
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Im Gespräch
Es gibt Dinge, die sind nicht verhandelbar!
Renata Schmidtkunz im Gespräch mit Heide Schmidt, ehem. Politikerin und Juristin.
6. Dezember 2020, 02:00
Sendung hören
Im Gespräch | 5. 11. 2020
Heide Schmidt, Juristin und pensionierte Politikerin, hat ihr erstes Buch geschrieben: „Ich seh das so. Warum Freiheit, Feminismus und Demokratie nicht verhandelbar sind“.
Dass Heide Schmidt, die 1948 im Allgäu geboren wurde und als zweijähriges Kind mit Mutter und Schwester nach Wien übersiedelte, das Buch mit der Hand schrieb, passt zum Duktus dieser denkerischen und politischen Autobiografie.
Sie erzählt von ihrem Werden als Mensch, persönlich und politisch. Sie erzählt von ihrer frühen Begeisterung für eine Politik, die Gesellschaft gestalten will. Weswegen sie sich als junge Studentin der Rechtswissenschaften dem Ring freiheitlicher Studenten anschloss, hoffend, dass sie so liberales Gedankengut befördern könne.
„Wo ein Wille, da ein Weg“
Ihr Bruch mit der FPÖ des Jörg Haider machte sie zur Gründerin einer liberalen Partei, dem Liberalen Forum. Das war ein wichtiger Schritt für die österreichische Parteienlandschaft und Demokratie, auch wenn sich das über die Jahre nicht halten ließ. 2009 verabschiedete sich Heide Schmidt aus der aktiven Politik und damit auch aus dem Parlament, über das die überzeugte Demokratin sagt, es sei das Herz der Demokratie. Seither beobachtet und analysiert Schmidt die österreichische Innenpolitik und das globale Weltgeschehen und meldet sich immer wieder mit klaren Statements für Demokratie und Rechtsstaat zu Wort.
Zum Feminismus sei sie erst recht spät gekommen. Ihre alleinerziehende Mutter habe ihr den Satz „Wo ein Wille, da ein Weg“ mitgegeben, der ihr „viel zu lange die Sicht auf strukturelle Zusammenhänge“ versperrt hat. „Feminismus bedeutet heute für mich, gegen ungerechte Herrschaftsverhältnisse zu kämpfen und dabei einen Schwerpunkt auf Frauenpolitik zu legen.“
„Ich tue mir schwer damit, wenn ein Innenminister die Menschenrechte neu diskutieren will“
Die rechtsstaatliche Demokratie mit ihren langsamen Verläufen und differenzierten Spielregeln ist für die Juristin Heide Schmidt die beste aller Regierungsformen. Sie gewährleistet Menschenrechte, Gleichheit und Freiheit, drei fundamentale Werte. Und genau diese würden heute mehr und mehr bedrängt werden.
„Ich tue mir schwer damit, wenn ein Innenminister die Menschenrechte neu diskutieren will“, sagt Schmidt und man merkt ihr die Erschütterung an. „Demokratie muss man sich leisten können. Und zwar immer.“ Auch in Zeiten von Krisen wie jener der Corona-Pandemie.
Trotz der gebotenen Schnelligkeit des Krisenmanagements durch die Regierung, die für Schmidt im Moment auch vieles richtig macht, sei es nicht akzeptabel, dass der Bundeskanzler „in fünf dicken Paketen“ 144 Gesetzen zur Pandemie-Bekämpfung als sogenannte Sammelgesetze einbringen ließ, ohne eine differenzierte Einzelabstimmung durchzuführen. Und dass Bundeskanzler Kurz 2018 bei seinem Rücktritt nach dem Misstrauensvotum mit dem Satz „Das Parlament hat bestimmt, aber das Volk wird entscheiden“ abging, brachte für sie seine „antiparlamentarische und auch antidemokratische Haltung“ zum Ausdruck“.
Aufgeben ist für sie keine Option
Die Gemengelage, in der wir uns nun, nach dem Attentat von Wien befinden, sei eine äußerst beunruhigende. Die Reaktionen von Innenminister und Kanzler - Stichwort: die vorzeitige Entlassung des Attentäters sei Grund des Anschlages - empfindet Heide Schmidt als einen Anschlag auf die österreichische Justizpolitik. Zu sagen, jetzt sei nicht die Zeit, um kritische Fragen zu stellen, käme einer Mundtotmachung der Opposition gleich.
Im Gespräch mit Renata Schmidtkunz nimmt Heide Schmidt auch Stellung zu der für sie unakzeptablen österreichischen und europäischen Flüchtlingspolitik. Trotzdem: aufgeben ist für sie keine Option.