Der Sitzungssaal vor Beginn einer Sitzung des ORF-Stiftungsrates

APA/ROLAND SCHLAGER

ORF-Gremien

Sideletter-Affäre und keine Folgen

Bei der Besetzung des neuen ORF-Stiftungsrats, dem Aufsichtsgremium des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, folgt die Regierung alten Mustern. Als hätte es die Sideletter-Affäre um schwarz-grüne Nebenvereinbarungen zum Koalitionspakt nie gegeben: keine neuen personellen Akzente, um den Willen zur Stärkung der Unabhängigkeit des ORF zu betonen. Im Gegenteil: bei der Beschickung des Publikumsrates, den die ÖVP via Bundeskanzleramt dominiert, wurde überhaupt nicht repräsentativ vorgegangen, wie Kritiker bemängeln.

In der derzeitigen Zusammensetzung wird der Stiftungsrat noch bis Mitte Mai existieren, dann konstituiert er sich für die nächsten vier Jahre neu. Die Bundesregierung hat am Mittwoch die von ihr zu entsendenden Mitglieder fixiert, auch die Landesregierungen haben ihre Stiftungsräte großteils schon nominiert. Darunter keine Überraschungen, sieht man vom Burgenland ab: Die dortige SPÖ-Alleinregierung entsendet den Musikproduzenten und Komponisten Christian Kolonovits, der nicht dem roten Freundeskreis angehören wird, sondern sich als Unabhängiger vor allem für die junge Kultur einsetzen will, wie er sagt. Leicht sei ihm die Zusage nicht gefallen, so Kolonovits: "Also attraktiv ist das auf keinen Fall, da haben Sie recht." Die Frage war, warum er sich das antut, sich in die Fänge der Parteipolitik zu begeben.

Christian Kolonovits

Christian Kolonovits

APA/HERBERT NEUBAUER

Drei ÖVP, zwei Grüne plus den Vorsitzenden

Im Februar ist eine Nebenvereinbarung zum Koalitionspakt von ÖVP und Grünen zum ORF bekannt geworden, die Sideletter-Affäre hat über die Grenzen hinaus Wellen geschlagen. So haben die Regierungsparteien schriftlich festgehalten, wie die Besetzung der neuen Geschäftsführung - drei ÖVP, zwei Grüne - erfolgen wird und dass die Grünen im jetzt neu bestellten Stiftungsrat den Vorsitzenden stellen werden. Das sind Vereinbarungen, die dem Geist des Verfassungesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks klar widersprechen. Doch die Sideletter-Affäre ist kein Thema mehr.

"The same procedure as every year"

Eva Blimlinger, die Medien-Sprecherin der Grünen, sagt: "Die Unabhängigkeit ist aus unserer Sicht gestärkt und der Stiftungsrat, so wie er zusammengesetzt ist, sollte diese Unabhängigkeit garantieren und das wird er auch." Der Medienberater und langjährige Beobachter des ORF, Peter Plaikner, widerspricht heftig: "Das erinnert eher an den Sketch Dinner for One, die gleiche Prozedur zwar nicht wie jedes Jahr, aber wie alle vier Jahre." Gemeint ist die Verlautbarung der Mitglieder des Publikumsrates im Amtsblatt der Wiener Zeitung und der Beschluss des Ministerrats über die Stiftungsräte, die die Regierung entsendet.

Publikumsrat als leichte Beute der Kanzlerpartei

Der Publikumsrat hat praktisch keinerlei Kompetenzen. Für die Politik ist dieses Gremium nur interessant, weil es sechs Mitglieder in den wichtigen ORF-Stiftungsrat entsendet. Wer diese sechs Stiftungsratsmitglieder sind, das entscheidet das ÖVP-geführte Bundeskanzleramt im Alleingang. Die Medienministerin bestimmt laut Gesetz 17 der 30 Publikumsräte, das ist die Mehrheit. Und damit diese Mehrheit auch so abstimmt, wie die ÖVP das will, läuft die Nominierung so ab wie eh und je.

