Tangotänzer

AP/NATACHA PISARENKO

Ö1 Schwerpunkt

Astor Piazzolla zum 100. Geburtstag

Der argentinische Bandoneonspieler und Komponist Astor Piazzolla hätte am 11. März seinen 100. Geburtstag gefeiert. Der 1992 verstorbene Piazzolla gilt als der Begründer des Tango Nuevo, einer Weiterentwicklung des argentinischen Tangos.

Er selbst hat über diesen "neuen" Tango gesagt: "Der Tango Nuevo ist eine Fortsetzung des traditionellen gesungenen Tangos, der als Tanzmusik gespielt wurde. Dieser neue Musikstil beginnt in Buenos Aires und verdankt alles der Erarbeitung neuer Rhythmen, Melodien und Betonungen, die der heutigen Welt angehören. Während die Musiker/innen der traditionellen Tango-Orchester jahrelang dieselben Stücke und Arrangements gespielt haben, hatte ich meinen Spaß daran, neue Musik zu machen. Kritiker und Musiker versuchten, den neuen Tango zu zerstören, aber es gelang ihnen nicht."

Rhythmen, Melodien und Betonungen, die der heutigen Welt angehören

Ohne Zweifel ist Piazzolla einer der populärsten wie auch bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Das liegt vielleicht auch daran, dass für den kleinen Astor zunächst der Tango nicht so wichtig ist.

Musik der Hafenkneipen und Bordelle

Als er vier Jahre alt ist, muss seine italienischstämmige Familie wegen der schlechten Wirtschaftslage in Buenos Aires nach New York übersiedeln. Piazzollas italienische Wurzeln sind in seiner Musik zu hören, diese Italianità in den Melodien ist eine seiner großen Stärken. Und optisch ist Piazzolla geradezu ein "Bilderbuchrömer". Seine musikalische Begabung wird früh erkannt: Er lernt Klavier und Bandoneon.

Das Bandoneon ist eine Art Vorläufer des heute gebräuchlicheren modernen Akkordeons. Der Deutsche Heinrich Band hat dieses Handzuginstrument Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Nach Argentinien und Uruguay gelangt das Bandoneon vermutlich zunächst über die USA. Seeleute und ab 1900 die vielen europäischen Einwanderer/innen geben dem Instrument in den Hafenkneipen und Bordellen von Buenos Aires und Montevideo ein neues Zuhause.

Die Liebe zum Tango erwacht

Der sich dort entwickelnde Tango hat also ursprünglich etwas durchaus Anrüchiges. In New York begeistert sich Piazzolla zuerst für Jazz und die Musik von Johann Sebastian Bach. Seine Liebe für den Tango erwacht erst so richtig, als die Familie 1937 nach Buenos Aires zurückkehrt. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte.

Anstatt hier die komplette Biografie Piazzollas zu referieren, möchte ich Ihnen, werte Leser/innen, lieber zwei meiner liebsten Aufnahmen des Maestros nahelegen. Zum einen: Was entsteht, wenn sich der Neuerer des Tango Argentino und eine Ikone des Cool Jazz treffen, um ein gemeinsames Album aufzunehmen? Sie schaffen einen musikalischen Meilenstein.

"Tango Nuevo" mit Gerry Mulligan

Astor Piazzolla und der Baritonsaxofonist Gerry Mulligan lernen sich 1954 in Paris kennen und planen ein gemeinsames Album, das "Tango Nuevo" heißen soll. Realisiert wird dieses Projekt allerdings erst 20 Jahre später in Italien. Im Herbst 1974 treffen sich die beiden in Mailand, um mit einem italienischen Studioensemble ein Album einzuspielen. Das Ergebnis ist ein grandioses Amalgam aus Tango, Jazz und neoklassischen Elementen. Ein Titel dieses Albums, welches unter dem Namen "Summit" veröffentlicht wird, bringt es auf den Punkt: Close your eyes and listen!

"Four for Tango" für das Kronos Quartet

Zum anderen: Das Streichquartett "Four for Tango" ist ein vierminütiger Gefühlsausbruch, so etwas wie ein musikalischer Ritt auf einer Rasierklinge. Schon der forsche Eröffnungsakkord in g-Moll jagt einem kalte Schauer über den Rücken. Dieses Werk hat Piazzolla im Jahr 1988 für das Kronos Quartet komponiert.

"Four for Tango" ist kein Tango im traditionellen Sinn, Piazzolla erweitert die Spieltechnik der Instrumente durch Anleihen aus der sogenannten Neuen Musik: Bogenschläge auf der Violine, stechende Streicherakzente in hoher Lage, dramatische Glissandi des gesamten Quartetts. Wie bei allen souveränen Eklektiker/innen sind diese Anleihen keine Gimmicks. Piazzolla verwendet sie im Dienste des Stücks und schafft so eine - man gestatte mir diese blumige Beschreibung - furchterregend schöne Musik.

Gestaltung