Eingemachtes

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gendergerechte Sprache

Gendern und das Eingemachte

Die Debatte über das Gendern flammt wieder auf. Viele Medienhäuser loten gerade aus, wie sie dem Sprachwandel gerecht werden können, ohne ihr Publikum vor den Kopf zu stoßen. Dabei werden durch die Aufregung über Binnen-I und Sternchen nur zentrale ökonomische und gesellschaftliche Fragen zur Gleichstellung zugedeckt, so der Befund von Sprachwissenschafterin Ruth Wodak gegenüber #doublecheck.

Die Eckpunkte liegen seit Jahren auf dem Tisch. Wird in Texten und Beiträgen nur die männliche Form benutzt, sind auch die Bilder, die im Kopf entstehen, männlich. Die Konsequenz: Es fehlen weibliche Vorbilder. Hinzu kommt, dass sich immer mehr Frauen und Mädchen nicht angesprochen fühlen, wenn sie Medien konsumieren, in denen sie sprachlich gar nicht vorkommen.

Eine echte generische Form

Mit "Zeit im Bild"-Moderator Tarek Leitner hat die Debatte, wie man mit dem Gendern umgehen soll, neuen Wind bekommen. Leitner verwendet das gesprochene Binnen-I, den sogenannten Glottisschlag, seit Anfang des Jahres in der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes ganz selbstverständlich. Auch ZIB2-Moderator Armin Wolf macht das, branchenweit gehören sie aber noch zu Minderheit. Tarek Leitner sagt, die bewusst gesetzte Sprechpause, wie etwa bei "Österreicher_innen", sei für ihn aktuell die beste Form, gendergerecht zu formulieren: "Ich bin für mich zu dem Schluss gekommen: Es braucht eine generische Form" – und zwar eine, die alle Menschen umfasst. Die ganze Sendung von "Österreicherinnen und Österreichern" oder "Studentinnen und Studenten" zu sprechen, ließe sich nicht durchziehen, so Leitner.

Mitmeinen ist nicht ausreichend

Die Entscheidung habe er für sich allein getroffen. Denn ORF-weit gibt es keine einheitliche Regelung zur gendergerechten Sprache. Die Redakteurinnen und Redakteure im Fernsehen und Radio können selbst entscheiden, wie sie texten. Prinzipiell gibt es aber das Bekenntnis, dass Frauen nur "mitmeinen" nicht mehr reicht. Als Vorbild sieht sich ZIB-Moderator Leitner nicht: "Ich glaube, wir sind in einer Phase des Ausprobierens, was in der Gesellschaft akzeptabel ist. Das muss sich jeder und jede Kollegin überlegen."

ZIB-Moderator Leitner sagt, er sei weit davon entfernt, mit dem Gendern ein politisches Zeichen setzen zu wollen. Dabei wird die Debatte über das Gendern seit Jahren ideologisch geführt, das habe er auch an den Reaktionen bemerkt, die von "großer Emotionalität" und "Aufgeregtheit" geprägt seien.

Initiative der Nachrichtenagenturen

Das haben auch die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen gerade hautnah erlebt. Als sie in diesen Tagen angekündigt haben, in ihren Meldungen das generische Maskulinum zurückdrängen zu wollen, also nicht mehr nur etwa über "Schüler" zu schreiben, hat die mediale Empörung nicht lange auf sich warten lassen. Ein "Gender-Gestottere" befürchtete das konservative Springer-Blatt "Welt", auf rechten Portalen war gar von einem "volkspädagogischen Drang" zu lesen.

Keine Gender-Sprachrevolution

Dabei kann von einem großen Paradigmenwechsel nicht die Rede sein. Das Binnen-I oder Sonderzeichen wie Sternchen oder Doppelpunkt werden von den Agenturen auch künftig nicht verwendet - wegen der nötigen verständlichen Nachrichtensprache und weil diese aktuell auch nicht dem Regelwerk der deutschen Rechtschreibung entspricht, sagt der Chefredakteur der Austria Presse Agentur, Johannes Bruckenberger. "Es ist keine Revolution, sondern ein evolutionärer Prozess, den wir angehen. Wir sehen uns da nicht in einer Vorreiterrolle oder als bewahrende Instanz. Was wir tun, ist: Wir erkennen an, dass sich die Sprache und die Sprachverwendung verändert."

Zwischen progressiv und konservativ

Der neue Sprachleitfaden ist ein Kompromiss, ein gemeinsamer Nenner für alle Medien, die auf die APA zugreifen. Mit ihnen habe sich die APA auch vorab per Workshop abgestimmt. Immerhin landen die APA-Texte tagtäglich und oft eins zu eins auf den Online-Seiten der Zeitungen, und komplett durch-gegenderte Artikel sind wohl nicht für alle erstrebenswert. Es gebe progressivere Leserinnen und Leser, die sich wünschen, dass der Wandel größer und schneller vonstatten gehe, und das konservativere Publikum, das sich einen bewahrenden, zurückhaltenden Zugang erwartet, sagt Bruckenberger.

Gendern ja, aber wie eigentlich?

