Unec im Mai

HERMANN FALKE/FALKE FOUNDATION

Ö1 Kunstgeschichten

"Die Nymphe und der Maler" von Renate Falke

Der Maler und Grafiker Hermann Falke wurde kaum 53 Jahre alt, hinterließ jedoch ein umfangreiches, sowohl Bilder als auch Skulpturen umfassendes Oeuvre, zu besichtigen im kleinen Unterkärntner Ort Loibach. Besonders die Aquarelle aus dem Spätwerk fallen den Besucherinnen und Besuchern der Galerie ins Auge. Eines dieser zartfarbigen Bilder nahm die Kärntner Autorin Renate Falke zum Anlass für Ihre Erzählung. Die von Edith-Ulla Gasser kuratierte Erstveröffentlichungsreihe "Ö1 Kunstgeschichten" widmet sich dem Kunstblick von Autorinnen und Autoren.

Baumnymphe

HERMANN FALKE/FALKE FOUNDATION

Baumnymphe

Sehr lange bin ich schon an diesem Ort, im alten Baum am Fluss. Alles hier ist voll Zauber, alles ist miteinander verbunden.

Mein Dasein im Jetzt hat keine Begrenzung durch Tage oder Stunden. Wo es keine Zeit gibt, da bin ich. Doch gibt es diesen Ort, der mir meine Existenz ermöglicht. Es ist ein wundersames Tal, umschlossen von Bergen und durchströmt von einem Fluss, der sich aus zwei Quellen speist. Im Frühjahr wird das Tal zu einem See, genährt aus dem nach oben drückenden Wasser der Karsthöhlen. Über dem Wasser erheben sich nun, für kurze Zeit, die Wipfel der Bäume. Später im Mai paart sich, an wenigen Tagen nur, die Maifliege über der Wasseroberfläche, während die Wiesen in einem Blumenmeer versinken und die zarten Blüten des Weißdorns die Talhänge verzaubern. Schließlich im Sommer zeigen die Bäume am Fluss ihre Wurzeln als tief im Boden verankertes Flechtwerk.

Unec, das ist der der Name des Flusses. Doch trägt der Fluss in seinem Lauf viele Namen, denn er wird, stets aufs Neue, aus den Höhlen geboren. Am Ort, von dem ich erzähle, ergießt er sich mit kristallklarem Wasser unter einer Felswand aus der Planina-Höhle. Zuvor haben sich im Höhleninneren die Flüsse Pivka und Rak vereint. Als "Unec" durchströmt das Wasser schließlich die Wiesen des Ortes Planina, um bald danach wieder im Untergrund zu verschwinden. Es ist ein heiliger Fluss an einem heiligen Ort, besiedelt von Forellen und Äschen.

Hier begegnete mir ein Fischer. Er war mir sehr vertraut. Nachdem ich ihn länger beobachtet hatte, wagte ich mit ihm eine Verbindung einzugehen, obwohl unsere Lebensräume sehr verschieden sind.

Wir sprechen lautlos, wir lachen still in überschwänglicher Freude, Liebe durchströmt uns. Es ist ein tiefes Mitgefühl, ein Miteinander Sein, ein gemeinsames Verschweben in die Landschaft hinein. Darum, nur darum bin ich hier.

Zart fließt der mit gelbgrüner Farbe getränkte Haarpinsel über das Papier, nicht beliebig, denn in diesem Moment erscheine ich in deinen Gedanken, und fließe durch deine Hand auf das Blatt in die sichtbare Welt hinein, und bin Teil deiner Traumbilder geworden. So bist du immer wieder zu mir gekommen, um uns danach in deine Bilder zu bringen.

Renate Falke

UNTERKÄRNTNER NACHRICHTEN/SIMONE JÄGER

Renate Falke wurde 1956 im slowenischsprachigen Kärntner Grenzgebiet am Fuß der Petzen geboren. Sie veröffentlichte unter anderem einen zweisprachigen Lyrikband mit dem Titel "Im Reich des Pan".

Lange war in dir bereits der Gedanke gewachsen, Begegnungen mit der unsichtbaren und doch so realen Welt auf Papier zu bringen. Noch länger jedoch warst du gefangen in zuvor Erlebtem. Schon als Kind hattest du dem Tod mehrmals in die Augen geblickt. Ich sehe dich auf der Schutthalde eures Hauses stehen. Gestalten aus der Geschichte tauchten in deinen Werken auf, Not und Elend fremder Menschen. Bei mir im Tal heilen deine Wunden, verblassen deine Ängste, du watest stundenlang durch den Fluss. Das Wasser durchströmt dich zärtlich mit seiner ganzen Kraft. Jede Zelle gesundet, das Wasser nimmt die Bilder mit sich fort, die dich gefangen hielten.

Am Abend beim Požar, dem Gasthaus im Ort, gehst du in deinem Zimmer der Kunst des Fliegenbindens nach. Verschiedene Geflügelfedern und bunte Seidenfäden bindest du kunstvoll um den Haken. Am nächsten Tag hat sich die Mühe meistens gelohnt. Hast du einen Fisch gefangen, wird der Haken im Maul des Fisches gelöst, sodass das Tier sich wieder in seinem Element frei bewegen kann.

Es ist der Instinkt eines Jägers, mit dem du die Mücken beobachtest, die an der Wasseroberfläche taumeln, um von den Fischen verspeist zu werden. Deine Fliege an der Leine der Fischerrute soll jenen gleichen, die über dem Wasser schweben. Nur so kannst du die Fische überlisten.

