Telefon, Sitzpolster

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Hörspiel des Monats

Auszeichnung für "Flüstern in stehenden Zügen"

Das gleichnamige Theaterstück von Clemens J. Setz verhandelt Themen, die vielen Menschen während der Lockdown-Phasen zu oft leidvollen Erfahrungen geworden sind - Einsamkeit, Isolation, Entfremdung. Die Hörspielfassung, die Ö1 in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Graz und dem ORF-Landesstudio Steiermark erarbeitet und im Juni gesendet hatte, wurde von der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel des Monats Juni 2021 gewählt.

Die Begründung der Jury

"Hallo, mein Name ist Riese, ich möchte Ihnen bitte all mein Geld überweisen. Wie mach ich das?" - Der Horror jedes Konsumentenschutzverbandes wird hier zur nächtlichen Beschäftigungstherapie für den Computerladenmitarbeiter "C.". Raphael Muff als einsamer Protagonist dieses eindringlichen Audiomonologs durchwühlt seinen Spamordner auf der Suche nach der nächsten Abzockermail. Mit schwerer Zunge geht er mit seinen betrügerischen Gesprächspartner/innen auf Tuchfühlung, gewitzt versucht er menschliche Regungen beim stummen Gegenüber zu provozieren und erfindet sich dabei von Telefonat zu Telefonat neu.

In Philip Scheiners Bearbeitung des gleichnamigen Theaterstücks von Clemens J. Setz werden die kurzen Gesprächspassagen zu aufgeheizten Klangwüsten. Den Dialog bleibt er schuldig, denn die Antworten auf C.s Gesprächsbemühungen sind nicht zu hören. Gerade das macht das Radiostück zum emotionalen Hörspielabenteuer. Das Zuhören wird zur Achterbahnfahrt der Gefühle: Ekel, Mitgefühl, Unverständnis, Schadenfreude wechseln sich genauso schnell ab wie die Namen der kontaktierten Callcenter-Mitarbeiter/innen. Sie tun einem fast schon leid, die Ulrichs, Arthurs, Bobs, Angelikas und Gerds da auf der anderen Seite der Telefonleitung. C. lässt nicht locker, zählt gefakte Passwörter auf, wiederholt geduldig falsche Kundennummern und erzählt nebenbei von seiner Schwester Dora, die leider vom Bora-Wind in Triest davongeweht wurde, von seinen neuen Boxhandschuhen mit den klingenden Namen "Billy und Scott" und von weiteren tragischen Schicksalsschlägen seiner erfundenen Verwandtschaft.

Der dramaturgisch fein gewebte Text mit seinen raumgreifenden Pausen hat die Jury sofort in den Bann gezogen. Zusammen mit der nuancenreichen Stimme Raphael Muffs entfaltet die sphärische Klangkomposition aus metallischen Sounds ein wunderbares akustisches Kammerspiel. Muffs Stimme changiert zwischen Zärtlichkeit, unverhohlener Aggressivität und unendlicher Traurigkeit. Dahinter steht eine dichte Klangkulisse voller mysteriöser Geräusche, die durch die Leitungen vibrieren. Grilli Pollheimers Originalmusik fürs Theaterstück akzentuiert gemeinsam mit den Sounds von Stefan Martin Weber das Gesprochene. Und plötzlich, nach all den ins Leere gesprochenen Dialogen, gibt es Antworten. Der Arbeitskollege (Franz Solar) lässt sich zur Mittagsjause einladen und die Kundin aus dem Computerladen (Evamaria Salcher) zeigt echtes Interesse an C.s Flirtversuchen. Das weckt berechtigte Hoffnung auf ein Happy End.

Service

Akademie der Darstellenden Künste - Hörspiel des Monats
Schauspielhaus Graz - Flüstern in stehenden Zügen