APA/HELMUT FOHRINGER
Hörbilder
"Darf's ein bisserl weniger sein?"
Viel Applaus, wenig Lohn - "Hörbilder"-Feature über die Systemerhalterinnen.
3. April 2021, 12:00
"Wir sind sozial, aber nicht blöd", erzählt mir Jelena Bostan bei unserem ersten Treffen Anfang Juni 2020. Seit 16 Jahren arbeitet sie in der mobilen Pflege, nicht weil sie damit gut verdient, sondern weil sie Menschen helfen kann. Es ist ihr Traumberuf, und für diesen nimmt sie schlechte Bezahlung, geteilte Dienste, eine Teilzeitbeschäftigung und eine geringe Pension in Kauf.
PRIVAT
Circa eine Million Menschen in Österreich arbeiten in systemrelevanten Berufen - zwei Drittel davon sind Frauen. Was diese Frauen verbindet, ist ihr niedriges Einkommen, das unter dem österreichischen Durchschnittslohn liegt, sowie die Tatsache, dass sie für kurze Zeit als Heldinnen der Coronakrise im Rampenlicht standen und ihre unverzichtbare Leistung sichtbar wurde.
"Wir sind sozial, aber nicht blöd"
Jelena Bostan, Pflegerin
Ein Jahr nach dem ersten Lockdown ist der Applaus verhallt - die Einkommensverhältnisse sind allerdings gleich geblieben. Reinigungskräfte und Verkäuferinnen verdienen im Durchschnitt noch immer weniger als 1.300 Euro netto monatlich. Etwas mehr erhalten Pflegerinnen und Frauen, die in der medizinischen Betreuung arbeiten: ungefähr 1.700 Euro netto. Damit liegt ihr Einkommen immer noch unter der am schlechtesten bezahlten männerdominierten systemrelevanten Berufsgruppe - den Berufsfahrern.
Ö1 Feature-Podcastpreis
Erste Gewinnerin von #movingradio
All das wusste ich noch nicht, als ich vor gut 400 Tagen eine E-Mail erhielt, die mir dazu gratulierte, zu den Gewinner/innen des ersten Ö1 Feature-Nachwuchspreises #movingradio zu gehören. Ich hatte mich mit dem Thema "Die Pendlerinnen von Pöllau" beworben und wollte mehrere Monate lang mit einer Gruppe von Frauen von der Oststeiermark nach Wien pendeln, um herauszufinden, wie sie mit mehreren Stunden Fahrzeit täglich ihren Alltag gestalten, ihre Kinder versorgen und den Haushalt stemmen. Doch dann kam der erste Lockdown - und das gemeinsame Pendeln wurde unmöglich.
Während um 18.00 Uhr der Applaus für die Corona-Held/innen meine Straße erfüllte, wurde mir klar: Ähnlich wie die Pendlerinnen entscheiden sich viele Systemerhalterinnen trotz langer Arbeitstage, Familie und eines geringen Gehalts für ihre Berufe. Warum? Und wie arrangieren sie sich mit den häufig prekären Arbeitsbedingungen?
PRIVAT
Jelena Bostan, Mobile Pflege
Warum ist ihre Arbeit nichts wert?
Und so lernte ich Jelena Bostan kennen. Sie ist eine der sieben Frauen, die ich im vergangenen Jahr begleitet habe. Diese Frauen arbeiten in der Betreuung von Menschen mit Behinderungen, in der mobilen Pflege, im Krankenhaus, für Reinigungsfirmen, im Kindergarten, im Lebensmittellager und im Verkauf. Sie alle haben eines gemeinsam: Ihre Arbeitsbedingungen entsprechen nicht der Leistung, die sie für unsere Gesellschaft erbringen. Gemeinsam mit ihnen habe ich nach Antworten auf meine Fragen gesucht: Warum ist ihre Arbeit der Gesellschaft so wenig wert?
Was benötigen sie, damit sich ihr Leben verbessert - und sie sich keine Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder oder um ihre Pension machen müssen? Warum entscheiden sie sich dafür, in diesen Berufen zu arbeiten? Was wünschen sie sich, um unabhängig und selbstbestimmt leben zu können? Und was würde passieren, wenn sie streiken würden? "Das ganze Lebensmittel-Versorgungssystem würde zusammenbrechen", sagt Lagerarbeiterin Szintia Reiterer, und Reinigungskraft Ljiljana Radovanovic meint: "Eine Bombe wäre das. Keine Toiletten sauber, kein Büro, keine U-Bahn-Station. Dann kommen die Ratten. Als die Griechen gestreikt haben, ist das passiert."