Impfstoff mit Impfnadel

AP/ACHMAD IBRAHIM

Corona-Impfungen

Eine Kampagne auf Nadeln

Eine Kampagne zur Steigerung der Impf-Bereitschaft, obwohl von Behördenseite zu langsam geimpft wird und noch viel zu wenig Impfstoff da ist. Die Kampagne wurde eilig aus dem Boden gestampft, obwohl sich die Regierung monatelang darauf vorbereiten hätte können. Und auf der anderen Seite Impf-Gegner und Verschwörungstheoretiker, die der großen Zahl der Unsicheren in der Bevölkerung zusetzen. Kritische Stimmen mahnen einfache Botschaften ein, die überzeugen. Statt Experten, die zu überreden versuchen.

Die "Österreich impft"-Kampagne wurde vom Roten Kreuz konzipiert, wie auch schon die "Schau auf dich, schau auf mich"-Kampagne im Frühjahr. Allerdings sehr kurzfristig, wie der Marketingleiter beim Roten Kreuz, Gerald Czech, schildert. "Die Idee zu dieser Initiative ist Mitte bis Ende Dezember entstanden. Wir haben das der Bunderegierung angeboten, weil wir festgestellt haben, es wird sehr viel über die Logistik rund ums Impfen gesprochen, aber die Bedürfnisse zur Entscheidung – lass ich mich impfen – sind medizinischer Art. Also haben wir gesagt, wie schaffen wir es, dass das zu den Menschen kommt", sagt Czech.

Kampagne erst um Weihnachten konzipiert

Die Kampagne setzt auf über hundert Partner, darunter Caritas, Diakonie, Volkshilfe und viele Vereine. Das bringt Reichweite und ist effizient, denn das Budget ist nicht üppig: 250.000 Euro hat das Rote Kreuz im Jänner für die Kampagne vorfinanziert. Die Regierung zahlt da nicht mit. Aber sie lässt die Inserate und Spots in den Medien schalten, rund zwei Millionen Euro hat das bisher gekostet - und das Geld werde weiter fließen, so lange wie nötig, heißt es. Der ORF schaltet die Spots gratis, dazu ist er vom Gesetz her verpflichtet.

Wozu das Mega-Budget für Regierungswerbung?

Die Frage ist: Warum verlässt sich die Regierung bereits zum zweiten Mal auf das Rote Kreuz? In der Pandemie sei nicht genügend Zeit gewesen, um eine eigene Kampagne auszuschreiben, heißt es aus dem Bundeskanzleramt. Dabei ist im November ein Rahmenvertrag für Regierungswerbung im Ausmaß von 210 Millionen Euro ausgeschrieben worden, davon 30 Millionen Euro für Kreativleistungen – also zum Beispiel für die Konzeption einer Impf-Kampagne. Das war sogar die ausdrückliche Begründung für diese massive Ausweitung des Werbebudgets der Ministerien, es kommt einer Verdoppelung gegenüber den bisherigen Zahlen gleich. Das Krisenjahr 2020 mit extrem hohen Ausgaben für Werbe-Schaltungen würde einfach bis Ende der Legislaturperiode fortgeschrieben.

Agenturchef Demner: "Österreich impft eben nicht"

Auch in der Branche stößt das auf Unverständnis, etwa bei Werbe-Doyen Mariusz Jan Demner: "Das verstehe ich überhaupt nicht, warum das so lange über das Rote Kreuz laufen muss. Das Rote Kreuz kommuniziert schon richtig, aber diese Auslagerung, das ist schon ein Witz nach einem Jahr." Dass Informationen zum Thema Pandemie über einen langen Zeitraum wichtig bleiben, das sei doch absehbar gewesen. Die Regierung hätte langfristig planen können, statt Schnellschüsse zu machen. Überhaupt stecke "Österreich impft" in einem Dilemma, spitzt Demner zu: "Österreich impft eben nicht, ohne Impfstoff kannst du nicht impfen, das ist ja schon ein Widerspruch in sich."

Rotes Kreuz arbeitet noch am Feinschliff

Rotkreuz-Mann Gerald Czech ist das durchaus bewusst: "Wir wollen mit der breiten Information warten, weil wir nicht gut ein Produkt bewerben können, das noch nicht im Regal liegt." Geplante Testimonials mit bekannten Persönlichkeiten wie Hugo Portisch, Sepp Forcher und Waltraud Haas - die für die Impfung werben sollen - warten also auf den richtigen Zeitpunkt für die Veröffentlichung. An Sujets, die wissenschaftliche Inhalte vermitteln, werde noch gearbeitet, so Czech. Auch in den Sozialen Medien wolle man stärker werden, sobald die breite Bevölkerung Aussicht auf Impfung habe.

Brodnig warnt: "Die Zeit läuft uns davon"

Doch so lange dürfe man nicht warten, die Information sei jetzt gefragt, sagt die Internet-Expertin Ingrid Brodnig, die gerade ein Buch über Verschwörungsmythen veröffentlicht hat, mit dem Titel "Einspruch". Denn der Widerstand wachse, Regierungskritiker, Corona-Leugner und Impf-Skeptiker gehen gemeinsam auf die Straße und demonstrieren, während im Internet Verschwörungstheorien blühen. Eingefleischte Impf-Gegner seien mit öffentlicher Information nicht zu überzeugen, sehr wohl aber die viel größere Gruppe der Unsicheren, diese Menschen müssten jetzt angesprochen werden.

