Filmstill aus "Epicentro"

STADTKINO FILMVERLEIH

Kriegsflotte in der Badewanne

Hubert Saupers Doku "Epicentro"

Kuba, vor allem Havanna, war das Epizentrum eines politischen und kulturellen Bebens, dessen zahllose Nachbeben das Weltgefüge bis heute erschüttern. Mit dieser These steigt der vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer Hubert Sauper in sein neues Filmprojekt ein, für das er drei Jahre in Havanna verbrachte und in dem er wie immer ganz persönliche Einblicke mit detaillierter Recherche, launigen Interviews und atmosphärischen Bildern verknüpft.

Am 15. Februar 1898 explodierte im Hafen von Havanna das Kriegsschiff "USS-Maine", angeblich durch einen Angriff der Spanier, wie es von Seiten der USA hieß. Die Explosion kostete 266 Menschenleben, war Anlass für den amerikanisch-spanischen Krieg und markierte zugleich den Beginn des US-amerikanischen Imperialismus, der untrennbar mit dem Aufstieg des Kinos verbunden war, wie Hubert Sauper in seinem Film anhand zahlreicher Archivbilder zeigt.

"Die allerersten Filme, die die Amerikaner zu sehen waren, wurden allein zu Propagandazwecken gedreht. Sie waren rund eine Minute lang und dienten lediglich dazu, das spanische Imperium, die Spanier und Latinos zu diabolisieren", erzählt Hubert Sauper, der mit der Überblendung von einst ins heutige Kuba auch die Täuschung als größte Waffe des Kinos offenbart.

Die Täuschung als größte Waffe des Kinos

"Später stellte sich heraus, dass es keine Sabotage der Spanier, sondern entweder ein Unfall oder sogar Selbstsabotage war. Die Explosion fand nachts statt, niemand war Zeuge. Also wurde sie, wie andere Kriegsereignisse und böse Taten der Spanier, in einer Badewanne in New York nachgestellt und abgefilmt - mit ca. 30 Zentimeter großen Modellschiffen, Zigarrenrauch und kleinen Sprengköpfen."

Die Bilder verfehlten ihre Wirkung nicht. Die kriegsmüden US-Amerikaner waren wieder in Kampflaune, etliche weitere Kriege folgten. Und die Auswirkungen sind vor allem in Kuba, diesem "Ground Zero des US-amerikanischen Imperiums", wie Sauper sagt, bis heute spürbar.

Mit Kinderaugen die Kolonialgeschichte neu betrachten

Er stellte diese Explosion in der Badewanne in einem Filmworkshop mit kubanischen Kindern und Jugendlichen nach, die auch seine Protagonisten im Film wurden. Er geht mit ihnen ins Kino und dreht Handyfilme auf den Dächern der heruntergekommenen Häuser. Er durchlebt mit ihnen das Ende der Castro-Ära und die Öffnung Kubas.

Und während sie über Armut und Imperialismus, über ihre Träume und Sehnsüchte sprechen, ziehen Horden von ungehobelten Touristen vorbei, die für eine Spritztour im Oldtimer den Monatslohn einer Kubanerin hinblättern.

Filmplakat

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Alle Widersprüche auf einer Insel vereint

Sauper schreibt mit diesem Film seine Sicht auf die Kolonialgeschichte um ein weiteres Kapitel fort, als Porträt einer Insel, die auf vielen Ebenen den ständigen Zusammenstoß von märchenhafter Utopie und haarsträubender Realität erlebt: Zum Beispiel wenn eine junge Frau in einem Atemzug den Imperialismus verteufelt, gegen Trump wettert und von einem Besuch im Disneyland und einer Begegnung mit Brad Pitt und Leonardo DiCaprio träumt.

Drei Jahre hat Hubert Sauper in Havanna gelebt und wie immer wird die intensive persönliche Erfahrung zum wichtigsten Element des Filmerlebnisses zwischen poetischem Streifzug, politischer Analyse und Selbstinszenierung - etwa wenn er von Kindern umringt und zu ihnen nach Hause zum Essen eingeladen wird, oder wenn er eine Kubanerin bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße mit seinen Sprachkenntnissen samt Lokalkolorit verblüfft.

Kleiner Lausbubenstreich als große Metapher

Doch solche kleinen Eitelkeiten verzeiht man ihm spätestens, wenn er sich am Ende des Films mit den Kindern am strengen Portier vorbei in ein Luxushotel schummelt, um auf der Dachterrasse zwischen betuchten Gästen zur Live-Musik im Hotelpool zu planschen.

Der kleine Streich hat wahrlich großen Symbolcharakter. Es ist einer dieser augenzwinkernden Akte der Rebellion, mit dem Sauper und seine jungen Filmstars die Mechanismen eines ganzen Systems aushebeln, nicht ohne es allerdings vorher einen Film lang gewohnt vielschichtig und vielstimmig in seiner ganze Ungeheuerlichkeit bloßgelegt zu haben.

Gestaltung