Alexander Kluge

MARKUS KIRCHGESSNER

Alexander Kluge

Kommt gestern morgen?

Ein Hörspiel zum 90. Geburtstag von Alexander Kluge.

Die Oper, sagt Kluge, imponiere ihm so sehr; der "Tempel der Ernsthaftigkeit". Wie er ins Schwärmen gerät, wächst noch im Anflug von scheinbar entrücktem Schmunzeln seine Präsenz, dem Ernst des Themas angemessen, und dies vor allem behutsam.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hat das Orchester der zerbombten Wiener Staatsoper der aussichtslosen Lage im eingekesselten Wien, im untergehenden "Tausendjährigen Reich", laut Befehl von dessen höchsten Stellen mit außergewöhnlichen Methoden der Ernsthaftigkeit zu begegnen. Eine Richterin versucht nach Kräften, einer Angeklagten deren tödlichen Schuss als legitimen Racheakt am Ehemann zu suggerieren; das Scheitern in diesem exemplarischen Setting spricht Bände, die Kluge vertieft mit kleinen Dialogen, mit dem Dünkel des Kulturjournalismus, der die Leibhaftigkeit der Aida im Interview in Zweifel zieht und der in anderer Gestalt den fünften Akt schon im ersten kennen will; und mit dem Produzenten, der Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" zum Bonmot radotiert.

Akustischer Eindruck seiner Techniken

Ö1 hat mit Regisseur Christian Lerch und Klangkünstler Stefan Weber nach einer Hörspielform für die Beobachtungen und Darstellungen Alexander Kluges gesucht. Mit dem Ergebnis wollen wir ihm zum 90. Geburtstag gratulieren und Ihnen einen akustischen Eindruck seiner Techniken und Erzählungen bieten.

"Musik macht keine Witze", spricht er in einer von zahlreichen Videoaufzeichnungen, die seiner Expertise Raum geben. Die gängigste Internetenzyklopädie führt Kluge als Filmemacher, Fernsehproduzenten, Schriftsteller, Drehbuchautor, bildenden Künstler, Philosophen und Rechtsanwalt an.

Seine Filmcollagen haben Köpfe verlockt

Unter den deutschen Intellektuellen ist er einer der vielseitigsten und formal wohl der interessanteste. In seiner Dialektik kann die Groteske zur Tragödie werden, und sogar den Witz lässt er uns, wenn Ernst auf Ernst trifft, in neuer Weite empfinden, durch Bewegtbild, mit und ohne Helge Schneider, und in Form von Buchstaben.

Namentlich seine Filmcollagen haben uns die Radioköpfe verlockt. Collagen können wir auch. Und die Oper - daran glauben nicht nur die zuständigen Kolleginnen in Ihrem Kultursender, Kluge schlägt es ebenso vor - ist, bei allem Ernst, auch ein Kraftwerk der Gefühle. Welch und was für eine Macht diese besäßen, lässt er 1983 in einem Episodenfilm anklingen.

Dokumentarfilmmaterial findet neben Dialogszenen Platz, Ausschnitte aus Spielfilmen greifen über Opernzitate hinweg, Kommentare und Zwischentitel stimmen ein und um. Kluges Episoden, so akkurat wie verspielt komponiert, belieben im Subtext, der erst in der Collage entsteht, zu uns zu sprechen. Wer die "Macht der Gefühle" in seinem Film erfahren will, ist nun angehalten, diesen konstruktiv zu betrachten. Der Zuschauer macht sich, wie üblich, seinen eigenen Film; hier wird es so verlangt.

Glück, wenn ein Knoten aufgeht

In Kluges Sinn ist die Beteiligung der Hörerin am Hörspiel ein aktives Herangehen, nicht zuletzt für einen Anschein vom eigenen emotionalen Geflecht; und womöglich für das Glück, wenn ein Knoten aufgeht.

Die Buchstaben wurden von Regina und Alina Fritsch, Evamaria Salcher und Sabine Haupt, Nancy Mensah-Offei, Anna Rieser und Till Firit zum Klingen gebracht. Und wenn daraus etwas zu lernen sein soll, dann eine Erkenntnis aus dem Klappentext zu "Chronik der Gefühle": "Zeit und Geschichte nehmen auf unsere Lebensläufe und -pläne, auf menschliches Maß bekanntlich keinerlei Rücksicht. Das macht die Gefühle rebellisch. Und das hat Folgen."

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