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Burgtheater
Itay Tiran über "Mein Kampf"
Am Wiener Burgtheater kommt George Taboris Farce "Mein Kampf" zur Aufführung - die 1987 in Taboris eigener Inszenierung zur legendären Produktion wurde. Mit den Mitteln des Humors und der Groteske verarbeitet Tabori darin das Trauma des Holocaust, dem unter anderem sein Vater in Auschwitz zum Opfer fiel. Der israelische Schauspieler und Regisseur Itay Tiran ist für die Neuproduktion verantwortlich. Er gehört zum neuen Ensemble des Burgtheaters und hat im Vorjahr schon Wajdi Mouawads "Vögel" inszeniert.
9. November 2020, 02:00
Morgenjournal | 09 10 2020 - Vorbericht zu "Mein Kampf"
Was kann das Stück heute bewirken, ist es legitim über Hitler zu lachen und warum ist es für einen jüdischen Regisseur leichter, dieses Thema anzugreifen? Darüber hat Ö1 mit Itay Tiran gesprochen.
Stolz und geehrt fühlt sich Itay Tiran, Taboris "Kampf" am Burgtheater weiterzuführen und für das 21. Jahrhundert zu befragen. Gerne hätte er Tabori noch selber kennengelernt und gesprochen, aber durch sein Werk bleibe eine Verbindung ins Heute, und Tabori lebendig, ist er überzeugt.
Innenschau eines Überlebenden
Mit dem Schlomo Herzl hat Tabori eine Art Alter Ego geschaffen. Was wir auf der Bühne, in einem hölzern-kargen Zimmerchen sehen, ist eine Art Innenschau dieses Überlebenden der Shoa, der sich mit seinem ewigen Trauma auseinandersetzt und dabei auf die Mittel des Witzes und der Groteske zurückgreifen muss, weil sich anders dem Grauen nicht beikommen lässt.
"Es ist mir sehr wichtig aus der Perspektive des Holocaust-Überlebenden zu erzählen. Eine Person in der Gegenwart versucht ihr Trauma zu rekonstruieren. Das hat auch Tabori schon so geschrieben: ‚Der Kampf ist in meinem Kopf‘. Herzl dirigiert und steuert diesen Kampf, der dem eines Don Quichote gleicht, weil es unmöglich ist, ihn zu gewinnen. Aber er muss in ständigen Kontakt mit seinem Trauma bleiben, weil es da ist."
Kulturjournal | 09 10 2020 - Itay Tiran im Gespräch
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"Humor hilft den Menschen zu überleben"
In der Wahl seiner Waffen, war Tabori äußerst radikal. Sie heißen Humor, Lachen und Liebe. 1987 - In der Zeit der Waldheim-Affäre, als Österreich zum ersten Mal seine Rolle als erstes Opfer des Naziterrors infrage stellen musste, viele Mittäter und Opfer noch lebten, brach Taboris Groteske, die er selbst einen theologischen Schwank nannte, ein Tabu, wirkte provokant und polarisierte. Durfte man so über den Holocaust sprechen, durfte man über das Monster Hitler lachen? Ist es heute legitim darüber zu lachen, in einer Zeit, wo der Antisemitismus wieder auflebt?
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Marcel Heuperman als Adolf Hitler
"Meiner Meinung nach: ja", sagt Itay Tiran. "Eine der wenigen Waffen, die die Linken oder Liberalen in ihrem Inventar haben, abgesehen von Demonstrationen und Gesprächen, ist die Entlarvung des rechten Gedankenguts durch die Lächerlichmachung. Der Humor ist das Werkzeug, mit dem sie die heiße Luft aus diesen Ballonen lassen, das ist ein sehr relevanter Aspekt des Kampfes. Aber der Humor bringt die Menschen nicht nur zum Lachen, sondern hilft ihnen zu überleben. Speziell in der jüdischen Kultur, aus der auch ich komme, hat den Humor den Menschen über Tausende von Jahren geholfen, mental zu überleben. Und es gibt noch einen dritten Aspekt, und das ist, dass der Humor die Seele, den Körper und den Geist befreien kann. Sie führen dazu, dass die Leute ihre Deckung fallen lassen, frei und leicht werden und ohne diese Schutzvorkehrung genau dort berührt werden können, wo es weh tut."
"Der liberale Traum einer globalen, offenen Gesellschaft ist in Gefahr",Itay Tiran
33 Jahre nach der Aufführung gibt es neue Gefahren in der Gesellschaft, so Tiran. Eine neue Rhetorik, eine neue Schwarz-Weiß-Malerei, und eine neue Art von Rassismus, Hass und Antisemitismus. Itay Tiran: "Hass und Rassismus ist immer da - es verändert sich manchmal, erstreckt sich nicht nur auf Juden, sondern auf andere religöse und kulturelle Minderheiten, auf Schwarze, auf Homosexuelle. Die Bedrohung ist da. Und gerade jetzt in Corona-Zeiten, wo uns die Wirtschaftskrise und die Angst fest im Griff hat, besinnen sich alle wieder auf sich selbst. Grenzen werden wieder hochgezogen, man isoliert sich, und der liberale Traum einer globalen, offenen Gesellschaft ist in Gefahr. Amerika first - jeder zuerst. Ich bin sehr pessimistisch."
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Itay Tiran wurde 1980 in Israel geboren. Er studierte Schauspiel in Tel Aviv und war bereits während seiner Ausbildung auch als Regisseur tätig. In Israel ist er ein Star, spielte dort regelmäßig in Fernsehserien und in Filmen, die unter anderem mit einem Silbernen Löwen und einen Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet wurden. Kurzfristig war er Ensemblemitglied am Schauspiel Stuttgart, bevor ihn Martin Kusej ins Burgtheater-Ensemble holte. Hier ist er sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur tätig. Seine jüdischen Wurzeln, seine Herkunft und die Tatsache, dass seine Großmutter Auschwitz überlebt hat, erleichtere den Umgang mit Taboris Stück, so Tiran, ermögliche ihm einen freieren und selbstbewussteren Umgang mit dem Stoff.