Der Vizerektor der MedUni Wien - Oswald Wagner, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, Bundeskanzler Sebastian Kurz , der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Gesundheitsminster Rudolf Anschober

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Regierungskommunikation

Der Ritt über die Rasierklinge

Nach fast einem Jahr Corona-Pandemie hat die schwarz-grüne Bundesregierung viel Vertrauen verspielt. Immer wieder Versprechen, die nicht gehalten wurden, Drohungen, die nicht eingetroffen sind, Versäumnisse, die man nicht eingestehen wollte. Es ist eng geworden für die Marketing-Politik, jetzt ist Schulterschluss angesagt. Nicht mehr nur die schwarzen, auch die roten Landeshauptleute sind jetzt mit an Bord. Es herrscht eine neue kommunikative Demut, die zu retten versucht, was schwer zu retten ist.

ÖVP-Landeschef Hermann Schützenhöfer hat es in der Lockerungs-Pressekonferenz auf den Punkt gebracht: "Wir wissen, alles was wir tun, ist sozusagen ein Ritt über die Rasierklinge." Sebastian Kurz wäre so etwas nie über die Lippen gekommen, er will immer schneller, höher und weiter als andere sein. Zuletzt hat er nach Weihnachten das Impfen zur Chefsache machen wollen, aber das Chaos ist bisher stärker. "First Mover" mit Israels Benjamin Netanjahu und Neuseelands Jacinda Ardern, das war einmal. Meinungsforscher Peter Hajek: "Diese Zeit ist vorbei, man versucht jetzt irgendwie durch diese schwierige Phase der Pandemie zu kommen und auf kommunikative Ausschläge zu verzichten."

Einladung zu Pressekonferenz ohne Journalisten

Wobei: nach unten schlägt es immer wieder einmal aus. Zuletzt die Einladung des Gesundheitsministeriums zu einer Pressekonferenz ohne Journalisten. Kameraleute wären zugelassen gewesen, Journalisten hätten nur virtuell dabei sein können. Das hat man dann rasch zurückgezogen, als der Protest sich zu formieren begann. Insgesamt hat aber eine neue Demut Einzug gehalten in die Kommunikationsarbeit der Regierung, jetzt darf der steirische Landeshauptmann aussprechen, was sich seine Landsleute schon länger denken - dass die Regierung wenig bis nichts im Griff hat.

SPÖ-Chefin als Schatten-Gesundheitsministerin

Die Kanzlerpartei ÖVP geht sogar auf Tuchfühlung mit der SPÖ. Und zwar so eng, dass sich die Parteivorsitzende im Fellner-Fernsehen – also oe24.TV – fragen lassen durfte: "Sind Sie schon so etwas wie die Schatten-Gesundheitsministerin?" Pamela Rendi-Wagner reagierte durchaus geschmeichelt. Auch die Umfragen schmeicheln ihr momentan, sie fällt vielen als Pandemie-Auskennerin positiv auf. Dem neuen virologischen Quintett, das Lockerungen und Verschärfungen verkündet, gehört sie freilich nicht an.

Pamela Rendi-Wagner

Pamela Rendi-Wagner

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Ludwig stichelt gegen die alpine Upper Class

Dafür hat sich der Bundeskanzler den Wiener SPÖ-Chef Bürgermeister Michael Ludwig angelacht. Der nützt diese Bühne auch für Sticheleien gegen die alpine Upper Class: "Ich hab ehrlich gesagt kein Verständnis für jene Menschen, die in der Zeit, wo wir alle Ausgangsbeschränkungen haben, ihren Golf-Urlaub in Südafrika verbringen und unter Umständen eine uneinschätzbare Gefährdung mit ins Land bringen." Eine Anspielung auf Tiroler Hoteliers, die in Südafrika waren und die Quarantäne missachtet haben sollen - die von Ludwig angesprochenen Gerüchte haben sich bisher nicht erhärtet.

Plakat in Tirol

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Eine Virologin probt in Tirol den Aufstand

Ein Faktum ist allerdings, dass die in Südafrika entdeckte Virus-Mutation in Tirol grassiert, es gibt sogar einen eigenen Tiroler Sub-Typ dieser Mutation. Die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer hält das für so gefährlich, dass sie öffentlich aufgestanden ist und gefordert hat, ganz Tirol zu isolieren. Beim Landeshauptmann Günther Platter ist sie damit vorher auf taube Ohren gestoßen - und auch nachher. Politiker macht mutige Expertin platt. Ein kommunikativer Rasierklingen-Ritt.

Wenn sich Grün auf Nehammer einschießt

Einen solchen Ritt versuchen die Grünen neuerdings auch in der Regierung. Im Streit um die Kinder-Abschiebungen schießt sich die Parteispitze jetzt auf Karl Nehammer ein - Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer hat dem ÖVP-Innenminister, der mit Corona-Demonstrationen, BVT-Reform und der Aufarbeitung des Terror-Anschlags in Wien vom 2. November 2020 schwer beschäftigt sei und nicht mit Hilfe von Spezialeinheiten und Hundestaffeln Kinder abschieben solle, im ORF-Report unverhohlen gedroht: Man werde sich den Bericht der Untersuchungskommission zum Anschlag von Wien, der demnächst vorgelegt wird, ganz genau anschauen. Das könnte für Nehammer unangenehm werden.

"Arbeitsweise steht komplett auf der Kippe"

Dass mittlerweile als Puffer eine Kommission unter Vorsitz von Irmgard Griss eingesetzt worden ist, die die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung des Kindeswohls aufarbeiten soll, könnte das schon wieder relativieren. So wie Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler auch eine dramatisch klingende Ansage des Abgeordneten Michel Reimon auf Puls 24 relativiert hat. Reimon hat gesagt: "Wir werden die Koalition nicht sprengen, den Gefallen tun wir Sebastian Kurz nicht. Aber die Arbeitsweise in der Koalition steht komplett auf der Kippe." Reimon habe damit kommunikationstechnische Fragen gemeint, so Kogler.

Erster Vergleich mit verhasster Großer Koalition

Aber genau die sind es, die das Erscheinungsbild der Koalition insgesamt prägen. Der Meinungsforscher stellt schon einmal den Vergleich zur Großen Koalition her, die für ÖVP-Obmann Kanzler Sebastian Kurz ja das Schlechteste aus allen Welten ist. Noch geht der Vergleich zu Kurzens Gunsten aus: "Die Große Koalition hatte zuletzt nie mehr als 25 bis 30 Prozent Zustimmung zu ihrer Arbeit, das heißt, sogar die eigene Wählerschaft stand nicht mehr hinter der Regierung." Heute sei das anders, die eigenen Anhänger stünden in den Umfragen immer noch hinter ÖVP und Grünen, nur eine himmelhohe Zustimmung speziell für Kurz und die ÖVP wie im Frühjahr 2020, die gebe es jetzt nicht mehr.

Hajek hält die Regierung von den Umfragewerten her für sehr stabil. Was man von ihrer Kommunikationsstrategie nicht behaupten kann.

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