Blitz

AP/KALOUSEK ROSTISLAV

Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten

Medienleute als Blitzableiter

Die Anfeindungen gegen Medienleute auf sogenannten Corona-Demos haben eine neue Qualität erreicht. Das trifft freie Journalistinnen und Journalisten ebenso wie ORF-Mitarbeiterinnen. Presse-Organisationen warnen vor dieser für die Demokratie gefährlichen Entwicklung.

Journalistinnen und Journalisten wurden angepöbelt, bespuckt, beschimpft, an der Arbeit gehindert. Der Corona-Aufmarsch Ende Jänner in Wien, der eigentlich behördlich verboten war, zu dem aber trotzdem Tausende kamen, war für die Pressefreiheit in Österreich ein trauriger Tag. Negativer Höhepunkt war der Angriff auf den freien Journalisten Lorenzo Vincentini am Wiener Ring zu später Stunde, er wurde mit Schlägen und Pfefferspray attackiert. Die Angreifer waren mutmaßlich Rechtsextreme, die Polizei hat Anzeige gegen Unbekannt eingeleitet.

Wenn der Presseausweis zur Gefahr wird

Gefilmt wurde der Vorfall unter anderem von Markus Sulzbacher. Der Journalist bei der Tageszeitung "Der Standard" beobachtet die rechte Verschwörungsszene seit langem. Seine persönliche Konsequenz nach Sonntag: "Ich bin früher bei den Demos immer sichtbar mit dem Presseausweis herumgelaufen, und das mache ich nicht mehr. Zum einen steht da meine Adresse drauf und das andere ist: Ich will nicht erkennbar sein." Die Stimmung sei zu aggressiv.

Endzeitstimmung lässt Dämme brechen

Wenn Journalisten aus Sicherheitsgründen ihren Presseausweis verstecken, dann ist die Stimmung wohl gekippt. Die Ereignisse am Sonntag haben eine neue Qualität erreicht, aber sie kommen nicht überraschend, sagt Michael Bonvalot. Der freie Journalist gilt als Kenner der Szene, auch er berichtet seit Jahren von rechten Demos. So etwas wie am Sonntag habe er aber noch nie gesehen. "Was wir seit Beginn der Pandemie erleben, ist eine enorme Radikalisierung. Meiner Meinung nach hat das auch damit zu tun, dass eine Art Endzeitstimmung generiert wird." Wenn Menschen glaubten, dass sie "zwangs-geimpft" und "zwangs-gechipt" werden, dann sei in diesem Weltbild auch immer mehr erlaubt, um dem entgegenzutreten, so Bonvalot.

Mit Helm und ballistischer Brille berichten

Auch Bonvalot wurde am Sonntag mehrfach bedroht und mit Bierdosen beworfen. Eine gezielte Attacke von Neonazis konnte er noch abwenden: "Die haben vermutlich nur deshalb nicht zugeschlagen, weil ich das Handy in der Hand hatte und klar war, dass ich da gerade filme und die gesamte Situation aufnehme." Auf Demos trage er einen Helm, für "härtere Situationen" habe er eine ballistische Brille dabei.

Kontaktbeamte der Polizei sollen helfen

Das Innenministerium ist sich der angespannten Situation bewusst. Die Polizei hat für Journalistinnen und Journalisten auf Demos seit neuestem sogenannte Kontaktbeamte abgestellt, am Sonntag wurde das Angebot aber praktisch gar nicht genutzt. Es soll jetzt bekannter gemacht werden. Gegen Anfeindungen vorzugehen sei schwierig, strafrechtlich relevant seien bisher nur zwei Vorfälle gewesen, jener am Sonntag und einer Mitte Jänner. Beide Vorfälle seien durch die Polizei angezeigt worden.

Journalismus-Organisationen warnen

Die Gewerkschaft und journalistische Organisationen sind jedenfalls alarmiert. Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten würden international zunehmen, die Situation sei "demokratiepolitisch abzulehnen" und "sehr gefährlich". Journalistinnen und Journalisten müssten "als Blitzableiter" herhalten, sagt Rubina Möhring von "Reporter ohne Grenzen". Möhring sieht auch die Politik am Zug: Wenn manche Politiker immer wieder über "Fake News" in der Berichterstattung sprechen, habe das eben Auswirkungen.

