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Mediale Abhängigkeiten
Das böse Wort Inseratenkorruption
Bestraft die ÖVP kritische Berichterstattung mit Inseratenentzug? Das Nachrichtenmagazin "News" liegt deshalb gerade im Streit mit der Kanzlerpartei. Ein früherer Ressortleiter der "Kronen Zeitung" spricht von redaktionellen Gegengeschäften. "Nonsens", sagt die ÖVP. Und eine neue Studie belegt, wen die Regierung fördert. Spoiler: "Österreich" bekommt pro Leser und Leserin vier Mal so viel wie der "Standard".
2. August 2021, 02:00
Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat - so beschreibt Horst Pirker die Reaktion auf den regierungskritischen Artikel in "News", das zur VGN-Magazingruppe gehört. Pirker ist Mehrheitseigentümer. Man habe schon mehrere kritische Artikel geschrieben, sagt Pirker "sodass ich das als letzten Anstoß interpretiere, uns für unsere kritische Haltung zu bestrafen". Pirker sagt: Das Ministerium habe den Werbestopp in allen Medien seiner VGN-Medienholding - also auch "trend", "Woman", "TV-Media" - angekündigt. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) dementierte das in der ZIB2, indem er es ins Lächerliche zog. Er sagt, wenn bei jeder schlechten Berichterstattung die Öffentlichkeitsarbeit eingestellt würde, gäbe es keine Berichterstattung mehr.
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"Wir halten das wirtschaftlich aus"
"Tatsächlich handelt es sich um einen Inseratenstopp", sagt Pirker. Er habe keinen neuen Hinweis, dass es andere Überlegungen dazu gäbe. Es gehe um 200.000 Euro für "News" und ein Mehrfaches, wenn man die anderen Magazine dazuzähle. Pirker erinnert daran, dass es vielen Medienhäusern ähnlich gehe. Er gehe nun an die Öffentlichkeit, weil er "diese Übungen" für sein Haus abstellen will: "Was wir gesagt haben ist die Wahrheit. Wir wissen, dass wir diese öffentliche Kommunikation gut aushalten und dass uns das wirtschaftlich nicht bedroht."
Mehr als nur die Butter aufs Brot
Das wiederum ist nicht in allen Medienhäusern so. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Regierungsinseraten wird immer größer. Das sagt auch Thomas Schrems. Er war jahrelang Leiter des Chronik-Ressorts der "Kronen-Zeitung" und redet nun offen darüber, wie die ÖVP die "Krone" unter Druck setze. Die Zeitung brauche die Inserate wie einen Bissen Brot, früher war das anders. "Das war die Butter aufs Brot. Das ist ein Riesenunterschied. Heute ist es so, dass sie das Geld wirklich braucht, weil die "Krone" ein Drittel ihrer Leser verloren hat", sagt Schrems.
"Kontrollierte Nähe" zur Disziplinierung
Dafür müsse man auch mehr politischen Druck aushalten als früher. Der sei noch dazu subtiler als etwa unter SPÖ-Kanzler Werner Faymann, der auch bekannt war für seine engen Inseraten-Beziehungen zum Boulevard. Man werde in einem schleichenden Prozess Teil der "Kurz-Familie", sagt Schrems. Er hat seine Erfahrungen mit Gerald Fleischmann gemacht, früher Pressesprecher, heute Medienbeaufragter des Kanzlers. "Er bietet dir ein, zwei Geschichten an, die nett klingen, die kriegst du exklusiv und fordert bald die Gegenleistung ein." Dazu komme, dass man schnell per Du sei, Einladungen folgen. Das erzeuge eine "kontrollierte Nähe". "So wird man leicht verstrickt und immer mehr Gefallen werden schuldig. Es wird immer schwieriger, den kritischen Blick zu bewahren." Die ÖVP sagt auf Anfrage: "Das ist alles Nonsens."
Thomas Schrems im #doublecheck-Interview mit Nadja Hahn.
"Für ein Inserat gibt’s ein Gegengeschäft"
Bei der "Krone" sei die Verstrickung mit der Kanzlerpartei enger denn je, behauptet Schrems - und das, obwohl sich die Zeitung nach der Ibiza-Affäre von ihrer Distanzlosigkeit gegenüber der Strache-FPÖ reinzuwaschen versucht hat und seither ihre Unabhängigkeit von der Politik demonstrativ vor sich herträgt. "Krone"-Herausgeber Christoph Dichand und Chefredakteur Klaus Herrmann wollten Schrems Aussagen auf Anfrage nicht kommentieren.
