Menschen von oben fotografiert

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Muslime und Medien

Von oben herab

Muslime kommen in der Berichterstattung oft in Zusammenhang mit negativen Bildern vor: Islamismus, Terror, Gefahr, das belegen zahlreiche Studien. Die Rhetorik der Politiker beeinflusst das. Und in den Redaktionen sind immer noch zu wenige muslimische Kollegen und Kolleginnen, die dieses Bild beeinflussen können. Die Kritik: man rede über Muslime, aber zu wenig mit ihnen.

"Das Verhältnis Muslime und Medien ist extrem schlecht in Österreich", befindet Melisa Erkurt, Journalistin und Autorin mit bosnischen Wurzeln. Das belegen Studien immer wieder. Die letzte Studie in Österreich liegt allerdings acht Jahre zurück. Sie zeigte, dass die dominanten Themen vor allem Islamismus und Islamkritik waren. In Erinnerung ist auch ein "profil"-Cover aus dem Jahr 2015, es titelte: "Was den Islam gefährlich macht".

Islam im Kontext von Gefahr, dieses gleiche Bild zeichne eine aktuellere deutsche Medienstudie, die auch für Österreich zutreffe, sagt der Politologe und Islamwissenschafter Rami Ali. Sechzig bis achtzig Prozent der Berichterstattung stünden "im Kontext von Rückständigkeit, Fanatismus, Frauenunterdrückung, Gewalt und Terror".

"Das Vertrauen ist weg"

Auf den Bildern häufig zu sehen: bärtige Männer, verschleierte Frauen von hinten. Kaum verwunderlich, dass viele Menschen in den muslimischen Communities den österreichischen Medien nicht vertrauen, sagt Erkurt: "Es wird immer schwieriger Muslime und Musliminnen zu finden, die sich interviewen lassen, das Vertrauen ist weg." Selbst wenn man, wie aktuell, auf rassistische Übergriffe gegen Muslime und Musliminnen aufmerksam machen will, die nach dem Terroranschlag in Wien im November stark zugenommen haben. Und obwohl Bundeskanzler Sebastian Kurz in seiner Rede nach dem Anschlag betont hat, nicht die Muslime seien unsere Feinde, sondern der Terror.

Prägende Sprache der Politik

Für viele Muslime war das eine ersehnte Botschaft, sagt Rami Ali, aber glaubwürdiger sei Kurz deshalb noch nicht: "Absolut nicht, wenn man an 364 Tagen im Jahr eine konfrontative Rhetorik gegenüber Musliminnen und Muslimen an den Tag legt, und das an einem Tag nicht macht, ist das nicht glaubwürdig." Denn die Medien übernehmen die Rhetorik der Regierung, sagt Rami und erinnert an viele aufgeheizte Debatten - etwa über Kopftuchverbote, Moscheen-Schließungen und den Kampf gegen den politischen Islam und den Terror, wie bereits wenige Tage nach dem Anschlag. Die Auswirkungen der öffentlichen Debatte zeigt eine Studie der Universität Salzburg aus dem Vorjahr. Demnach will fast die Hälfte der Bevölkerung, dass Rechte von Muslimen eingeschränkt werden, und 70 Prozent sagen, Muslime seien keine kulturelle Bereicherung.

"Qamar" heißt ein neues Magazin

Dem will ein neues Magazin entgegenwirken. Es heißt "Qamar" - das arabische Wort für Mond - und erscheint erstmals am 10. Dezember. Herausgeber und Chefredakteur ist Muhamed Beganovic: "Weil ich nicht mehr will, dass Muslime nur zu Wort kommen, wenn es heißt, sich von Terror, von politischem Islam und Kopftuchdebatten zu distanzieren. Sie sollen im Bereich Kultur, im Feuilleton oder zum Sport auch mal was sagen." Das Magazin soll sich mit vielen Themen befassen, etwa Literatur, Kultur und Gesellschaft, und auch kritisch sein und nicht nur "Feel-good news" machen.

Beganovic' eigener Start im österreichischen Journalismus war nicht immer leicht - in besonderer Erinnerung ist ihm ein Vorstellungsgespräch mit einem Chefredakteur einer renommierten Zeitung, dieser sagte ihm, "dass er bei Muslimen kein Bildungs- und Integrationspotenzial sieht, worauf das Gespräch beendet wurde und ich gegangen bin".

"Ein Kopftuch brauch ma da jetzt"

Muslimische Journalisten und Journalistinnen gibt es noch nicht viele in österreichischen Redaktionen, in den Chefetagen schon gar nicht. Von Vorurteilen erzählt auch Nour Khelifi, freie Journalistin aus Wien, sie schreibt für "Qamar" und arbeitet für den deutschen ZDF-Jugendsender FUNK. Sie trägt ein Kopftuch. "In einigen Redaktionen habe ich gemerkt, dass ich die erste muslimische Frau war, mit der man jemals Kontakt hatte, beziehungsweise die erste in der Redaktion." Das habe sie schockiert, und eine Kollegin habe sie sogar gefragt, ob sie Islamistin sei.