Auch Daniela Kraus vom Presseclub Concordia warnt: "Wir machen uns Sorgen um die Sicherheit von Journalisten und Journalistinnen einerseits, wir machen uns aber auch Sorgen um die Demokratie." Es sei wichtig, dass auch von solchen Demos frei berichtet werden kann.

Freie Medienleute sind auf sich gestellt

Kraus weist auch auf die besondere Lage hin, in der nicht angestellte Medienleute sind. Die Verlage, die oft auf die Fotos von Freien zurückgreifen, weil sie selbst gar keine Fotografinnen und Fotografen mehr zum Schauplatz schicken, hätten auch eine Verantwortung für Kollegen wie Michael Bonvalot. Er wünscht sich im Gespräch mit #doublecheck in diesem Zusammenhang einen Rechtshilfefonds für freie Journalistinnen und Journalisten. Denn er sieht sich bei Demonstrationen immer wieder auch von der Polizei bei der Berichterstattung behindert, etwa wenn er Verhaftungen dokumentieren will. Auch gebe es willkürliche Ausweiskontrollen. Bonvalot geht dagegen rechtlich vor.

Nora Zoglauer

ORF/HANS LEITNER

Nora Zoglauer

Der ORF als große Projektionsfläche

Der öffentlich-rechtliche ORF ist in bestimmten Kreisen schon lange Feindbild und Projektionsfläche für Kritik am Establishment. Das weiß auch Nora Zoglauer, langjährige Reporterin beim ORF-Fernsehmagazin "Am Schauplatz". Zoglauer hat im Oktober eine vielbeachtete Sendung über die sogenannten Corona-Demos gestaltet, davor hat sie zu der Staatsverweigerer-Szene recherchiert. Sie erkennt Ähnlichkeiten: Beide Kreise würden sich in parallelen Medienwelten bewegen, und auch bei Corona würden jetzt viele mit politischem Kalkül aufspringen.

"Lügenpresse" und andere Beleidigungen

Für den "Schauplatz" über Corona waren die Dreharbeiten mitunter schwierig, erzählt Zoglauer. Als ORF-Journalistin werde sie als "Lügenpresse" bezeichnet. "Zum Teil waren das ziemlich abwertende Kommentare, die wir uns anhören mussten", so Zoglauer. Die Kamera wurde weggedrückt, es gebe viele Diskussionen und Vorwürfe - etwa dass man im Schnitt des Filmmaterials manipulieren würde. Das Misstrauen sei groß. Viele Journalistinnen und Journalisten berichten auch, dass sie gefilmt werden, zur Einschüchterung. Auch Zoglauer ist das schon passiert. Und bei den Anfeindungen vor Ort bleibt es nicht immer. Nach dem "Schauplatz" über die Corona-Verschwörungsszene hätten sie und auch der Sendungsverantwortliche Peter Resetarits enorm viele Hassmails bekommen.

Am Schauplatz, "Corona - eine große Verschwörung?", Demoteilnehmer/innen, Demonstration Graz.

Am Schauplatz, "Corona - eine große Verschwörung?", Demoteilnehmer/innen, Demonstration Graz.

ORF

Kritischer Journalismus muss dranbleiben

Nora Zoglauer will dennoch am Thema dranbleiben, wenn auch der Hass etwas mit ihr mache. Auch Michael Bonvalot will sich von der Arbeit nicht abbringen lassen. Gerade was die sogenannten Corona-Demos angeht, sei kritischer Journalismus wichtig, der die Dinge benennt. Man müsse auch aufzeigen, welche Rolle Neonazis bei diesen Demos spielen. Damit niemand sagen könne, er oder sie habe es nicht gewusst, so Bonvalot. Die jüngsten Aufmärsche seien nur der Anfang gewesen. Das Pulverfass Corona-Frust werde noch hochgehen, meint er, die Frage sei nur wann.

Übersicht