ÖVP-Verein toppt die Universitäten-Konferenz

Markantestes Beispiel: die Hochschulen werden von Professor Markus Hengstschläger vertreten, der von einem ÖVP-Verein vorgeschlagen worden ist. Die Universitäten-Konferenz hat Nikolaus Forgó nominiert, international versierter Experte für Recht und Informationstechnologie – der hatte das Nachsehen. Und so zieht sich das durch. Die Schüler werden von der ÖVP-Landjugend vertreten, der Sport vom Kurz-Unterstützer und ÖVP-Koalitionsverhandler Michael Walchhofer, die Kunst vom Vertreter des Bildungszentrums der Landwirtschaftskammer Steiermark.

Dem Rundfunkrechts-Experten Hans Peter Lehofer fehlt jegliche Repräsentativität und jedes politische Gespür: "Es ist ja nicht so, dass man gegen einzelne Personen Vorbehalte hat, und es ist logisch, dass in dem Bereich, wo gesellschaftliche Gruppen relevant sind, natürlich auch politische Nähe besteht. Aber es sollte insgesamt doch repräsentativ sein. Und da kommt mir schon vor, dass hier eine deutliche Unter-Repräsentierung von verschiedenen Gruppen gegeben ist."

Ein paar Neuzugänge, aber keine personellen Signale

Neu im Stiftungsrat ist etwa Hildegard Aichberger, Chefin der Ökostrom AG mit ORF-Erfahrung. Peter Plaikner zu diesem grünen Neuzugang: "Ich sehe das noch nicht als Signal. Der von den NEOS entsandte Wolf Lotter, bringt zugleich mehr Wirtschaft und Medien-Expertise in den Publikumsrat. Der neue Tiroler Stiftungsrat Stefan Kröll vereint Medien, PR und Tourismus-Kompetenz. Ob das reicht für mehr Unabhängigkeit, werden erst die Abstimmungen zeigen. Ich bin da eher skeptisch." Über einen neuen Generaldirektor wird dieser neue Stiftungsrat voraussichtlich nicht zu entscheiden haben, die Funktionsperiode ist kürzer als jene von Roland Weißmann, der seit Jänner den ORF führt.

Auch ein Kolonovits macht noch keinen Kulturwandel

Die Feuertaufe könnte Christian Kolonovits also erspart bleiben. Der bekennende Burgenland-Kroate wird den kleinen SPÖ-Freundeskreis jedenfalls noch kleiner machen. "Ich muss mich niemanden anschließen, wenn, dann schließe ich mich gerne einer Minderheit an, das bin ich so gewohnt aus meiner Kultur heraus. Aber ich lasse mich ungern ködern und das ist ja auch nicht unbedingt etwas Kreatives, dafür bin ich da nicht reingegangen." Für den Medienberater Peter Plaikner macht aber auch diese Schwalbe keinen Sommer: "Bis zum Beweis des Gegenteils sehe ich das erst als Kosmetik durch einen populären Namen. Was die Ansage, keinem Freundeskreis beizutreten, wert ist, wird man auch erst bei den tatsächlichen Abstimmungen sehen. Positiv ist aber auf jeden Fall die Stärkung der im Stiftungsrat bisher überhaupt nicht repräsentierten Kulturschaffenden."

Thomas Zach

Thomas Zach

APA/HERBERT NEUBAUER

ÖVP-Mastermind Zach hat weiter die Fäden in der Hand

Die Fäden im Stiftungsrat hält weiterhin Thomas Zach in der Hand, er ist der Leiter des ÖVP-Freundeskreises und Herr über eine absolute Mehrheit der Kanzlerpartei in dem Gremium. Zach gilt als Macher von Roland Weißmann, der bei der Wahl im August des Vorjahres den Langzeit-Generaldirektor Alexander Wrabetz man möchte sagen: vom Thron gestoßen hat. Zach gibt nicht gern Interviews, auch uns hat er wieder eine Absage erteilt. Sein Gegenüber ist Lothar Lockl, der Leiter des grünen Freundeskreises. Er ist die logische Besetzung für den Vorsitz im Stiftungsrat, den zuletzt der FPÖ-Mann Norbert Steger innegehabt hat.

