Sujet von "Fräulein Julie"

RAIMUND ORFEO VOIGT

Mateja Koležnik

"Wir alle sind Fräulein Julie"

Im Wiener Akademietheater laufen derzeit die Proben zu August Strindbergs Kammerspiel "Fräulein Julie" - mit Maresi Riegner, Sarah Viktoria Frick und Itay Tiran. Regie führt die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik, die das über 130 Jahre alte Stück, in dem Strindberg mit der Frauenemanzipation und dem Ständestaat abrechnet, aus einer ganz neuen Perspektive betrachtet.

Mateja Koležnik

LUKAS BECK

"Wir alle sind Fräulein Julie", sagt Mateja Koležnik, "... ohne eine Idee, wie wir die Gesellschaft zum Besseren verändern könnten."

Die Geschichte vom adeligen Fräulein Julie, das sich in einer Mittsommernacht dem Diener Jean hingibt und ob der möglichen Folgen dieser Mesalliance nahezu wahnsinnig wird, scheint im Jahr 2021 nicht augenscheinlich von brennender Aktualität zu sein. Dass sich das Stück aus dem Jahr 1888 trotzdem so hartnäckig auf den Spielplänen findet, hat eher mit der psychologisch stimmigen Entwicklung der Charaktere zu tun, als mit seinem gesellschaftspolitischen Ansatz.

Veränderungen - damals wie heute

Regisseurin Mateja Koležnik sieht das anders. Sie hat die großen Umbrüche der Gesellschaft im Blick, die damals wie heute das Leben prägten. "Als dieses Stück geschrieben wurde, war die zweite industrielle Revolution im Gange. Es gab große gesellschaftliche Veränderungen, so wie auch heute." So wie in "Fräulein Julie" der Adel langsam neuen Kräften weichen müsse, verschwinde heute die Mittelklasse, zugunsten einer rechten Macht.

"Man spürt, dass sich etwas verändert, es geht etwas falsch, wir glauben nicht mehr an Dinge, an die wir geglaubt haben, als wir jung waren. Es geht um zwei Menschen, die träumen können, und um eine Person, die plant." Julie und Jean und sind die Träumer, die Köchin Christine - dargestellt von Sarah Victoria Frick - ist die Planerin. Eine tiefreligiöse Frau, die jene Sicherheit und Stabilität verkörpere, nach der sich so viele sehnten.

"In ungewohnten, schwierigen, chaotischen Zeiten sehnen sich die Menschen nach Ordnung, nach Sicherheit", so die Regisseurin.

Maresi Riegner und Itay Tiran

Maresi Riegner als Fräulein Julie gibt ihre erste große Hauptrolle am Burgtheater

SUSANNE HASSLER-SMITH

Spion im Badezimmer

Der Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigth hat eine kleine Guckkastenbühne mit Glasfront gebaut, der den Blick auf ein Badzimmer freigibt, in dem sich alles abspielt. Der intimste Raum im Haus, in dem die Köchin Christine die anderen beobachtet und ausspioniert. Als Fräulein Julie spielt Maresi Riegner ihre erste große Hauptrolle am Burgtheater. "Wir haben versucht, sie manisch anzulegen und über die Sprünge, die sie macht, auch ihre Zerrissenheit zu finden."

"Wir alle sind Fräulein Julie", sagt Mateja Koležnik, "neurotisch, hemmungslos, in eigenen kleinen Blasen gefangen, ohne eine Idee, wie wir die Gesellschaft zum Besseren verändern könnten." Das Corona-Jahr habe dazu beigetragen, dass sich jeder in seine eigene Internetwelt zurückziehe und nicht merke, was draußen vor sich gehe. Der Austausch mit ähnlich denkenden Menschen fehle, denn man habe sich daran gewöhnt, sich nur mehr im engen Familienkreis miteinander zu sprechen.

Auch wenn die Premiere von Fräulein Julie noch lange auf sich warten lässt - einen Impuls zum Weiterdenken liefern Koležniks Strindberg-Variationen schon jetzt.

Gestaltung