Realitätsnahes "dynamisches Konzertstreaming"

27. November 2020, 02:00

Die Konzerte des musikprotokoll werden nicht nur einfach gestreamt - damit hat das Festival für experimentelle Musik schon 1997 begonnen. Beim "dynamic streaming" verändert sich durch die Bewegung des eigenen Kopfes die räumliche Abbildung des Gehörten. So entsteht ein verblüffend realitätsnahes Klangerlebnis. Was man dazu braucht, kennt man aus Videokonferenzen unserer Homeoffice-Zeit: Computer, Webcam und Kopfhörer. Damit können User und Userinnen von zu Hause aus diese neue Art des Hörens bis Ende November ausprobieren.

"Man kann diese Konzerte - im Radio und Fernsehen ist das nicht möglich - interaktiv erleben", so musikprotokoll-Produktionsleiter und Kurator Fränk Zimmer. "Die 5.1-Audio-Aufnahmen des ORF werden mit Videobildern kombiniert, die wir aus sieben Kamerapositionen erstellt haben. Wenn man das Online-File startet, wird gleichzeitig die Kopfbewegung in Echtzeit mitberechnet. Die Räumlichkeit der Aufnahme wirkt realistischer und kommt der Wirklichkeit noch einen Schritt näher."

Orchesterklang und Premiere von Dorian Concept

Geboten werden Höhepunkte aus dem Programm des 1968 gegründeten Festivals, das heuer unter dem Motto "Hidden Sounds" stand: Das virtuose Arditti Quartet erweckt den Klangkosmos von Clemens Gadenstätters Streichquartetten. Sie sind Klangphänomenen auf der Spur, die uns umgeben: häuten, schlitzen, reißen.

Marin Alsop, Chefdirigentin des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, gab ihr musikprotokoll-Debüt: Das Klavierkonzert von Philipp Maintz baut Versatzstücke der großen romantischen Klavierkonzerttradition zusammen - ein Werk wie ein gigantischer musikhistorischer Rubik's Cube, den Pianist Joonas Ahonen zwischen seinen fingerfertigen Händen in immer neuen Farbkombinationen schillern lässt. Das RSO wuchtet in fast 100-köpfiger Großbesetzung "Disparates" von Jorge E López auf die Bühne der Helmut List Halle. Eine klangmächtige Erforschung der inneren Struktur von Beethovens Klavier-Bagatellen mit mehrfacher Bläserbesetzung und Schwerpunkt auf den Bass-Instrumenten.

Auch die österreichische Erstaufführung von "Hyperopia" ist in diesem neuen Raumklang zu erleben. Es ist die erste Orchesterkomposition von Elektronikproduzent Dorian Concept, interpretiert vom renommierten Klangforum Wien. Eine Aufführung, die ursprünglich im Wiener Konzerthaus stattfinden sollte, aber Corona-bedingt nach Graz gewandert ist.

Oper und Cembalo im Raumklang

Peter Jakober, Gewinner des heurigen Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionswettbewerbs, schuf für das musikprotokoll das Musiktheaterstück "Populus". Eine eindringliche Arbeit mit Librettist Ferdinand Schmatz, die die "Kronen Zeitung" in einer Kritik staunen ließ: "Wie spannend kann Oper sein!"

Jakober ist auch bei einem weiteren Projekt mit einer Komposition beteiligt, das im interaktiven Videostream zu erleben ist: Die virtuose Cembalistin Maja Mijatovic zeigt, wie vielfältig das Cembalo klingen kann, wenn Komponierende sich diesem Instrument widmen. Ein Instrument, das sonst eher selten bei zeitgenössischen Festivals im Mittelpunkt steht, zeigt überraschende Facetten. Eine Klangreise zwischen feinem Flirren und mächtigen Drones, die im neuen Streaming-Format eindrucksvoll vermittelt wird.

Technische Voraussetzungen

Das Projekt "dynamic streaming" hat das ORF musikprotokoll in Zusammenarbeit mit dem Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz (IEM) erstellt. Um es erkunden zu können, benötigt man: Computer oder Laptop mit Internetzugang (kein Smartphone oder Tablet), Webcam (ohne Webcam erleben Sie die Konzerte ohne Head-Tracking Funktion), möglichst hochwertige Kopfhörer und die Internetbrowser Firefox, Chrome oder Opera.

Service

musikprotokoll.ORF.at - dynamic streaming

Gestaltung

• Rainer Elstner