Mühle

APA/DPA/MARTIN SCHUTT

Tauziehen um neue ORF-Plattform

Die Mühen der digitalen Ebene

Wenn Elon Musk Twitter kauft, lohnt ein Blick nach Europa. Dort bilden öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ein starkes Gegengewicht zu kommerziellen Medien. Aber können sie im Netz mithalten? Der ORF baut sein Jahren an einer neuen multimedialen Plattform, die schrittweise ausgerollt wird. Der ORF hofft auf mehr Rechte im Netz, es wird gerade wieder heiß verhandelt. Eine Evolution, ein "Change Projekt", wird das, sagt der neue Zuständige Stefan Pollach im #doublecheck-Interview. Audio-Fans bekommen im Sommer "ORF Sound". Ein Blick nach Deutschland zeigt, was möglich sein könnte.

Die Möglichkeiten der Digitalisierung optimal zu nutzen, das ist auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ganz essenziell. In Österreich bestehen für den ORF aus politischen Gründen hier immer noch hohe gesetzliche Hürden. Online darf es im Wesentlichen nur sendungsbegleitende Angebote geben. Alles was darüber hinausgeht, wird von den Mitbewerbern – ob Verlage oder Privatsender – mit Argusaugen beobachtet und auch gern in Frage gestellt. Aktuell gehen die Verhandlungen über die seit Jahren verschleppte ORF-Digitalnovelle in die heiße Phase, die Zeitungsverband und der Privatsenderverband diktieren der Politik wie eh und je ihre Wünsche.

Wenn Milliardäre bestimmen, was wir lesen

Bevor man sich mit den Details dieser Mühen beschäftigt, lohnt ein Blick über den Tellerrand in die USA: Dort kauft gerade der reichste Mann der Welt, Elon Musk, den Kurznachrichtendienst Twitter - er fällt zwar mit angriffigen und untergriffigen Kommentaren auf, sagt aber gleichzeitig er wolle die Pressefreiheit hochhalten. Seine Gegner fürchten, dass Twitter nun mehr Hassrede zulassen wird. Aus Europa betrachtet mache das deutlich, wie wichtig ein starkes öffentlich-rechtliches Gegenangebot sei, sagt Leonhard Dobusch, Medienexperte der auch im deutschen ZDF-Fernsehrat sitzt und die öffentlich-rechtlichen Medien im deutschsprachigen Raum gut kennt. "Da kann nicht morgen ein Milliardär daherkommen und sagen: Ich übernehme jetzt den Laden. Das ist unmöglich und das ist gut so, weil das macht eben öffentlich-rechtliche Medien auch unabhängig von dem Wohl und Weh von Börsenkursen. Ich glaube, eine Gesellschaft ist besser dran, wenn es beides gibt, private Plattformen und öffentlich-rechtliche."

Leonhard Dobusch

Leonard Dobusch

INGO PERTRAMER

Die Algorithmen selbst bestimmen

Denn die Algorithmen der Privaten sind danach ausgerichtet, was Geld bringt. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die ja eine große mediale Reichweite haben, können in ihren Mediatheken aber nach eigenen Kriterien steuern, was ihr Publikum sieht, hört und liest. Diese Plattformen könne man dann eben auch nach eigenen Regeln gestalten und entscheiden: "Was wird empfohlen? Welche Algorithmen sind auf dieser Plattform relevant? Die folgen dann anderen Logiken, als der Aufmerksamkeits- und Click Optimierung auf den privaten Plattformen", sagt Dobusch. Das sei besonders wichtig in Zeiten von Desinformation und Hass im Netz - und daher wichtig für die Demokratie. Öffentlich-rechtliche Kernaufgabe also.

Die ORF-Plattform als "Veränderungsprojekt"

Der ORF arbeitet seit mehreren Jahren an einem neuen multimedialen Angebot. Haus-intern wird vom "ORF-Player" gesprochen. Angekündigt von Ex-Generaldirektor Alexander Wrabetz, der das schon 2018 als eine Art Super-Plattform für TV, Radio und Onlineangebote präsentiert hat - mit Bereichen für Information, Kultur, Kinder und Sport. So werde es aber vorerst nicht kommen, sagt Stefan Pollach, der das Player-Projekt erst kürzlich übernommen hat - von Roland Weißmann, der dafür zuständig war, bevor er Generaldirektor wurde. Pollach spricht nun lieber von einem "Change-Projekt", statt von einer großen Plattform: "Der Player ist in erster Linie mal ein großes Veränderungs-Projekt für den ORF mit dem Ziel, den ORF multimedial aufzustellen und die Plattform- adäquate Nutzung von ORF Inhalten sicherzustellen" sagt Pollach.

Das lange Warten aufs ORF-Gesetz

Als Beispiele nennt er die Weiterentwicklung der TVthek oder der ORF.at-Seite, wo nun mehr Video-Streams zu sehen sind, oder der Radiothek, über die man die Programme der Radiosender und Podcasts hören kann. Noch ist der ORF durch das ORF-Gesetz aber stark limitiert, seit Jahren wird über Änderungen in der Digitalnovelle verhandelt, die dem ORF im Internet mehr Rechte geben könnte – zum Beispiel, dass Sendungen länger als sieben Tage im Netz bleiben dürfen – oder, dass für das Internet eigene Formate entwickelt werden dürfen. Regierungswechsel und Krisen haben bei den Verhandlungen für Verzögerung gesorgt. Die Gespräche mit Politik und privaten Mitbewerbern sind gerade wieder in einer heißen Phase. Außerdem wird jede Neuerung wird von der Regulierungs- Behörde geprüft - und das kann Jahre dauern.

