische Stimme" ausgezeichnet, die mit "strenger Schönheit die Existenz des einzelnen Menschen universell macht", so die Begründung.

Der erste Gedichtband von Louise Glück, "Firstborn", erschien 1968. Es folgten elf weitere, "Averno" und "Wilde Iris" sind auch ins Deutsche übertragen. Allerdings sind sie vergriffen, der Verlag ist dabei, die Rechte neu zu verhandeln. Aus dem Amerikanischen übertragen wurden die Gedichte von Ulrike Draesner, erine preisgekrönten Romanautorin, Essayistin und Lyrikerin. Ö1 hat sie am Telefon erreicht.

"Glück sucht das generell Menschliche und findet es mithilfe von Mythen und klassischen Motiven. Stimmen von Dido, Persephone und Eurydike fungieren als Masken für ein Ich in Veränderung, ebenso persönlich wie universell", meinte Andersch Ohlson, der Vorsitzende des Nobelkomitees der Schwedischen Akademie.

An der Sprache geschraubt

Die zahlreichen Wortmeldungen, die an Literaturnobelpreis-Tagen über die Agenturen kommen, sind diesmal ausgeblieben. Und das hat einen einfachen Grund: Der Name Louise Glück ist im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt. Ein Rundruf der Austria-Presseagentur zeigte: Kaum jemand von den heimischen Kolleginnen und Kollegen hat etwas von ihr gelesen.

Louise Glück

Louise Glück, 2016

AP/SUSAN WALSH

Worin liegt für Sie, Ulrike Draesner, die sprachliche Besonderheit von Louise Glück? "Sprachlich benutz sie ein eher einfaches, vor allem ein einfach gebautes Englisch - sehr viel Subjekt, Prädikat, Objekt. Das braucht sie, um dann in kleinen Verschiebungen weiterzudenken. Ihre Gedichte haben eigentlich immer eine kleine "Geschichte", die sehr oft die Entwicklung einer Wahrnehmung oder eines bestimmten Gefühls oder eines psychischen Zusammenhangs ist. Und das entsteht wie in kleinen Bewegungen der Schraube, die immer feiner an der Sprache schraubt und uns dadurch immer tiefer hineinführt in eine Innenwelt."

Kulturjournal | 08 10 2020 | Autorin und Übersetzerin Ulrike Draesner im Interview

Umdeutung der Mythen

"Das zweite Besondere ist für mich ihr Blick auf Mythen", sagt Ulrike Draesner, "auf kulturelle Versatzstücke der westlichen Welt, und die Art und Weise, wie sie die noch einmal erzählt, und in diesem Erzählen - aufgrund eines ganz genauem Hinsehens und Nachfragens - umdeutet und umerzählt. Sie führt uns mit Persephone in die Unterwelt und wir begegnen einem Hades, der zum Beispiel als Mann verstanden wird (…) Plötzlich bekommt die Geschichte ganz andere Dimensionen."

Louise Glück hat einmal gesagt, dass sie es erst lernen musste, in einem Gedicht eine Geschichte zu erzählen. Das ihre Gedichte zuvor wesentlich statischer gewesen seien. Haben Sie diese Entwicklung als Übersetzerin, als Leserin mitverfolgt? "Ja, das kann man so sehen. 'Wilde Iris' ist eine Blumensammlung, allerdings der ungewöhnlichsten Art. Es werden verschiedenste Arten von Pflanzen, Blumen beschrieben. Da geht es primär um deren Dasein, um überhaupt das Wesen dieser Pflanze in Sprache auszudrücken. Während in 'Averno' sich Zyklen finden, die mehr in die narrative Seite der Neudeutung gehen. Dabei sind die Geschichten aber immer sehr stark innere Geschichten. Reisen nicht nur in die Unterwelt, sondern auch in menschliche Innenwelten."

Entdeckungsreise mit scharfer Klinge

Eine aufregende Entdeckungsreise, sei die Lyrik für sie, sagte Louise Glück einmal in einem Interview. Eine Entdeckungsreise, die sie immer wieder zu den großen Themen der menschlichen Existenz führt, zu Leben und Tod und zu Liebe und Verlust. Auf diesen Erkundungstouren stößt sie aber bis in die Schmerzzonen vor, in Bereiche, in denen der sichere Boden wegzukippen scheint und die menschliche Psyche auf dem Prüfstand steht. Sie interessiere die Erforschung des Dilemmas, die psychologische Vorgeschichte.

Louise Glück wurde am 22. April 1943 in New York geboren. Ihre Großeltern waren ungarische Juden, der Vater Geschäftsmann, der als Erfinder des X-Acto-Knifes, eines Messers mit austauschbarer Klinge, zu Ansehen und Reichtum kam. Mit scharfer Klinge ausgeschnitten wirken auch Glücks Gedichte. Kein anderer Lyriker, schrieb ein amerikanischer Kritiker einmal, schneide seine Worte so genau und mit so tödlicher Entschlossenheit wie Glück.

Die Stille des Bewusstseins steht auch am Beginn ihrer Gedichte. In die schleicht sich irgendwann ein neuer Klang, und dem folgt sie dann blind. Ein Ton, den sie höre, nehme sie mit auf eine Reise, und sie habe keine Ahnung, wohin die Reise geht, so die Lyrikerin.

Eine Welt von Ideen in Bewegung setzen

Mit "The Wild Iris" hat Louise Glück 1993 den Pulitzer-Preis gewonnen. Darin lässt sie die Natur selbst zu Wort kommen, die Blumen, den abnehmenden Wind und den Frühlingsschnee. Für eine Lyrikerin, die keine Geschichten erzähle, stelle sich ja immer die Frage, so Louise Glück, wie man Dramatik erzeugen könne. Und ihre Antwort darauf wäre eben, durch unvorhergesehene Richtungswechsel.

Ein anderer wiederkehrender Einfluss in der Lyrik Glücks ist die Antike. In einem Gedicht über den Trojanischen Krieg, fragt sie da etwa sinngemäß, was, wenn Krieg nur eine männliche Version wäre, sich herauszuputzen, ein Spiel, um tiefere, spirituelle Fragen zu vermeiden. Bezugnehmend darauf, meinte Glück einmal, ein Gedicht sei einfach ein guter Ort, um Diskussionen zu starten und eine Vielzahl an Stimmen aufeinandertreffen zu lassen.

Eine Welt von Ideen will Louise Glück in Bewegung setzen und Fragen stellen, die eben nicht so leicht zu beantworten sind. Nach dem National Book Award 2014 hat ihr diese kompromisslose Vielstimmigkeit jetzt auch den Literaturnobelpreis eingebracht.

Service

Auf Deutsch vorliegende Gedichtbände von Louise Glück:
"Wilde Iris", Luchterhand Literaturverlag, 2008
"Averno", Luchterhand Literaturverlag, 2007

Nobelpreis
Wikipedia - Louise Gluck (englisch)
Ulrike Draesner - Übersetzungen

Übersicht