Tatsächlich suchen viele Redaktionen gerade intern ihren Umgang mit dem Gendern. Ein Bewusstsein dafür schreiben sich fast alle auf die Fahnen, die männliche Form ist in den allermeisten Texten und Beiträgen aber immer noch deutlich überrepräsentiert. Beim "Standard" werkt gerade eine Arbeitsgruppe, heißt es auf Anfrage, auch ein Treffen mit Leserinnen und Lesern habe es dazu gegeben. Die Standpunkte innerhalb der Redaktion sollen durchaus auseinander gehen, wird erzählt. Der "Kurier" will an der Nennung der weiblichen und männlichen Form festhalten, ohne besondere Schreibweisen.

Auch die Tageszeitung "Die Presse" lässt wissen, dass gerade Richtlinien erarbeitet würden. Mehr geschlechtsneutrale Formulierungen und weniger vom generischen Maskulinum könnte es künftig geben. Und sogar Sonderzeichen wie der Unterstrich könnten künftig zum Einsatz kommen, heißt es. Man lege großen Wert auf die "Sichtbarkeit von Diversität" und wolle "alle gesellschaftlichen Gruppen" miteinbeziehen.

Im modernen Zeitalter ankommen

Die Leiterin des Debatten-Ressorts und langjährige Medienredakteurin bei der "Presse", Anna Wallner findet es gut, dass sich Redaktionen jetzt endlich mit dem Thema auseinandersetzen. Die Sorge, ob man die Leserinnen und Leser vor den Kopf stößt, hat Wallner nicht: "Dann muss ich genauso zurückfragen: Und was ist mit dem anderen Teil? Der, der sich bis jetzt nicht mitgemeint gefühlt hat? Der, der bisher das Gefühl hatte, man ist nicht bereit, weiter zu gehen und im modernen Zeitalter der Sprache anzukommen?"

Wirklich treffende Argumente fehlen

Es sei letztlich eine Frage der Gewöhnung, sagt Wallner: "Ich habe noch nie ein wirklich gutes Argument gehört, was dagegen spricht. Außer: Wir haben es immer schon so gemacht, und es ist mühsam, es anders zu machen." Bei langen Texten habe sie aber Verständnis, wenn kein Binnen-I, Sternchen oder Doppelpunkt verwendet wird, das störe das Lesevergnügen, meint die "Presse"-Journalistin. "Tatsache ist aber, dass ich im Jahr 2021 nicht mehr diskutieren will, ob es in Ordnung und gerechtfertigt ist, die weibliche Form zu verwenden."

Ruth Wodak

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Ruth Wodak

"Genderleicht" statt dogmatisch

Auch die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak plädiert für einen nicht-dogmatischen Ansatz. Es gehe darum, Frauen sichtbar zu machen, und das habe auch ganz handfeste Konsequenzen. Etwa wenn Frauen in der Medikamentenforschung nicht miteinbezogen werden und dann eine schlechtere medizinische Behandlung bekommen, sagt Wodak. Medien hätten eine besondere Verantwortung und könnten dazu beitragen, dem Sprachwandel einen offiziellen Anstrich zu verleihen.

Journalistinnen und Journalisten sollten sich je nach Situation überlegen, welche Form für sie passt, immerhin gebe es viele Optionen: Neben dem Binnen-I, Sonderzeichen – die den Vorteil haben, nicht nur Männer und Frauen zu inkludieren, sondern etwa auch nicht-binäre oder Trans-Personen -, Doppelformen, Partizip-Formen, gibt es auch neutrale Formen, wie zum Beispiel die Begriffe "Fachleute" und "Studierende". Konkrete Tipps, wie man formulieren kann, gibt es etwa vom deutschen Journalistinnen-Bund und der Initiative "Genderleicht".

Am Ende geht’s ums Patriarchat

Dass die Debatte seit Jahrzehnten gleich abläuft, hat für die Expertin Wodak einen klaren Grund. Letztlich sei es ein Kampf um die Aufrechterhaltung des Patriarchats. Und Aufwind habe das Thema durch rechtspopulistische Parteien: "Es ist die Ablehnung einer progressiven – oder sagen wir: angemessenen – Genderpolitik im 21. Jahrhundert, wo es darum geht, neue Realitäten einfach wahrzunehmen und anzuerkennen." So hätten etwa auch Studien gezeigt, dass mit dem Aufstieg der rechtsextremen "Alternative für Deutschland" dort die Debatten über das Gendern zugenommen hätten, sagt Wodak.

Das Eingemachte bleibt unbeachtet

Für Medien ist das ein gefundenes Fressen. Das Gender-Thema landet regelmäßig auf den Titelseiten vieler Blätter, vom "Krieg der Sternchen" im Wochenblatt "Falter" bis hin zur Frage "Ist das noch Deutsch" im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Anfang des Jahres. Ruth Wodak: "Es ist leichter, über ein solch symbolisches Thema zu debattieren, als tatsächlich – wenn ich das so sagen darf – über das Eingemachte. Gewalt, Bezahlung, Arbeitsplätze – all dies wird vernachlässigt. Anstelle dieser unheimlich wichtigen Themen, diskutiert man über das große I oder das Gendersternchen."

Anna Wallner von der "Presse" vermutet auch Clickbait, dass sich Medien mit dem Thema möglichst viele Online-Zugriffe erhoffen. Die emotionale Debatte werde sich aber ohnehin bald erübrigen, denn für die nächste Generation sei Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache schon viel selbstverständlicher. "Wobei ich nicht glaube, dass man als tendenziell älterer Mensch nicht begreift, worum es da geht", schränkt Wallner ein.

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