Mikrofon

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Bestes Originalhörspiel 2020

Laudatio von Daniel Hadler

Auf der Frankfurter Buchmesse, fern der gleichförmigen Literatur und im hintersten Winkel, dort wo die wahren Schätze zu finden sind, entdeckte die Autorin der hier ausgezeichneten Hörspielproduktion vor Jahren das Werk der Surrealistin Unica Zürn.

Es hielt sie fest und sie hielt fest daran. Eine künstlerische Umarmung, innig wie produktiv, gefolgt von jahrelangem Ein- und Auf- und Abarbeiten.

Unica Zürn, die deutsche Surrealistin, deren Todestag sich im Vorjahr zum 50. Mal jährte, ist in Vergessenheit geraten. In ihren Grenzüberschreitungen in Wort und Tuschestrich, angesiedelt zwischen verspieltem Traumtanz und alptraumhafter Selbsterörterung, machte sie die Sprache zum Versteck der Geheimnisse. Wer sich in ihren semiotischen Labyrinthen verliert, kann einiges gewinnen.

Die Grenzen, die Zürn nie zog, schreibt die Autorin dieses Hörspiels nicht zuletzt im Musikalischen fort. Es ist ein verspieltes wie literarisch kompetentes Partei-Ergreifen für eine Künstlerin, die mehr Ruhm und Aufmerksamkeit verdient hat. Und es ist das Wagnis einer Transformation von Zürns künstlerischen Hybrid-Gedichten in „Klangcomics“ genannte Hör-Hybride. Der Begriff des Klangcomics wird dabei zum Freifahrtschein zwischen den Genres, im Takt des Metronoms geht die biografische Reise von Berlin nach Frankreich, von Aufbruch bis Niedergang, von A wie Anagramm bis Z wie Zurückweisung.

Das Radiopublikum erlebt in diesem Hörspiel einen teils tanzbaren, teils bewusst reduzierten Querschnitt. Selbstgewiss und im Vertrauen auf das Werk Zürns, um das dieses „Kunstradio“ suadisch kreist, bis es symbolisch in Text und Ton auf das einhämmert, was künstlerische Arbeit und Leben der Surrealistin konsequent nah am Abgrund gehalten hat. Doch es ist nicht das Unglück, es ist die Kunst, die hier die Oberhand behält: Die Autorin holt Zürn aus der Opferecke, befreit ihre Rezeption von der pathologischen Pathologisierung und zeigt, dass sie mehr als nur Muse der Avantgarde, mehr als nur eine Rastlose war, die aus ihrem Künstlerleben flüchtete.

„Die Revanche der Schlangenfrau“ bietet in dieser Zeit des kollektiven Distanzerlebens ein Hörspiel, das in jeder Sekunde nach Live-Erlebnis schmeckt: Pur, energisch und mit dem Rückenwind eines surrealistischen Erbes, das mit kluger Lebensfreude auf eine neue Ebene gehoben wird. Für dieses Werk gratuliere ich im Namen der Jury ganz herzlich: Autorin Natascha Gangl mit den Komponisten Maja Osojnik und Matija Schellander.

Text: Daniel Hadler

Service

Ö1 Hörspiel-Gala 2021