Derwisch in Damaskus, 2008

AFP/LOUAI BESHARA

Spielräume

Die vielseitige Musik Syriens

Es war im April oder Mai 2011, als ich das letzte Mal in Syrien war. Auf den Dächern standen bereits Scharfschützen. Ich erinnere mich noch an die Straßensperren voller bewaffneter Männer, die meinem Cousin und mir gehörig Angst einjagten, als wir des nachts aus der Altstadt von Aleppo ins Haus meines Onkels zurückkehrten. Dieses Haus liegt im westlichen Teil der Stadt, in jener Zone, die von der Zerstörung weniger betroffen war.

Aleppo war bis dahin ein sehr ambivalenter Ort für mich. Einerseits war eine große Vertrautheit zu spüren, eine besondere Nähe, die ich zu dieser Stadt empfand, besonders zu ihrem alten Teil. Andererseits fühlte ich mich immer irgendwie fremd. Auf der Straße wurde ich sofort als „Ausländerin“ erkannt, obwohl ich nicht wesentlich anders aussah, als meine Cousinen. Und in der Familie gab es strengere Regeln und einen formelleren Umgang, als ich ihn von zuhause gewohnt war.

Tatsächlich war das Leben in Syrien ganz anders als jenes, das ich aus Österreich kannte. Es dauerte lange, bis ich dort meine eigenen Wege gehen konnte. Dazu gehörte für mich, die kreative Seite des Landes zu entdecken, vor allem die Musik.

Das musikalische Zentrum des Landes

Aleppo war nicht nur eine alte Handelsstadt, sondern lange Zeit das musikalische Zentrum des Landes. Besonders die geistliche Musik hatte einen großen Stellenwert. Sowohl in den zahlreichen Sufibruderschaften, als auch in den Kirchen der Stadt, war die Musik nicht wegzudenken. Oftmals begann der Weg eines Sängers in der Muezzinschule.

Aleppo war für seine Muezzine berühmt. Der Gebetsruf gilt aber nicht als Musik. Die Koranrezitation auch nicht – und doch kann man damit die Grundlagen des Musizierens erlernen.

Sabah Fakhri

Das war auch bei Sabah Fakhri der Fall, einer Sängerikone Aleppos, die jahrzehntelang nicht nur das Publikum der zweitgrößten Stadt des Landes in seinen Bann zog. Eines seiner Lieder ist die heimliche Hymne des Landes.

Sabri Moudallal

Einen komplett anderen Weg, viel leiser, ging der Muezzin Sabri Moudallal. Mit seiner wunderschönen Stimme konnte er noch als sehr alter Mann die Menschen verzaubern. Ich war von der Innigkeit seines Gesanges immer besonders berührt. Mittlerweile ist er gestorben. Sabah Fakhri lebt schwer krank im Libanon.

Nouri Iskandar

Auch der bedeutendste Forscher und Sammler der christlich syrischen Musik, Nouri Iskandar, lebt nicht mehr in Syrien, sondern in Schweden. Ich erinnere mich noch, als ich ihn das erste Mal in seinem Büro in Aleppo besucht habe, im Januar 2003. Er war Direktor des Konservatoriums und Komponist. Für mich bedeutete dieses Gespräch den Eintritt in eine neue Welt. Plötzlich wurde aus der Stadt meiner Vorfahren väterlicherseits, mein Aleppo.

Syrien - nur noch eine Erinnerung?

Während der nächsten Jahre gelang es mir, den Kontakt zu den Musikschaffenden in Syrien zu intensivieren. 2008 wurde Damaskus „Kulturhauptstadt der arabischen Welt“. Das gab der Stadt einen gewaltigen Schub in Sachen Kunst. Aufbruchsstimmung, wohin man hörte. Und dann kam der Krieg…Zerstörung, Flucht, Verlust. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Für mich steht fest, ich will das Land nie wieder betreten. Mittlerweile ist „mein“ Syrien in Österreich. Es ist eine neue Art der Begegnung. Wir alle, ob wir von hier stammen oder aus Syrien herkamen, finden ganz neue Wege zueinander. Musik, Literatur, Zeichnung und Malerei, haben ein feines Netz gesponnen, durch das wir alle verbunden sind. Dafür bin ich dankbar.

Gestaltung: Nadja Kayali