Freihauskarte auf der Häuserfassade

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Bauen im Austrofaschismus

Unsichtbare Architektur

Im Stadtraum "unsichtbar" ist die Architektur des Austrofaschismus, die sich oberflächlich fast nahtlos in das Baugeschehen davor und danach einfügt. Mit den Gemeindebauten des Roten Wiens gab es nach 1934 keinen klaren Bruch, wiewohl die Wohnbautätigkeit drastisch reduziert wurde und nun nicht mehr auf das Proletariat ausgerichtet war, sondern auf die vom Austrofaschismus begünstigte Klientel des Mittelstands.

Der Wiener Bautätigkeit in den Jahren 1933/1934 bis 1938, eben der Zeit des Austrofaschismus in Österreich, hat die Architekturhistorikerin Inge Podbrecky jahrelange Forschung und jetzt ein Buch gewidmet. Der Architektur als Medium der Ideologie wurde im Ständestaat keine allzu bedeutende Rolle zugemessen, und sie ist nicht eindeutig als austrofaschistisch identifizierbar - "Unsichtbare Architektur" heißt das Buch daher.

Häuser ohne Stilmerkmale

Dem Austrofaschismus sei es nicht gelungen, eine eigene Architektursprache auszuprägen, die bis heute verständlich ist, erklärt Inge Podbrecky: "Die Bauten existieren also sozusagen inkognito. Sie werden nicht als Repräsentanten der austrofaschistischen Epoche wahrgenommen. Und das hat natürlich damit zu tun, dass diese Epoche nicht im österreichischen Narrativ angekommen ist. Sie ist zwar von der Wissenschaft bearbeitet worden, bleibt aber eine Epoche, über die man gerne schweigt, die man kleinredet. Dadurch ist es schwierig, eine Verbindung zwischen bestimmten Bauten und ihrer Entstehungszeit herzustellen. Andererseits fördert diese Inkognito-Existenz natürlich auch eine weitere Verdrängung dieser Epoche in Österreich."

Landschaft und Kirche

Bei der Recherche zu diesem bisher wenig aufgearbeiteten Kapitel der Architekturgeschichte ging es der Architekturhistorikerin vor allem um die Intention und die Rezeption der Architektur, also wie die Projekte medial dargestellt wurden und wie sie aufgenommen wurden. Bauaufgaben, die dem Regime des Ständestaats wichtig waren, waren vor allem infrastrukturelle Großprojekte wie die Großglockner Hochalpenstraße oder die Wiener Höhenstraße - die Inszenierung der Landschaft. Auch der Kirchenbau wurde intensiviert, allerdings kaum staatlich finanziert, sondern oft von der Katholischen Kirche, über Spendensammlungen und Lotterien.

Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche

Hundert Häuser

Ö1 Archiv - Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche, Wien, 1934

Der wichtigste Sakralbau war die Christkönigskirche, deren Errichtung im 15. Bezirk in Wien noch zu Lebzeiten von Engelbert Dollfuß begonnen wurde. Ursprünglich war geplant, dort eine Begräbnisstätte für den christlich-sozialen Kanzler Seipel einzurichten. Nach dem Juli-Putsch 1934, bei dem die Nationalsozialisten die Macht übernehmen wollten und Dollfuß ermordeten, wurde der Kanzler zum Märtyrer stilisiert. Er sollte in der Krypta eben jener von Clemens Holzmeister entworfenen Kirche, die den Beinamen Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche erhielt, beigesetzt werden. Die Beisetzung wurde als Staatsakt inszeniert, mit Aufbahrung im Rathaus und nächtlicher Prozession um die Ringstraße.

Anleihen bei Mussolini

Die heutige Pfarrkirche Neufünfhaus war ursprünglich vorgesehen als Mittelpunkt einer monumentalen Anlage mit Schulungsgebäuden und Sportstätten am Ort der heutigen Stadthalle, nach dem Vorbild des Foro Mussolini in Rom. Auch bei anderen Prestigebauten des Austrofaschismus, etwa dem RAVAG-Gebäude, dem heutigen ORF Funkhaus in Wien-Wieden, ist eine Anlehnung an die - weitaus progressivere und eigenständigere - Architektur des italienischen Faschismus zu erkennen.

