AP/SWAYNE B. HALL
Spielräume
Partystimmungen in Zeiten der Pandemie
Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Heißt es. Doch wie soll man entspannt feiern, wenn Feste zu gefährlichen Fallen werden können?
27. Jänner 2021, 02:00
Der Verzicht auf große Geselligkeiten fällt vielen schwer, gerade in dieser unter normalen Umständen von familiären Zusammenkünften, kollegialen Punsch-Parties und Silvester-Vorglüh-Gelagen unter Freunden durchsetzten Zeitspanne zwischen Weihnachten und Neujahr. Doch heuer lautet die Devise: Feiern bitte nur in kleinsten Kreisen und in hermetischen Haushaltsmengen.
CHRISTIAN BIADACZ
Sebastian Krämer
Denn statt dem Nachzutrauern, was heuer alles an Gewohntem nicht möglich ist, lassen sich den aktuellen Bedingungen ja auch Vorteile abgewinnen. Zu diesem Zweck hat Peter Blau akustisch abwechslungsreiches, heilsames und humorvolles deutschsprachiges Liedgut poetisch, satirisch und musikalisch versierter Singer-Songwriter versammelt – und die Spielräume in drei Bereiche gegliedert: Zunächst geht es um mehr oder weniger vermisste Verwandte, danach um die Vorzüge der friedlichen Zweisamkeit und schließlich um die verzichtbaren Facetten vergnügungspflichtiger Silvesterfeiern. Wer braucht schon Bleigießen?
Trefflicherweise „Liebeslieder an deine Tante“ heißt das Anfang Dezember erschienene neue Album des Berliner Chansonniers Sebastian Krämer, an dessen Entstehung übrigens ob der heuer unerwartet häuslichen Umstände seine ganze hochmusikalische Familie mitgewirkt hat. So etwas hat halt leider nicht jeder zuhause. Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten, der Ausnahmesituation familiensinnstiftende Nebeneffekte abzugewinnen. Als risikolose Alternative zu physischen Verwandtenbesuchen unternehmen Funny van Dannen und Georg Ringsgwandl gedankliche Zeitreisen zu geliebten Großelternteilen.
Als Türöffner für den nächsten Spielraum – über die traute Zweisamkeit – fungiert die Liedermacherin Dota Kehr, die Anfang des Jahres eine CD mit Vertonungen ausgewählter Gedichte von Mascha Kaléko veröffentlicht hat. Für die kongeniale musikalische Würdigung der innigen, bisweilen ironischen und oft herzlich beseelten Großstadtlyrik, die Kaléko in den 1930er Jahren in Berlin schuf, bekam sie bei diesem Album prominente Unterstützung von Hannes Wader bis Konstantin Wecker. Den berührenden Vierzeiler „Was man so braucht“ hat sie zusammen mit der Leipziger Band „Karl die Große“ eingespielt.
Man braucht nur eine Insel
Allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.
ANNIKA WEINTHAL
Ein Gedicht, das gerade unter den aktuellen Umständen, in denen manche die Versammlungs- und Besuchsbeschränkungen als Freiheitsberaubung empfinden mögen, ganz besonders gilt. Denn „Wenn zwei zueinander passen, werden sie nicht viel vermissen“, singt Danny Dziuk.
Es ist halt nur leider nicht jedem so ein ideales Pendant als Partner an der Seite beschieden. Und nur wenige verfügen über die Fähigkeit, auf Dauer gut mit sich allein zurechtzukommen. Nicht nur in Zeiten gesetzlich reduzierter Sozialkontakte werden daher viele unserer Entscheidungen vom sehr menschlichen Bedürfnis beeinflusst, nur ja nicht allein zu sein. Ein Umstand, von dem Anna Mateur ein Lied zu singen weiß. Und wie! Dieses virtuose Dresdner Naturereignis verfügt über eine Stimme, die bei Bedarf alle Stückerln spielt: von Oper bis Kreissäge, von Nachtklub bis Nebelhorn. Ihre Bühnenshows sind stets große Kleinkunst: Intelligent und hinterhältig – und dabei hochkomisch, berührend und bisweilen bitterböse.
Doch zurück zum Alleinsein. „Küssen kann man nicht allein“ erkannte 2008 die einstige Galionsfigur der Neuen Deutschen Welle und Musikproduzentin Anette Humpe – und machte diese fundamentale Erkenntnis ihrem Kollegen Max Raabe zum Geschenk. Dem gefiel sie so gut, dass er prompt – mit ihrer Unterstützung – ein ganzes Album unter diesem Titel produzierte. Mit einem Song dieser CD biegt die Sendung in ihre Zielgerade in Richtung Jahreswechsel ein: „Mit Dir möchte ich immer Silvester feiern“.
In weiteren wichtigen Rollen bei diesem musikalischen Stimmungs- und Sittenbild zwischen den Jahren agieren der eigenwillige Jazz-Sänger Willi Landl, die Erfinder des Salon-Hip-Hop Pigor & Eichhorn und der geniale Satiriker und Liedermacher Rainald Grebe. Zum krönenden Abschluss gibt es dann noch einen – selbst für die hoffnungslosesten Pessimisten – zwingenden Grund, das Hier und Heute zu feiern. Trotz allem.