Von Servus TV wurde sie vor kurzem zu einer Diskussion eingeladen mit dem Titel: "Radikaler Islam, sind wir zu tolerant?" Khelifi vermutet hinter der Fragestellung Hetze und kein ehrliches Interesse, sondern Quotendenken: "Ein Kopftuch brauchen wir da halt eben jetzt, das ist die diskriminierende Denke, von der ich rede."

Medien blenden eine ganze Gruppe aus

Amra Durić, Journalistin bei der Gratiszeitung "Heute", beschreibt sich als nicht praktizierende Muslimin und erzählt, wie schwer es sogar für sie ist, auf Augenhöhe ins Gespräch zu gehen. Sie meint, es wäre wichtig, dass Journalistinnen mit Kopftuch Interviews machen. So könne man Vertrauen aufbauen, weil die Interviewten dann auch wüssten, dass ihre Welt verstanden werde. Eine "Susanne" oder "Anna" könne das nicht, weil sie keine Ahnung habe. Das ganz normale muslimische Alltagsleben, mit und ohne Kopftuch, in den unterschiedlichsten Communities, komme nicht ans Licht. "Der Verlust ist, dass wir eine komplette Leserschaft übersehen. Dass du eine Lebensrealität, die es gibt, einfach nicht wahrnimmst", sagt Durić. "Ich denke schon, dass man die Leute damit noch mehr ausgrenzt und irgendwann als Medium irrelevant wird."

Muslimische Influencer stark im Netz

Ihre Stimme erheben muslimische Blogger und Influencerinnen aber lautstark im Netz. Auf Instagram und TikTok diskutieren sie über Diskriminierung, Rassismus, ihr Gefühl, Opfer zu sein, über Feminismus. Grundsätzlich super, sagt Melisa Erkurt, aber sie sehe wenig Selbstkritik bei den Leuten - wohl aus Angst, dass sie von der eigenen Community kritisiert würden.

Zwickmühle und Generalverdacht

Die Angst, nicht solidarisch zu sein, betrifft viele muslimische Journalisten, erzählt Simon Kravagna. Er hat das Magazin "Biber" gegründet und leitet jetzt das FJUM, eine Weiterbildungseinrichtung für Journalisten: "Einerseits werden die Kolleginnen, wenn man sie noch nicht gut kennt, verdächtigt: Sind die überhaupt neutral, wenn es um Religion und den Islam geht? Und auf der anderen Seiten werden junge Journalisten von der eigenen Community angefeindet, wenn sie zu kritisch berichten. Nach dem Motto: Wir haben eh schon so ein schlechtes Image in Österreich, jetzt kommst du auch noch und machst uns runter." Zugespitzt gefragt: Kann man mit Kopftuch wirklich nicht objektiv berichten?

Mit Kopftuch die ZIB moderieren?

Ist es vorstellbar, dass zum Beispiel eine "Zeit im Bild"-Moderatorin ein Kopftuch trägt? Melisa Erkurt sagt ja, ebenso wie Amra Durić und Nour Khelifi. "Zeit im Bild"-Chefredakteur Matthias Schrom kann sich das nicht vorstellen. Er betont, er lehne alles ab, was auf eine persönliche Einstellung der Moderatoren hinweise - egal ob religiös, sportlich oder politisch, nichts solle von der Berichterstattung ablenken.

Gemeinsam undercover recherchiert

Einen Weg, wie ein Miteinander gelingen kann, zeigt Simon Kravagna. Beim "Biber" hat er mit einer muslimischen Kollegin undercover eine Reportage über islamische Kindergärten gemacht, um herauszufinden, ob sie besorgniserregend seien. Zuerst zog die Kollegin alleine los und sagte dann, sie habe nichts Verdächtiges gesehen, erzählt Kravagna. Er fragte sich, ob sie manche Dinge vielleicht einfach nicht sehe, und ging beim nächsten Besuch mit, getarnt als ihr Ehemann.

Beide fanden "nichts Dschihadistisches", wie er sagt, aber gemeinsam hätten sie ein runderes Bild bekommen und ihre unterschiedlichen Sichtweisen erkannt. Kravagna: "Findet man die Anzahl der Frauen, die Kopftuch tragen, problematisch? Ist es problematisch, wenn den Kindern was aus dem Koran erzählt wird, oder ist das wie bei uns beim Nikolaus?"

Muslimische JournalistInnen suchen

Kravagnas Empfehlung an Redaktionen: aktiv Personen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund suchen. In vielen Redaktionen ist das ein altes Lippenbekenntnis. Nour Khelifi hat einen Tipp für die Stellenausschreibungen. Man solle zeigen, dass man wirklich Interesse habe und "dass auch alle willkommen sind".

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