Es kommt auch vor, dass um die Mittagszeit eine Unec-Äsche in der Glut des Lagerfeuers gebraten wird. Auf der ausgebreiteten Decke liegen die Köstlichkeiten aus dem Dorfladen. Neutral schmeckender heller Käse, die Wurst schon kräftiger, das luftige Brot aus weißem Mehl ergänzt das Festmahl. Und der Fisch muss schwimmen - diesmal im weißen Wein. Das Land, das solche Genüsse bietet, wird von den Menschen später "Ex-Jugoslawien" genannt werden, und der Thymianduft der zarten Fischstücke wird zu einer Erinnerung an ein Paradies werden.

Silvia Meisterle

JAN FRANKL

Silvia Meisterle ist Ensemblemitglied des Wiener Theaters in der Josefstadt. Ö1 Hörerinnen und Hörern ist ihre wandlungsfähige Stimme aus vielen Radiosendungen vertraut.

Es ist ein bacchantisches Fest, nach dem du müde und trunken in die Blumenwiesen sinkst. Der Himmel öffnet sich über dir, die Blumen fächern dir ihren Duft zu, die Vögel singen dich in den Schlaf, und ich vereine mich mit dir in diesem Zustand der Ganzheit. Nichts ist vom anderen getrennt, alles ist eins. Glückseligkeit.

Ein kräftiger Windhauch, ein Gewittergrollen holt dich in die Wirklichkeit zurück. Am oberen Teil des Flusses ergießt sich das Wasser mit lauten Dröhnen aus der Höhle, um im mystischen Talkessel seinen verzweigten Weg aufzunehmen. Der Wuchs der Bäume ist bizarr, sie sind von Moos überzogen. Farne und Lungenkraut fühlen sich hier wohl. Ein schmaler Weg führt zur Höhle, in eine Unterwelt, die man mit zögerndem Schaudern betritt. Charon, der Fährmann, scheint hier mit seinem Boot zu warten.

Immer wieder hattest du dieses Tor gemalt, diese Schwelle. Ein Maler bist du, kein Sänger, doch du gedachtest auch der Eurydike, die in die Unterwelt zurückfiel, und die du nicht retten konntest.

Dann verlässt der Fluss die Unterwelt. Das klare Wasser fließt im breiten, von alten Bäumen und Büschen begrenzten Bett. Die obere Brücke führt von Planina zum Anwesen des Fischereiaufsehers. Es ist ein freundlicher Mann mittleren Alters. Er sorgt dafür, dass die Fischer die Verhaltensregeln respektieren und die Lizenz bezahlen. Auf beiden Seiten des Gewässers breiten sich Wiesen aus, über kleine Feldwege bewirtschaften die Bauern das Tal.

Noch weiter flussabwärts steht die mächtige alte, in Rundbögen gemauerte Brücke. Vom Jagdschloss derer von Windischgraetz stehen nur noch die Ruinen, aber die alten Bäume der Parkanlagen beschützen meine Existenz. Ich stehe in der Mitte der Brücke, oder ich sitze auf der breiten Mauer, und unter mir fließt der Fluss. Die Bilder flussauf- und flussabwärts sind erfüllt vom Geruch des Wassers, vom Leben der Gräser am Ufer. Hier ist auch eine Stange als Wasserstandsanzeige angebracht, denn unsicher ist die Beziehung der Menschen zum Fließenden der Welt.

Von hier aus schlängelt sich der Fluss Unec in großen Bögen weiter durch die Wiesenlandschaft von Planina. Faune und Nymphen beleben das Flussreich, behütet und bewacht vom Gott Pan. Mücken tanzen über dem Wasser, die Fische springen nach ihnen, um wieder ins Nass einzutauchen. O ja, das hast du erlebt, und es in viele deiner Bilder gebracht. Alles tanzt, alles ist in Bewegung, ist in der Leichtigkeit. Alle sind vereint, es ist ein Fest, eine ewige Hochzeit.

Nun wird das Fließen immer langsamer, die Dynamik ist gewichen, das Wasser versickert nach und nach im Untergrund des Karstgebietes. Plötzlich ist der Fluss verschwunden.

Es war wieder Mai, als du hierhergekommen bist. Aber diesmal ist alles anders. Du hast Monate erlebt, die dich zwischen die Welten brachten, zwischen Leben und Tod, zwischen Tod und Tanz. Diesmal bist du gekommen, um Abschied zu nehmen. In deinen Bildern hast du den Weg schon lange angezeigt, hast dich vorbereitet auf den Abschied, warst in der Zwischenwelt, warst bei den Deinen und doch nicht. Du hörtest den tiefen inneren Ruf, sich in die göttlichen Hände zu begeben, begleitet von den Klängen der Offenbarung: "Selig die Toten, die in dem Herrn sterben, selig, selig." - "Ich möchte wie ein Blatt vom Himmel fallen", sagtest du, "und in Gottes Hände aufgenommen werden."

Ich sehe dich langsam, Schritt um Schritt, flussaufwärts durch das Wiesental gehen, am Wasser, an den Brücken und am alten Turm vorbei zum Talkessel. Du gehst den Weg des Flusses nun rückwärts, und durchschreitest das kleine Tor, das erste Tor. Langsam gehst du vorbei am laut tosenden Fluss, dort, wo er sich aus der Höhle ins Flussbett ergießt, weiter hinein in den Höhlenraum. Im Inneren: ein kleiner See, darauf ein Boot. Er ist da, der Fährmann, bereit zur Überfahrt. Bis hierhin darf ich dich begleiten. Der Ort gleicht einer großen Kathedrale, aus den Felsen erklingt feierlicher Gesang. Und das Boot gleitet über das Wasser.

Redaktion: Edith-Ulla Gasser

Übersicht