Studiowand

Hundert Häuser

Ö1 Archiv - ORF Funkhaus, Wien, 1935

Alle drei genannten Projekte wurden von Clemens Holzmeister entworfen oder mitgeplant; er hatte im Roten Wien mit dem Krematorium am Zentralfriedhof reüssiert, war bestens vernetzt und stieg zum mit Abstand erfolgreichsten Architekten im Ständestaat auf. "Er hat 1933 den Katholikentag inszeniert, und das war seine Vorstellung bei dem Regime, das ihn in der Folge vielfach beauftragen sollte. Es gab kaum eine Wettbewerbsjury, in der er nicht vertreten war; er hat auch unglaublich viel gebaut. Er war eine Art inoffizieller Kulturminister im Ständestaat", erklärt Podbrecky.

Interessante Einsichten liefert das Buch "Unsichtbare Architektur" auch zum Wohnbau. Das bahnbrechende Wohnbauprogramm der Sozialdemokratie hat Wien zwischen 1919 und 1934 nicht weniger als 60.000 Wohnungen eingebracht - ganz konnte dieses Programm auch im Ständestaat nicht aufgegeben werden, zu präsent waren noch die Erinnerungen daran, jedoch wurde es rasant zurückgefahren, ohne formale Brüche und beschränkt auf einige wenige Gemeindebauten. Außerdem wurden sogenannte Familienasyl für mittellose Menschen in der Peripherie gebaut. "Schon die Bezeichnung ‚Asyl‘ war negativ besetzt", so Podbrecky, "diese Menschen wurden nicht nur an den Rand der Stadt, sondern auch an den Rand der Gesellschaft gedrängt." Begünstigt hingegen wurde der Mittelstand, etwa mit großzügigen Förderungen für privaten Wohnbau.

Funkhaus

Funkhaus, 2018

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gebaute Ideologie

Der Austrofaschismus war ein deutschnationaler Faschismus, der sich in der Bestrebung, eine nationale österreichische Identität zu proklamieren, stark auf die österreichische Geschichte berief. Das stand jedoch in Widerspruch zum wenig geschichtsbewussten oder sorgfältigen Umgang mit Baudenkmälern. Das Assanierungsprogramm förderte ab dem Sommer 1934 den Abriss historischer Bausubstanz, um Platz zu machen für den Automobilverkehr, erklärt Inge Podbrecky: "Der Austrofaschismus als Mittelstandsunterstützer war eben auch ein Vertreter der Auto-Lobby ...

... Unter dem Vorwand, es gäbe gefährliche Kurven und Engen, wurden barocke und biedermeierliche Häuser abgerissen …

Freihausrelief

Hundert Häuser

Ö1 Archiv - Freihaus auf der Wieden, Wien, 1936

… und durch Neubauten ersetzt, die heute als Baudenkmäler qualifiziert würden." Solche Neubauten sind vereinzelt im innerstädtischen Bereich zu finden. Ein ganzes Stadtviertel, das der Assanierungskampagne zum Opfer fiel, befand sich zwischen Karlsplatz, Operngasse, Schleifmühlgasse und Wienzeile: das Freihausviertel. Das abgewohnte Freihaus wich einem Renommierprojekt des Austrofaschismus mit Neubauten, die zwar den Ansprüchen einer urbanen, finanzkräftigen Mittelschicht entsprachen, aber für die ehemaligen Bewohner des Freihausviertels freilich nicht leistbar waren. Anhand von Beispielen wie diesen veranschaulicht Inge Podbrecky den unmittelbaren Zusammenhang von Architektur und Ideologie, der im Austrofaschismus wohl unterschätzt wurde.

Service

Inge Podbrecky, "Unsichtbare Architektur - Bauen im Austrofaschismus: Wien 1933/1934-1938 ", Studien Verlag
Verein für Geschichte der Stadt Wien

Gestaltung

  • Anna Soucek

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