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Roman von Ariel Magnus
Adolf Eichmann in Argentinien
Der argentinische Schriftsteller Ariel Magnus hat deutsche Wurzeln. Seiner Großmutter, einer Holocaust-Überlebenden, hat er 2012 den Roman "Zwei lange Unterhosen der Marke Hering" gewidmet. In seinem neuen Roman wechselt Magnus nun die Perspektive und erzählt über die argentinischen Jahre eines der größten Nazi-Verbrecher, der Titel "Das zweite Leben des Adolf Eichmann".
27. September 2021, 02:00
Juli 1952. Vor zwei Tagen starb Evita und durch Buenos Aires irrt ein Mann, mit O-Beinen und im löchrigen Mantel, der verzweifelt versucht, Blumen aufzutreiben. Der Grund: Seine Frau ist gerade zusammen mit den drei Söhnen per Schiff aus Deutschland angekommen.
Lücken füllen
Seit sieben Jahren hat Adolf Eichmann seine Familie nicht mehr gesehen, doch weil das Volk alle Blumen für die verstorbene Evita aufgekauft hat, wird es nichts aus dem Rosenstrauß zur Begrüßung für seine Frau. Mit dieser Szene beginnt der Roman "Das zweite Leben des Adolf Eichmann". Ariel Magnus dazu: "Es ging mir darum, die Lücken zu füllen, die in der Geschichtsschreibung und in den Biografien klaffen, ganz einfach, weil es dazu keine Aussagen oder Quellen gibt. Da musste dann die Literatur einspringen."
"Ich wollte das Buch aus Eichmanns Sicht schreiben“ Ariel Magnus
Sich durch die Hölle lesen
Um Adolf Eichmanns Denken zu verstehen, hat Magnus dessen im Gefängnis geschriebene Autobiografie gelesen, wichtig waren auch Eichmanns Aussagen im Prozess in Jerusalem und ein ausführliches Interview, das Eichmann in Argentinien dem niederländischen Journalisten und Nazi-Kollaborateur Wim Sassen gegeben hatte. Eine intensive und aufreibende Recherchearbeit.
"Es war wirklich die Hölle", sagt Ariel Magnus über seine Recherchearbeit. "Als ich dann aber den richtigen Ton für meinen Roman gefunden, die erste Szene geschrieben und wirklich das Gefühl hatte, im Argentinien der 50er-Jahre heimisch zu sein und Eichmann in der Hand zu haben, begann die Vergeltung. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Sicherheit, jetzt hab‘ ich dich, Eichmann, und jetzt werde ich aus dir eine Figur machen und du wirst meine Figur sein."
Eichmanns Sprache
Um den besonderen Tonfall des Romans auch im Deutschen zum Ausdruck zu bringen, musste die Übersetzerin Silke Kleemann ähnliches leisten wie der Autor. "Sie musste durch die Hölle wie ich", so Ariel Magnus, "weil sie auch Eichmann lesen musste, um meine Sprache nicht zu weit weg von Eichmanns Sprache anzusiedeln.
Idiot oder Intellektueller
Er wollte keine Groteske schreiben, sagt Ariel Magnus, eine feine ironische Note zieht sich jedoch sehr wohl durch den Roman. Die macht "Das zweite Leben des Adolf Eichmann" aber nicht weniger tiefschürfend, denn Magnus sieht sehr genau hin und er bricht mit Hannah Arendts Darstellung von Eichmann als dümmlichem Bürokraten, der willfährig seinen Dienst tut.
"Natürlich hat er sich als kleines Rädchen dargestellt", sagt Ariel Magnus, "er wollte schließlich der Todesstrafe entgehen. Das entsprach aber überhaupt nicht seinem wahren Selbstbild. Deshalb waren für mich auch die Sassen-Interviews so wichtig, weil er da wirklich sagt, was er denkt, und zeigt, wie stolz er auf seine Arbeit im Dritten Reich war, die er wirklich als seine Lebensarbeit betrachtete."

KIEPENHEUER & WITSCH
Der Feminist Adolf Eichmann
Als überzeugten Ideologen zeigt Ariel Magnus Adolf Eichmann, der seine Fähigkeit zu bluffen und zu täuschen beim argentinischen Kartenspiel Truco perfektioniert. Zum Haareraufen sei es, so Ariel Magnus, was Eichmann so von sich gegeben hat, um sich in ein besseres Licht zu rücken: "Da meinte er zum Beispiel an einer Stelle, dass eigentlich die Frauen die Welt regieren sollten, weil wir Männer bewiesen haben, dass wir es nicht können. So ist der Eichmann, macht sich auch noch schnell zum ersten Feministen."
Massenmorde und Kaninchenzucht
Bis zu seiner Ergreifung durch den israelischen Geheimdienst Mossad geht der Roman; ein Bravourstück, das es auf atemberaubende Weise schafft, hinter die Fassade eines Mannes zu blicken, der in seinem Leben Massenmorde verantwortete und Kaninchen züchtete, leidenschaftlich Sonnenuntergänge liebte und den Transport von Millionen von Juden in Konzentrationslager organisierte.
Service
Ariel Magnus, "Das zweite Leben des Adolf Eichmann", aus dem Spanischen von Silke Kleemann, KiWi
Gestaltung
- Wolfgang Popp