Felicitas Hoppe

Felicitas Hoppe - TOBIAS BOHM

Siegfrieds Zorn reloaded

"Die Nibelungen" von Felicitas Hoppe

Die deutsche Schriftstellerin Felicitas Hoppe hat das "Nibelungenlied" neu geschrieben: aus der stummen Beobachterposition bei einer Open-Air-Theateraufführung in Worms. Was anfangs verwirrend, unzugänglich und eintönig daherkommt, wird allmählich zum großen Lesespaß.

Mit den "Nibelungen" verbinde sie seit Jahrzehnten eine stabile Hassliebe, sagt die Schriftstellerin Felicitas Hoppe. So faszinierend der Schatz, so abstoßend sei für sie die brutale Handlung gewesen. Also schrieb sie die Geschichte kurzerhand neu, auch als "therapeutisches Projekt", um sich "den Stoff vom Leib zu schreiben", wie sie sagt.

Zwerg Zorn und die Goldene 13

Erzählt und beschrieben wird eine Open-Air-Aufführung bei den Nibelungen-Festspielen in Worms, aus der Sicht von Siegfrieds stummem Begleiter im Beiboot und mit neuen Protagonisten wie Siegfrieds personifiziertem Zorn oder der sogenannten "Goldenen 13", die den verfluchten Schatz verkörpert. Auch sonst nimmt sich die Autorin allerlei Freiheiten heraus und lässt abwechselnd die Reaktionen des Publikums und die Ideen der übereifrigen Regisseurin einfließen.

Beschrieben wird das alles im süffisant dahinleiernden Erzählton ihres Augenzeugen. Das macht die Lektüre vor allem zu Beginn äußerst anstrengend. Erholung bieten lediglich die Zwischenüberschriften, die wie im Stummfilm auf kleinen schwarzen Tafeln prangen und dem Untertitel des Buches nur eine seiner vielen Bedeutungen verpassen.

Hagen geht baden, Siegfried häutet seinen Zorn

"Mir war ja das Schreiben genauso anstrengend wie Ihnen das Lesen", sagt Hoppe lachend im Interview. Daher habe sie zwei Arten von Pausen eingefügt. Zum einen - in Anlehnung an Fritz Langs berühmten Stummfilm - die Zwischentitel, die als kleine Zäsuren für Atempausen sorgen und in teils witzigen Schlagwörtern die weitere Stoßrichtung vorgeben. Zum anderen die beiden Pausen der Aufführung, die sie mit allerlei Pauseninterviews der Lokalpresse mit den Schauspielerinnen und Schauspielern füllt.

Und spätestens da offenbart sich, was auch für viele Theaterabende gilt: Wer sich schon vor der ersten Pause hinausschleicht, versäumt das Beste. Diese fiktiven Interviews strotzen vor ulkigen Wortgefechten, ironischen Kommentaren und ungeschönten, direkten Fragen an die selbstverliebten Möchtegern-Berühmtheiten, die in Worms auf den großen Karrieredurchbruch hoffen. Ein Schlagabtausch mit Hagen, ein kurzes verbales Duell mit Siegfried, ein kleiner Zwischen-Tür-und-Angel-Talk mit seinem Zwerg Zorn, und schon geht es weiter im Programm, das plötzlich ungleich vergnüglicher und leichtfüßiger zu lesen ist als noch zuvor.

Buchumschlag

S. FISCHER VERLAG

Rettung vor dem ideologischen Missbrauch

Dass der Stoff aus dem frühen 13. Jahrhundert vor allem seit Wagner und später im Nationalsozialismus derart ideologisch aufgeladen wurde, darum käme man in der heutigen Rezeption nicht herum, sagt Hoppe. Sie selbst allerdings habe eine andere, pure Lesart gewählt, in der Übersetzung von Uwe Johnson nämlich, dem sie das Buch auch gewidmet hat.

"Man kommt um die NS-Symbolik nicht herum, aber ich habe auch ein wenig versucht, den Stoff von solchen Fehlinterpretationen zu befreien", erzählt Hoppe und nennt als Beispiel die Liebesbeziehungen der beiden Paare: "So etwas wie die wahre, große Liebe, das gab es damals ja gar nicht. Und das war auch eine Erleichterung für mich, zu sagen: Kriemhild und Brunhild sind vor allem kluge Geschäftsfrauen."

Stummer Zeuge in Aktion

Mitten im Geschehen, bekommt der stille Beobachter am Ende doch noch einen wichtigen Job im Stück. Doch dazwischen hat er Zeit, aus dem Augenwinkel auf das Publikum zu schielen, das bei den ersten Regentropfen die Schirme aufspannt, bei den Auftritten der Wormser Laiendarsteller in Verzückung gerät und bei der gedeckten Tafel sichtlich auch schon in Gedanken beim Pausenbüffet steht.

Es wird schwer sein, bei künftigen Wormser oder Bayreuther Festspielen nicht Felicitas Hoppes verschmitzten Tonfall und Blickwinkel im Ohr bzw. vor Augen zu haben. Aber vielleicht ist gerade das der einzig mögliche Zugang zum Nibelungenstoff angesichts der neu aufkeimenden Heldenrhetorik und Nationaltümelei hier und anderswo.

Service

Felicitas Hoppe, "Die Nibelungen - Ein deutscher Stummfilm", Roman, S. Fischer

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