Segelschiff von Walter Mäder

PRIVAT

Menschenbild

Der Segler und Pfarrer Walter Mäder

Walter Mäder wohnt dort, wo das Schweizer Mittelland Wellen schlägt. Eine hügelige Gegend abseits der flachen Städte. Ich steige aus dem Bus, und Walter erwartet mich.

Der pensionierte reformierte Pfarrer nimmt mich unter seinen Schirm, es nieselt, und dieser Montag im Oktober wird im Verlauf des Nachmittags immer trüber.

Ich lebe meine Träume

Walter Mäder, geboren 1943, hat an vielen Orten in der Schweiz und jahrelang auf seinem Segelschiff gelebt. "Das Aufbrechen ist fast das Schönste." Es gibt Rindergeschnetzeltes mit Zwetschken und breiten Nudeln, dazu Rotwein. Seine Frau Doris und er fragen nach meinem Leben, nach dem Beruf und meinen Kindern.

Ein "Menschenbild" ist eine Annäherung. Nach dem Essen suchen wir einen Platz für das Gespräch. Walter zeigt mir das Arbeitszimmer, wo er gern auf dem Sofa liest, schreibt oder nachdenkt. Aber, meint er, wenn es dem Radiomacher gefällt, würde er gern im Schlafzimmer sein. Zwischen Bett und großem Fenster, durch das man eine inselartige Kuppe mit Wald sieht, stehen seine liebsten Bücher (das liebste: "Wie eine Träne im Ozean" von Manès Sperber).

Mit "Papillon" um die Welt

Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt sein erstes Segelschiff namens "Papillon". Ein Folkeboot (7,85 Meter lang, einfach, aber seetüchtig), mit dem er Anfang der 1970er Jahre Europa verließ und von dem der Pfarrer, sich der Bedeutung von Worten bewusst, fesselnd erzählt. Etwa, wie er 1.000 Seemeilen vor den Marquesas-Inseln am Morgen an Deck kam und zusehen musste, wie das Ruder abbrach und im Pazifik versank. Wenige Jahre später war er wieder dort.

Am Beginn der Weltumsegelung trennte sich seine erste Frau von ihm und flog von Madeira zurück in die Schweiz. Er segelte mit den beiden Kindern (damals sechs und acht Jahre alt) weiter, allein um die Welt. Es war keine leichte Fahrt, sagt Walter Mäder, und erzählt von der langen Passage über den Pazifik. Aber auch davon, wie beim Einnachten die Insel Fatu Hiva am Horizont auftauchte. "In der Dunkelheit habe ich darauf zuhalten und sie umrunden können, und ich habe mich in ihrem Windschatten treiben lassen. Ich bin einfach dagesessen und habe aufgeatmet."

Diese Art Nähe habe ich an Land nicht mehr erlebt.

Mit großer Liebe erzählt er von der Fahrt mit seinen Kindern ("Weißt du, Papa, das war die schönste Zeit in meinem Leben"). Er kochte für die Kinder, unterrichtete sie zwei Jahre lang, sie sangen und spielten. "Ich trauere diesen warmen, herzlichen Momenten nach. Diese Art Nähe habe ich an Land nicht mehr erlebt."

Momente, die nachwirken

Mein Blick verschwimmt, und ich bin froh, dass ich nichts sagen muss, es ist ein Gespräch, das keiner Bekräftigung bedarf, dafür Momente bereithält, die sich in meiner Radioseele festsetzen. Einige Stunden erzählt er von seinem Leben, der Kindheit, dem Unfall als 13-Jähriger, der ihn in seine Träume fliehen ließ. Von seiner Arbeit als Pfarrer und Seelsorger, von der Liebe zum Segelschiff, der Liebe zu seiner Frau Doris, mit der er gemeinsam mit dem jüngsten der drei Kinder noch einmal die Welt umsegelte.

Als wir am Ende des Gesprächs angekommen sind, hat es eingenachtet, und ich könnte nicht beschwören, dass der bewaldete Hügel im Nebel, den ich drei Stunden durch das Fenster betrachtet habe, nicht doch Fatu Hiva ist.

Text: Lukas Tremetsberger