Ausschnitt des Covers

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Yoshiharu Tsuge

Der existentialistische Manga "Der nutzlose Mann"

Japanische Comics, genannt Mangas, galten lange als schrille, actiongeladene Unterhaltung, in denen fantastische Superhelden quer über die Seiten flogen. Einer, der den Mangas dabei half, erwachsen zu werden und in die seriöse Literatur Eingang zu finden, ist Yoshiharu Tsuge, dessen Werke jetzt erstmals auf Deutsch erscheinen, jüngst sein Opus Magnum "Der nutzlose Mann".

Mittagsjournal | 16 11 2020

Wolfgang Popp

Gleich das Eröffnungskapitel in "Der nutzlose Mann" zeigt, wohin die Reise geht. Das heißt "Das Langeweilezimmer" und der Hauptdarsteller, ein erfolg- und ehrgeizloser Mangazeichner, mietet sich darin, ohne das Wissen seiner Frau, ein Zimmer.

Poesie am Rande des Abgrunds

Dort denkt er Stunden über Stunden über sein Leben nach und geht dabei schonungslos mit sich, aber auch mit der Gesellschaft ins Gericht.

"An Tsuge finde ich spannend, dass er einerseits dieses sehr Literarische und Poetische in die Manga-Welt einbringt, andererseits aber sehr radikale und abgründige Welten schafft. Diese psychischen Abgründe, die sich bei Tsuge auftun, haben schon eine besondere Wucht", so die Japanologin Nora Bierich, die "Der nutzlose Mann" ins Deutsche übersetzt hat.

Comic

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Einzelgängerische 80er Jahre

In der japanischen Literatur kannte man das Genre des Ich-Romans seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und Tsuge brachte die radikale Selbstbeschau nun in die Manga-Welt ein. Interessant war der Erscheinungszeitpunkt Mitte der 80er Jahre, etwa zeitgleich als auch Haruki Murakami seine melancholischen Einzelgänger durch Tokio schickte. Damals feierte die japanische Wirtschaft nämlich gerade unglaubliche Höhenflüge, die Grundstückspreise stiegen ins Unermessliche.

Steinesammeln während der Hochkonjunktur

Das Areal des Kaiserpalastes in Tokio, hat man damals ausgerechnet, war genauso viel Wert wie ganz Kalifornien. Und durch diesen von reinem Effizienzdenken getriebenen Turbokapitalismus lässt Tsuge nun seinen nutzlosen Mann und andere Außenseiter, darunter Steinesammler und einen alten Antiquar torkeln.

Nora Bierich: "Er stattet seine Figuren mit einer großen Menschlichkeit aus und zeigt damit, dass Nutzlosigkeit durchaus einen Wert darstellt. Dass diese Menschen eben nicht nichts, sondern gerade sehr viel Wert sind. Und in einer Gesellschaft, in der Fähigkeiten verlangt werden und Talente optimiert werden müssen, ist das natürlich eine extrem gesellschaftspolitische Aussage."

Umschlag

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Manga-Pionier

Bereits in den 60er-Jahren war Yoshiharu Tsuge, Jahrgang 1937, federführend an der Erneuerung der Manga-Literatur beteiligt. Damals zeichnete er für das Magazin Garo, das abseits der kommerziellen Verlage versuchte, Kunst und politische Anliegen zusammenzubringen und das Manga-Genre aus der Kinderecke zu holen.

"Da gibt es Geschichten über vergessene Thermalbäder und andere Orte jenseits der ausgetretenen Pfade. Tsuge ist also am traditionellen Japan interessiert, aber nicht am Postkarten-Japan mit Fudschijama, Geishas und Sushi, sondern am volkstümlichen Japan, von dem viele Intellektuelle fürchteten, dass es verschwinden könnte", so der US-amerikanische Japanologe Ryan Holmberg, der in einem aufschlussreichen Nachwort über Leben und Werk Tsuges erzählt.

Preis für Lebenswerk in Frankreich

Die Zurückgezogenheit des nutzlosen Manns, erfährt man darin, hat Tsuge auch selbst praktiziert. Nora Bierich: "Er führt ein abgeschottetes Leben und hat ja auch immer wieder große psychische Schwierigkeiten gehabt, sodass er teilweise gar nicht anders konnte als sich zurückzuziehen."

Gelegentlich taucht Yoshiharu Tsuge aber auf aus seiner selbstgewählten Isolation. Zuletzt im Jänner, als der mittlerweile 82-Jährige beim Comic-Festival im französischen Angoulême den Ehrenpreis für sein Lebenswerk entgegennahm. Ein schöner Erfolg für einen nutzlosen Mann.

Service

Yoshiharu Tsuge, "Der nutzlose Mann", aus dem Japanischen von Nora Bierich, Reprodukt

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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