Umberto Eco

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Ecos Narrative der Macht

Das Vermächtnis des Schriftstellers und Philosophen Umberto Eco, der heuer 90 geworden wäre.

Als Umberto Eco zehn Jahre alt war, gewann er 1942 den ersten Preis bei den "Ludi Juveniles", einem Pflichtwettbewerb für junge italienische Faschisten. Das vorgegebene Thema hatte gelautet: "Sollen wir für den Ruhm Mussolinis und die unsterbliche Bestimmung Italiens sterben?"

Der junge Umberto hatte die heroische Frage mit pflichtschuldiger und begeisterter Rhetorik bejaht. Ein Jahr später wurde Duce Benito Mussolini verhaftet, und Eco verbrachte die nächsten beiden Jahre "zwischen einander beschießenden SS-Männern, Mussolini-Faschisten und Partisanen". In dieser Zeit hatte er laut eigenen Angaben gelernt, den Kugeln aus dem Weg zu gehen.

Aristoteles' vergiftete Poetik

Die kritische Auseinandersetzung mit der Sprache der Macht, der Rhetorik des autoritären Machtanspruchs sollte den späteren Schriftsteller, Medienwissenschaftler und Semiotiker ein Leben lang begleiten: In seinem ersten, 1980 erschienenen Roman, "Der Name der Rose", der ihn über Nacht weltberühmt machte, beschäftigte sich der Autor mit der Frage, inwieweit das Lachen und die Komödie dem absolutistischen Machtanspruch der Kirche im Mittelalter zuwiderliefen.

Helmut Qualtinger in "Der Name der Rose"

Bücherbox im Ö1 Archiv

Der Name der Rose

Im Zentrum des Romans steht die kriminalistische Spurensuche in einer mittelalterlichen Benediktinerabtei im Jahre 1327. Der englische Franziskanerpater William von Baskerville wird dabei vom Abt der Benediktinerabtei gebeten, Morde an mehreren Mönchen des Klosters aufzuklären.

Bei den Untersuchungen stellt sich schließlich heraus, dass der blinde Bibliothekar Jorge von Burgos in der dortigen Bibliothek das womöglich einzig erhaltene Exemplar des zweiten Buchs der Poetik des Aristoteles vergiftet hat. Der greise Mönch hält die Poetik des Aristoteles über die Komödie, in der eine positive Einstellung zur Freude und zum Lachen propagiert wird, für derart gefährlich, dass er alle, die das Buch lesen möchten, und am Ende das Buch selbst am liebsten vernichten möchte.

Theorie als Basis

In seinen theoretischen Schriften wie "Das offene Kunstwerk" oder seiner "Theorie der Zeichen" hatte Eco zuvor die Grundlagen für seine schriftstellerische Arbeit gelegt. Ihm ging es bei seiner Konzeption darum, die Vielschichtigkeit der Interpretierbarkeit eines Kunstwerks gemäß den soziokulturellen Unterschieden zwischen den Rezipient/innen als offene Kommunikation zu definieren.

Auch in seiner Semiotiktheorie forderte Eco den Verzicht auf abstrakte und absolute Wahrheiten und stellte ihnen die Unendlichkeit der Interpretationsmöglichkeiten entgegen, verfüge doch jeder Mensch und alle potenziellen Leser/innen über ein enzyklopädisches Wissen, so chaotisch und fragmentarisch es auch sei.

1997: Umberto Eco vor dem Foucaultschen Pendel in der Kathedrale in Florenz.

AP/ FRANCESCO BELLINI

1997: Umberto Eco vor dem Foucaultschen Pendel in der Kathedrale in Florenz.

Irreale Verschwörungen

Ganz in diesem Sinne waren Eco auch geheime Wahrheiten und Narrationen von Geheimgesellschaften, wie sie in Verschwörungstheorien ausgebreitet werden, gleichermaßen suspekt. Die Fiktionalität solcher Theorien und die Beliebigkeit, mit der sich historische Tatsachen zu irrealen Verschwörungen umdichten lassen, thematisierte der italienische Universalgelehrte denn auch in Folgeromanen wie "Das Foucaultsche Pendel" oder "Der Friedhof in Prag". Gerade in Zeiten der um sich greifenden Coronaverschwörungstheorien ist Ecos Werk deswegen aktueller denn je.

Auch in seiner Gegnerschaft zu Berlusconis Populismus, der mit einer Verrohung der Sprache und dem Niedergang der pluralistischen Medienlandschaft einherging, verband der Medientheoretiker Eco seinen Widerstand gegen autoritäre Machtansprüche und sein Engagement für eine liberale Demokratie. Dem audiovisuellen Bombardement aus Fake News und Lügengeschichten aus dem Weg zu gehen hatte sich der Intellektuelle Umberto Eco nicht gestattet.

Text: Johannes Gelich

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