Die Veränderung kommt scheibchenweise

Nun hat die Behörde aber die neue Audiothek genehmigt, sie wird "ORF Sound" heißen - sowie "Topos" - das ist eine Plattform für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Religion - beide werden als App und online verfügbar sein und sollen jetzt an den Start, "ORF Sound" im Sommer, "Topos" danach, sagt Pollach. Es gehe nur Schritt für Schritt, Modul für Modul: "Natürlich weiß ich unsere Wünsche und natürlich bereiten wir uns darauf vor und denken weiter. Aber konkret umsetzen kann ich nur das, was jetzt genehmigt ist." Es wird also vorerst mehrere Apps geben. Viele Module, nicht eine Super-App.

"ORF Sound" kommt im Sommer

Wie die das neue "ORF Sound" Angebot aussehen wird, beschreibt ihr redaktioneller Leiter, Albert Malli: "Wenn du die ORF-Sound App aufmachst, hast du sofort die Möglichkeit alle Programme live zu hören und dann bist du sehr rasch in einer Auslage, die nach Themen geordnet ist. Du hättest sicher die wichtigsten Themen des Tages, zum Beispiel zu unerwarteten Tod von Willi Resetarits. Du wirst immer sehr weit oben die letzte Nachrichtensendung von Ö1, von Ö3, von FM4 von den Regionalradios vorfinden." Es soll auch vertiefende Informationen zu Sendungen geben. Ein kleines redaktionelles Team wird derzeit aufgebaut, dass die Inhalte für die Plattform aufbereiten wird. Er suche dafür nicht Radioredakteure, sondern Online-Journalistinnen und Journalisten, die ein Herz für Audio und Podcast haben, sagt Malli.

Kulturwandel im Radio

Themen, nicht Sender-Marken wie Ö1 oder Ö3 stehen auf "ORF Sound" erstmals im Vordergrund. Bisher pflegten die Radio-Sender ihre Marken und bewarben ihr Sendeschema. Über den neuen Zugang über Themen, sollen junge Userinnen und User angesprochen werden, die die ORF-Sender und ihre Programme vielleicht noch gar nicht kennen. Sie sollen sie auf "ORF-Sound" entdecken. "Die hören ein tolles Interview im 'Journal zu Gast' oder die hören ein tolles 'Journal-Panorama', aber die Sendung 'Journal-Panorama' kennen die nicht, aber der Inhalt war so fesselnd, dass sie womöglich über diesen Weg erkennen - Aha: Ö1, das kenne ich ja von früher. Die sind das - Das ist ein Riesen-Kulturwandel", sagt Malli.

Deutschland zeichnet den Weg: "Die Uhr tickt"

Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF zeigen längst, dass das beim Publikum gut ankommt - besonders erfolgreich ist die Jugendplattform FUNK, die es nur online gibt, und die mit ihren Videos stark bei jungen Menschen punktet. In Österreich ist so ein Angebot bisher nicht möglich. ARD und ZDF haben einen entscheidenden Vorsprung: Die haben seit Jahren die gesetzliche Freiheit, die dem ORF noch fehlt, sagt Medienexperte Leonhard Dobusch: "Ich glaube nicht, dass der Zug für den ORF im Internet bereits abgefahren ist. Das merkt man daran, dass der ORF in Österreich eine so starke Stellung hat, dass allein über die Inhalte, die der ORF immer haben wird, auch wenn es erst später losgeht, trotzdem immer noch stark genug sein wird, um auch digital eine Rolle zu spielen. Aber ich würde sagen, die Uhr tickt."

ARD-Mediathek punktet bei den Jungen

Die ARD-Mediathek, die das Video-Angebot der vielen deutschen Regionalsender bündelt, wird seit Jahresanfang von Sophie Burkhardt geleitet, sie hat FUNK mit aufgebaut und dort vor allem eines gelernt: Sich an dem zu orientieren, was die Nutzer und Nutzerinnen wollen. In der ARD habe die Mediathek nun einen großen Stellenwert. Das Publikum wähle zwischen Netflix, YouTube und der Mediathek. In dieser Konstellation müssen man möglichst gutes Angebot zu haben, "weil man dann einfach auch sonst untergeht". Die Zahlen sprechen für sich: Das Fernsehpublikum wird immer älter, wie auch in Österreich, aber die Mediathek punktet bei den Jungen: Konkret: Das ARD-TV Publikum sei zu 43 Prozent über 70 Jahre alt, sagt Burkhardt, während man in der Mediathek 29 Prozent 30 bis 49-Jährige habe, und 12 Prozent 14 bis 29-Jährige. "Da sind wir im Fernsehen weit davon entfernt."

"Change Projekt" in den Köpfen: Von Quote zu Views

Der größte Veränderungsprozess passiere aber in den Köpfen, sagt Burkhardt. "Im Digitalen müssen wir eben uns sehr viel stärker auch darum bemühen, Leute zu bekommen, Leute zu halten und Leute auch zu binden. Das ist, glaube ich, auch ein Kulturwandel und ein Wandel, auch in unserem Selbstverständnis, den wir als Institution durchmachen." Vor allem im Fernsehen geraten alte Erfolgsmodelle ins Wanken - statt einer Programm-Redaktionskonferenz gebe es nun Video-Konferenzen - Online inklusive. "Damit ist dieser Fokus auf das Fernsehen auch in gewisser Weise ein bisschen aufgelöst. Wenn man einen starken TV-Fokus hat, geht das ja auch immer damit einher, dass die TV-Quoten dann so eine große Rolle spielen. Wenn man das ergänzen kann durch eine andere Erfolgs Betrachtung, die eben auch was wert ist, dann glaube ich kann dieser Change gelingen", sagt Burkhardt. Der ORF ist auch auf dem Weg dorthin - in kleinen Schritten.

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