Syrischer Oppositionskämpfer

AFP/OMAR HAJ KADOUR

Radiokolleg

Der Kampf um Syrien

Wenige Monate nach dem Beginn des Arabischen Frühlings gingen auch in Syrien die Menschen auf die Straße. „Nieder mit dem Regime - jetzt bist du dran, Doktor“ lautete eine der Parolen, die junge Syrer/innen im Frühjahr 2011 an Hauswände sprühten.

Demonstrantin hält Schild hoch

"Ich liebe dich mit meinem ganzen Herzen, Baschar!", März 2011

AP/HUSSEIN MALLA

Gemeint war Baschar al-Assad, ein ausgebildeter Augenarzt, der nach dem Tod seines Vaters, Hafiz al-Assad, im Jahr 2000 neuer Staatspräsident geworden war. Der junge Assad galt zunächst als Reformer, kurzfristig war sogar von einem „Damaszener Frühling“ die Rede, doch bald schlug Baschar al-Assad einen ebenso harten Kurs ein, wie ihn sein Vater drei Jahrzehnte lang verfolgt hatte.

Demonstranten in Damaskus, April 2011

Demonstranten in Damaskus, April 2011

AP/STR

Zerstörung, Armut und Not prägen das Leben in Syrien

2011 gingen Sicherheitskräfte rigoros gegen die Demonstrant/innen vor, die Lage eskalierte binnen Kurzem. Ein Krieg brach aus, der sich infolge landesinterner und regionaler konfessioneller Spannungen rasch internationalisierte. Das Assad-Regime stützt sich auf die Alawiten, eine schiitische Minderheit, während die Mehrheit der Syrer Sunniten sind. Der Iran, die Türkei, diverse arabische Länder, dann der „Islamische Staat“ sowie auch Russland und die USA griffen in den Krieg ein.

Neun Jahre später ist die Bilanz verheerend: Mehr als ein halbe Million Menschen sind im Krieg getötet worden, circa 6,7 Millionen sind ins Ausland geflohen, an die 6,2 Millionen gelten als Binnenvertriebene. Zerstörung, Armut und Not prägen das Leben in Syrien. Auch wenn in Europa vor allem die große „Flüchtlingswelle“ 2015 in Erinnerung geblieben ist, fest steht: Die meisten geflohenen Syrer/innen haben in den angrenzenden Staaten Zuflucht gefunden, in der Türkei, im Libanon und in Jordanien. Ob oder wann sie zurückkehren können, ist auch Ende 2020 nicht absehbar.

Militärische Kampfhandlungen finden kaum noch statt, das Assad-Regime kontrolliert wieder die meisten Landesteile, doch von einem Frieden oder gar Neuanfang kann keine Rede sein. 2019 trat unter der Ägide der Vereinten Nationen erstmals eine Verfassungsversammlung für Syrien zusammen, in der Mitglieder sowohl der Regierung als auch der Oppositionskoalitionen und der Zivilgesellschaft vertreten sind. Der Ausgang ist ungewiss.

Schwieriger Wiederaufbau

Für internationale Organisationen stellt sich indes die Frage, wie weit die Hilfe gehen kann und soll. Soll lediglich Nothilfe geleistet werden, soll die Basis-Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Wasser- und Stromversorgung wiederaufgebaut werden? Wie kann man Not leidenden Menschen mehr als nur das blanke Überleben sichern, wie kann man ihnen die Basis für eine Zukunft geben, ohne zugleich das Regime zu stärken? Ein Regime, gegen das die niederländische Regierung ein internationales Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Einsatz von Chemiewaffen vor dem Gerichtshof der Vereinten Nationen einleiten will.

Über den Wiederaufbau machen sich aber auch syrische und westliche Kunsthistorikerinnen, Architekten und Kulturwissenschaftler Gedanken. Das Gebiet des heutigen Syrien gehörte einst zum assyrisch-mesopotamischen Kulturraum, in dem unter anderem die ersten Tontafeln mit Keilschrift hergestellt wurden. Aleppo zählt zu den ältesten durchgängig besiedelten Städten der Welt.

Syrische Einwohner in der Nähe von Aleppo, Oktober 2020

AP

Ungewisse Zukunft

Später entwickelten sich in der Region bedeutende Zentren des Christentums. Auf dem Weg nach Damaskus hatte Saulus jene Begegnung mit Christus, die ihn zum Apostel Paulus werden ließ. Wiederum Jahrhunderte später brachten muslimische Gelehrte hier die Wissenschaft voran. Das reiche kulturelle Erbe und die große Zahl an historischen Stätten lockten in den 1990er und frühen 2000er Jahren viele Europäer/innen nach Syrien.

Was heute noch davon erhalten, was zu retten und zu sanieren ist, lässt sich derzeit nur schwer feststellen. Alles hängt von den politischen Entwicklungen ab, von geostrategischen Interessen und davon, welchen Frieden und welche neue Verfassung für Syrien sie ermöglichen werden.

Idlib, März 2020

Idlib, März 2020

AP/FELIPE DANA

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