Postkarten

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Ö1 Sommerserie von 19. Juli bis 26. August

24 Komponistinnen aus drei Jahrhunderten im Porträt

Damit Sie eine Antwort geben können, wenn nach Komponistinnen gefragt wird.

Das Coronajahr 2020 brachte für die Komponistinnen Europas erstaunliche Sichtbarkeiten: Der massive Einbruch von Produktionen im europäischen Konzertleben veranlasste die EBU, die European Broadcasting Union, die Musikgeschichte Europas aus der Sicht der Komponistinnen zu durchforsten.

Aus der Welt der anderen in die Welt des Kanons

Von 30 Komponistinnen, die Europas Geschichte prägten und trotz ihrer Leistungen in der Musikszene und der Gesellschaft aus dem Kanon ausgesondert wurden. Die EBU, der dieses Thema am Herzen liegt, erfand daher Postkartentexte, die aus der Welt der anderen, der Überhörten, in die Welt des Kanons hineinflogen, quasi querschossen.

"Es ist einfach so, dass die Geschichte uns nichts über sie erzählt.“

Jeder beginnt so: „Sobald sich das Thema Komponistinnen in der klassischen Musik stellt, kommt die schnelle Reaktion: Es gebe ja nicht so viele, aus denen man wählen könne. Das ist falsch, denn es ist einfach so, dass die Geschichte uns nichts über sie erzählt.“

Sorgfältig gebaut aus Zitaten und Interview-Ausschnitten, ihre Musik so vielfältig wie inspirierend hineinverwebend, wird das Werk der Komponistin nicht ästhetisch bewertet, denn der Ausgangspunkt ist bereits dessen Qualität, sondern ihre Persönlichkeit geschildert und ihr Werdegang analysiert.

"Für einen Mann ist es etwas ganz Normales zu komponieren, während wir Frauen schnell Zielscheibe für Spott werden."

Pauline Hall

GEMEINFREI

Pauline Hall

„Das Leben ist für eine Frau so viel komplexer als für einen Mann“, sagt die norwegische Komponistin Pauline Hall: „Für einen Mann ist es etwas ganz Normales zu komponieren, während wir Frauen schnell Zielscheibe für Spott werden; weil 90 Prozent des Publikums von uns Idylle und Mondschein erwarten, sind wir angehalten, feminin zu sein, und wenn nicht, betreten wir verbotenes Terrain!“

Wenn also im Sommer am Sendeplatz von Digital.Leben eine Reihe von Komponistinnen erklingt, dann bietet das Innovation aus der Vergangenheit und erstaunliche Erkenntnisse über Karrierestrategien. Wie jene von Amy Beach, der ersten erfolgreichen amerikanischen Komponistin. Schon mit einem Jahr konnte sie 40 Melodien singen, mit drei konnte sie lesen, mit vier hatte sie schon Walzer komponiert; ihre Komposition Ecstasy wurde mehr als 1.000 Mal aufgeführt, sie konnte für sich und ihren Mann von den Tantiemen ein Haus kaufen.

Oder Amanda Maier: Die Schwedin studierte mit 17 Jahren Dirigieren, sie war die erste und einzige Absolventin dieses Fachs an der Königlichen Akademie. Für Edvard Grieg war sie eine der Besten.

Oder Signe Lund: Die Norwegerin ist aus der skandinavischen Musikgeschichte ausgelöscht – sie, die ein Leben lang für die Rechte von Frauen gekämpft hatte, widmete als 60-Jährige während der Besatzungszeit durch die Nazis dem „Führer“ ein Streichquartett.

Oder Francesca Caccini, die erste Opernkomponistin, die zwar von der Reputation ihres Vaters Giulio profitieren konnte, aber nach Fehden mit den Medicis in Vergessenheit geriet, nicht einmal ihr Todesjahr ist bekannt.

Altbekannte Argumente

Die folgende Litanei ist inspiriert von den Diskussionen um eine Gender-balancierte Quote, wie sie die Filmschaffenden gerade geführt haben.

Es wird schon werden, meinen die Vertröstenden.
Es dauert schon jetzt zu lang, sagen die Geduldigen.
Es braucht Bewusstsein, sagen die Zögerlichen.
Es braucht Richtlinien, sagen die Pragmatischen.

Es wird sich ganz natürlich regeln, sagen die Verharrenden.
Es muss eingefordert werden, sagen die Erfolgreichen.
Es liegt an der Qualität, sagen die Blockierer.
Es mangelt den Frauen an Durchsetzungskraft, sagen die Wohlmeinenden.

Es hat sich schon viel verändert, sagen die Vertröstenden.
Es braucht eine Gender-Balance in den führenden Funktionen der Musikorganisation.
Es herrscht Einvernehmen darüber, sagen die Funktionäre.
Förderung heißt Platz-Machen, erkennen die Ungeförderten.

Es braucht seine Zeit, sagen die Zögerlichen.
Das Ziel kann stufenweise erreicht werden, meinen die Entgegenkommenden.
Der Markt wird es regeln, sagen die Ausweichenden.
Erst Regeln schaffen Bewusstsein, sagen die, das Ziel einer Gender-Balance schon erreicht haben.

Am Ende jeder Postkarte steht eine Empfehlung für einen Tonträger und das Schlusswort: Jetzt können Sie eine Antwort geben, wenn nach Komponistinnen gefragt wird.

Gestaltung