Von Handwerk der Desinformation lernen

"Es ist überraschend, dass zum Start der Impfung nicht das ganze Impf-Material leicht zugänglich aufbereitet worden ist. Seit Anbeginn der Krise heißt es, die Impfung ist die große Hoffnung. Dann hat man bald gesehen, dass die Impfstoffe gute Ergebnisse haben, das wäre doch der Moment gewesen, wo ich anfangen kann, mir den Kopf zu zerbrechen", sagt Brodnig. Impf-Aufklärung gibt es wohl, etwa auf der Website des Sozialministeriums, aber sie sei nicht einfach genug aufbereitet. Beamte sollten sich vom Handwerk der Desinformation einiges abschauen, regt Brodnig an: Statt richtiger, aber spröder Texte einfach formulierte Botschaften, mit einfachen Bildern, leicht teilbar im Netz. Das fehle derzeit.

Wenig Resonanz in den Sozialen Medien

Ein Blick nach Dänemark zum Beispiel zeigt, wie das geht. Dort finden sich auf der Website der Gesundheitsbehörde simple Aufklärungsvideos über die Impfung oder über Impf-Mythen - mit Untertiteln in neun Sprachen - leicht verständlich und über Social Media teilbar. Auch die deutsche Impfkampagne unter dem Hashtag #Ärmelhoch findet in sozialen Medien mehr Resonanz als "Österreich impft". Allerdings: Wissen ist nicht alles - es gehe auch um Glaubwürdigkeit und Vertrauen, betont die Politologin Katharina Paul. Sie untersucht mit einem Team der Universität Wien den Einfluss der Politik auf die Impfbereitschaft der Bevölkerung. In der jüngsten Befragung im Rahmen des "Corona Panel"-Projekts hat Paul herausgefunden, dass sich derzeit nur knapp die Hälfte der Bevölkerung impfen lassen will, wobei ein leichter Anstieg zu bemerken ist, aber ein Drittel ist noch immer ablehnend.

Impfen steht für Vertrauen ins Gesundheitssystem

Impfen stehe letztlich für das Vertrauen in das Gesundheitssystem. "Die Art und Weise, wie Regierungsmaßnahmen wahrgenommen werden, beeinflusst auch die Wahrnehmung von Impfungen", sagt Paul. Der Regierung scheine das nicht so bewusst zu sein, denn sie setze das Vertrauen durchaus aufs Spiel. "Etwa wenn bestimmte Menschen vorgereiht werden, oder wenn nicht adäquat kommuniziert wird", sagt Paul. Auch das politische Ping-Pong zwischen Bund und Ländern schwäche das Vertrauen, weil Verantwortung hin und her geschoben werde. Ingrid Brodnig hat noch ein Beispiel: Es sei sogar kontraproduktiv, wenn etwa der Bundeskanzler der Europäischen Arzneimittelagentur EMA implizit vorwirft, sie würde die Zulassung der Impfstoffe verzögern. Auch Werbefachmann Mariusz Jan Demner sagt, die Kampagne finde gar nicht so viel Beachtung - wichtiger sei die Haltung und Kommunikation der Politiker, dort müsste man "mehr Konsistenz" reinbringen.

Wissenschafter als Zugpferde fürs Impfen

Weniger Politik, mehr Sachlichkeit wünschen sich viele in der Kommunikation und da spielen Wissenschafter eine große Rolle, die auf ihre Weise im Netz aufklären. Vom Tag der ersten Impfung, dem 27. Dezember 2020, sind nicht die Bilder des Kanzlers in Erinnerung geblieben, der in einer dreistündigen "Zeit im Bild"-Sondersendung viel Platz bekam, sondern das Bild des Wiener Arztes Christoph Wenisch, der aus Freude über seine Impfung den Arm in einer Siegesgeste hebt. Sein Bild ging um die Welt und schaffte es bis in die "New York Times". Freude und Dankbarkeit habe er in dem Moment empfunden, erzählt Wenisch, ihm sei ein Stein vom Herzen gefallen, nach einem Jahr Gefährdung.

Christoph Wenisch

Christoph Wenisch

APA/GEORGES SCHNEIDER

Wenisch verweigert: "Arbeite nicht für Regierung"

Nach der Impfung veröffentlichte Wenisch im Netz ein vielbeachtetes Tagebuch und beschrieb in kurzen Videos, wie es im gegangen ist. Das Gesundheitsministerium habe ihn gefragt, ob er die Kampagne unterstützen wolle, sagt der Infektiologe an der Klinik Favoriten. Er hat abgelehnt. "Ich arbeite ja nicht für die Regierung, sondern für die Patientinnen und Patienten. Ich kann mich mit vielen Dingen nicht identifizieren", sagt Wenisch. Er versteht auch nicht, warum Kollegen da mitmachen: "Ich finde das peinlich. Ich mag meine eigene Meinung vertreten und mich nicht wie ein Rollenmodell vorspannen lassen."

Beschimpfungen und Drohungen als Preis

Anders sieht das der Wiener Impf-Experte Herwig Kollaritsch. Er stellt sich gemeinsam mit vier anderen Kollegen und Kolleginnen aus der Medizin für die "Österreich impft"-Kampagne zur Verfügung - aus Überzeugung, wie er sagt. Und Kollaritsch findet auch, dass sein Ruf als Wissenschafter ausreichend gefestigt sei. Sein Engagement für die Impf-Kampagne habe im Übrigen einen hohen Preis, denn er werde bedroht und beschimpft, etwa so: "Du gehörst nach Guantanamo, du Mörder und Verbrecher! Warte nur, wir werden dich schon erwischen!" Kollaritsch hat mehrere Beschimpfungen zur Anzeige gebracht, weil es sich um den Tatbestand der gefährlichen Drohung handle. Die Polizei nehme das "sehr ernst".

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