Thomas Wally - ORF/JOSEPH SCHIMMER
"Zeit-Ton"-Serie
Neue Musik auf der Couch
Der Komponist, Geiger und Senior Lecturer Thomas Wally analysiert in "Zeit-Ton" zentrale Streichquartette des 20. und 21. Jahrhunderts.
1. Oktober 2021, 17:10
Die Analyse von Musik ist sein Beruf. Genauer gesagt: eine seiner Berufungen. Denn Thomas Wally ist nicht nur Senior Lecturer an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien für die Fächer Angewandte Satzlehre, Gehörtraining und Höranalyse. Er spielt als freischaffender Geiger sowohl bei den Wiener Philharmonikern als auch bei führenden Ensembles zeitgenössischer Musik. Zudem ist er Mitglied des Streichquartetts Ensemble Lux. Als Komponist wurde ihm zuletzt eine Porträt-CD auf dem Label col legno gewidmet. Jüngstes Werk: Ein Trompetenkonzert für die gefragte Solistin Selina Ott und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien für den Eröffnungsabend von Wien Modern am 30. Oktober 2021.
Thomas Wally analysiert zum Auftakt Anton Weberns "5 Sätze" für Streichquartett (1909) - und greift dabei auch auf Mozart und Wagner zurück.
Vorwissen nicht nötig
Für die Ö1 Reihe "Zeit-Ton" wird Wally einmal pro Monat ein Streichquartett der letzten 100 Jahre genauer unter die Lupe nehmen – auch mit eigenen Klangbeispielen auf Violine und Klavier. "Der Schwerpunkt wird auf analytischer bzw. höranalytischer Betrachtung liegen und weniger auf anekdotischer oder biografischer", betont Wally. Die Grundfragen dieser Reihe lauten: Was hören wir, wenn wir diese Werke hören? Welchen Besonderheiten sollen wir Aufmerksamkeit schenken? Den Hörer/innen werden Tools bereitgestellt, mit deren Hilfe diese Musik mit geschärftem Fokus wahrgenommen werden kann.
Wer von überforderndem Musikunterricht traumatisiert ist, braucht sich nicht zu fürchten: "Wir machen Analysestunden, aber nicht an der Tafel und mit Noten, sondern mit unseren Ohren. Grundsätzlich denke ich, dass man überhaupt kein Vorwissen benötigt, um zeitgenössische Musik genießen zu können", meint Wally. Im Gegenteil könne eine musikalische Ausbildung, die sich in erster Linie auf musikgeschichtliche Ereignisse von vor 200 Jahren konzentriert, auch zum Hindernis werden, "weil man die Klänge nicht wiedererkennt, die man gewohnt ist". Gewisse Besonderheiten werden sich naturgemäß erst erschließen, wenn man den Dingen auf die Spur kommt: "Der Kunstgenuss wird eigentlich nie getrübt, wenn man hinter die Kulissen eines Werkes blickt, ganz im Gegenteil."
Werke in einem neuen Licht
Aber wie können wir Musik überhaupt verstehen und über sie sprechen - zumal sie Gedanken formuliert, die durch Sprache nicht ausgedrückt werden können? "Anton Webern, dessen '5 Sätze' für Streichquartett ich am 4. Oktober analysieren werde, hat in einem Vortrag sinngemäß gefragt: Wenn ich etwas auch sagen kann, warum soll ich's dann überhaupt in Musik setzen?" Idealerweise ist Musik also etwas, das schwer zu verbalisieren ist. "Das wird für mich auch gewisse Schwierigkeiten bringen, aber dennoch: Es gibt Dinge, die man analysieren und in Worte fassen kann und die stellen durchaus eine Hörhilfe dar. Sie werden die Werke in einem anderen Licht sehen und hören, wenn Sie diese Sendereihe begleiten", verspricht Wally.
In früheren Jahrhunderten war die große Mehrzahl der im Konzert aufgeführten Kompositionen neu. Heute ist dieses Verhältnis umgekehrt. Hat sich die Musik von den Menschen wegbewegt oder die Menschen von der Musik? "Dass es einen Graben gibt und dass dieser Graben auch bewusst manchmal gesucht wird, das kann man nicht abstreiten", konstatiert Wally. "Gleichzeitig bin ich immer wieder darüber erstaunt, wie salonfähig die Neue Musik heute ist, wie groß das Interesse für neue Opernproduktionen ist oder für Festivals wie Wien Modern. Hier gibt es eindeutig auch ein Publikum, ein Bedürfnis und Interesse."
Gestaltung
- Rainer Elstner