Von ÖVP-Seite geben manche das Spiel mit den Medien sogar hemdsärmelig zu, etwa Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im Interview mit Wolfgang Fellner vor einem halben Jahr. "Sie wissen wie das läuft: Für ein Inserat gibt’s ein Gegengeschäft", sagte Sobotka damals. Ein altes Spiel, das nur hinter vorgehaltener Hand einen Namen hatte -Horst Piker spricht ihn aber jetzt offen aus: "Inseratenkorruption. Das ist ein hartes Wort. Aber man tut sich schwer, es als unangemessen zu bezeichnen."
Der Boulevard profitiert im Corona-Jahr
Die Zahlen sprechen für sich. Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien hat mit seinem Team die Medienförderungen im Corona-Jahr 2020 in einer brandneuen Studie unter die Lupe genommen. Von insgesamt 107 Millionen Euro an Inseraten der öffentlichen Hand in Tageszeitungen hat allein die Bundesregierung 33 Millionen ausgegeben - doppelt so viel wie vor dem Regierungswechsel und vor Beginn der Pandemie. Bricht man das herunter auf die Verteilung pro Kopf, dann zeigt sich wieder: Der Boulevard profitiert. Auf einen Leser von "Österreich" entfallen 8,22 Euro, auf eine Leserin des "Standard" 2,43 Euro. Das sei nicht zu erklären, sagt Kaltenbrunner, zumal ja die Regierung den Auftrag haben müsse, die Bevölkerung breitflächig mit wichtigen Informationen zu versorgen.
MEDIENHAUS WIEN
Kaltenbrunner hat auch analysiert, was die Zeitungen 2020 insgesamt aus öffentlichen Töpfen bekommen haben. Zu den Inseraten rechnet er Presseförderung, Corona-Sonderförderung und Privatrundfunk-Förderung für die TV-Aktivitäten der Print-Verlage dazu - und da verfestigt sich das Bild: Die "Krone" bekommt am meisten, und zwar 33 Millionen Euro, gefolgt von der Mediengruppe "Österreich" und "Heute". "Die Presse" und "Der Standard" bekommen nicht mal dein Drittel davon, sondern rund neun Millionen Euro.
MEDIENHAUS WIEN
Qualität und Innovation nicht belohnt
Kaltenbrunner bestätigt auch, was Schrems über die "Krone" sagt: Die finanzielle Abhängigkeit steigt. Die Gratiszeitungen "Österreich" und "Heute" lukrieren aus diesen genannten Förderungen 20 bis 40 Prozent ihres Umsatzes, sagt Kaltenbrunner. Bei der Mediaprint mit "Krone" und "Kurier" liege man bei zehn bis 20 Prozent. Gefördert werde die Menge an gedrucktem Papier. Bestraft würden dadurch jene, die sich überlegen, wie sie im Internet Leser und Leserinnen gewinnen, oder die, die selbst versuchen, Geld zu verdienen, sagt Kaltenbrunner. Von einer Reform der Medienförderung, die sich mehr an Qualität und Innovation statt Auflage orientiert, wie es im Regierungsprogramm eigentlich vorgesehen ist, sei nichts zu bemerken. Im Gegenteil, das alte System werde verstärkt. „Das schadet der Demokratie“, sagt Medienexperte Kaltenbrunner.
Inszenierungen regelmäßig analysieren
Wichtiger denn je sei es daher jetzt, transparent zu machen, wie die Regierung arbeite, sagt auch die Grazer Mediensachverständige Barbara Sommerer, vor allem weil immer mehr Kommunikationsexperten der Regierung immer weniger Journalisten gegenüber stehen: "Die Manipulation passiert dort, wo ich sie nicht erkenne. Brauchen wir eine Inszenierungsanalyse? Ja, auf jeden Fall, und sie muss Teil der Berichterstattung werden", so Sommerer.
Volksbegehren zu Inseratenkorruption
Auch im angelaufenen Anti-Korruptionsvolksbegehren ist die Inseratenkorruption ein Thema - erstmals, ebenso wie Compliance-Regeln für Medien. Öffentlicher Druck sei notwendig, sagt Sommerer - und auch Kaltenbrunner und Pirker befürchten ungarische Verhältnisse in einer österreichischen Spielart. Von Ungarn sei man weit entfernt, "aber die Richtung stimmt nicht", meint Kaltenbrunner. Pirker erklärt, in Ungarn habe Premierminister Viktor Orbán alle Medien von befreundeten Geschäftsleuten aufkaufen lassen, das mache Bundeskanzler Sebastian nicht, aber: "Kurz bedient die Medienlandschaft durch Zahlungen, über Steuergeld, wenngleich ich das für einen großen Missbrauch halte."
Der aktuelle Digital News Report des Reuters Instituts in Oxford zeigt, dass in Österreich das Vertrauen in Qualitätsmedien während der Pandemie stark gestiegen ist. Die Regierung fördert das Gegenteil.
Service
"Scheinbar transparent II" - Studie zur Inseratenvergabe in Österreich vom Medienhaus Wien