Grüner Lockl als medialer Wackelkandidat

Doch Lockl ist durch die Diskussion über den Sideletter und Vorwürfe, weil er mit seiner Kommunikationsagentur unter anderem für das grün geführte Klimaschutzministerium arbeitet, medial zum Wackelkandidaten erklärt worden. Der "Standard" hat die neue Grün-Stiftungsrätin Hildegard Aichberger als mögliche Vorsitzende ins Spiel gebracht. Aichberger sagt gegenüber #doublecheck, dass sie das nicht anstrebe. Vom Publikumsrat in den Stiftungsrat wechsle sie deshalb, weil ihr der ORF am Herzen liege und sie hoffe, im wichtigsten Gremium mehr bewirken zu können.

Lothar Lockl wollte kein Interview geben. Aber es deutet derzeit nichts darauf hin, dass er den Vorsitz nicht übernehmen wird. Lockl ist ja einer der Väter des Sieges von Alexander Van der Bellen bei der Hofburg-Wahl 2016, und der Bundespräsident wird vor dem Sommer wohl seine Wiederkandidatur bekanntgeben. Die Kampagne wird, sofern der ORF-Stiftungsrats-Vorsitzende dann Lockl heißt, ohne diesen ablaufen. Wegen klarer Unvereinbarkeit, wie es heißt.

Lothar Lockl

Lothar Lockl

APA/GEORG HOCHMUTH

Großes Unbehagen, aber ÖVP blockiert Gremienreform

Das Unbehagen mit den ORF-Gremien bleibt. Auch bei den Grünen. Eva Blimlinger drängt seit Jahr und Tag auf eine Gremienreform: "Sie wissen, dass die ÖVP daran nicht interessiert ist, was angesichts des Umstands, dass sie die absolute Mehrheit haben, leider nachvollziehbar ist, muss man sagen. Das würde keine Partei machen, egal welche." Eine bemerkenswerte Verallgemeinerung, die die Grünen selbst nicht ausschließt. Das Argument der absoluten Mehrheit der ÖVP im Stiftungsrat bringen Blimlinger & Co. immer dann, wenn sie sich der Kanzlerpartei wieder einmal beugen haben müssen.

"Massive Intervention der Zivilgesellschaft nötig"

Auch die Existenz des Sideletters wird mit der Übermacht der ÖVP begründet, die die Grünen mit Deals zähmen wollen, weil ein Gesetz nicht geht. Peter Plaikner sieht einen anderen Hebel: "Dazu braucht es aber wahrscheinlich eine massive Intervention der Zivilgesellschaft. Aus meiner Sicht braucht es vor allem im Stiftungsrat mehr Parteiferne und mehr internationale Medien Expertise." Stichwort: Rundfunkvolksbegehren. Aber ein wuchtvolles solches ist nicht in Sicht.

Deutsches Verfassungsgericht verordnete Staatsferne

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht hier viel bewirkt, erzählt Stefan Raue, Intendant des öffentlich-rechtlichen Deutschlandradios: "Da ist der Einfluss des Staates - auch unter irgendwelchen anderen Funktionsbezeichnungen - sehr stark zurückgeschraubt worden. Das ist auch durchexerziert worden in allen Staatsverträgen für die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland. So ist es durch das Verfassungsgericht zu einer deutlichen Entspannung der Situation gekommen." Eine leise Hoffnung in dieser Richtung gibt es auch in Österreich.

Ist die Regelung im ORF-Gesetz gar verfassungswidrig?

ZIB2-Anchor Armin Wolf hat einen von Verfassungsgerichtshofs-Präsident Christoph Grabenwarter verfassten Kommentar ausgegraben, der die Rundfunkfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention behandelt. Diese ist Teil unserer Verfassung, und Grabenwarter schreibt über die Leitungs- und Aufsichtsgremien von öffentlich-rechtlichen Sendern: "Herrscht in den Organen eine zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungsparteien, wird Artikel 10 EMRK verletzt." Das ORF-Gesetz wäre demnach verfassungswidrig, weil es der Regierung automatisch zur Mehrheit in den Gremien verhilft.

Die Medienministerin hat daraufhin den Verfassungsdienst aufgeboten, der das anders sieht. Ein auffallend schweres Geschütz. Ob das ORF-Gesetz verfassungswidrig ist, das kann nur der Verfassungsgerichtshof prüfen. Die Prüfung müsste wiederum ein Drittel der Nationalratsabgeordneten oder eine Landes-Regierung verlangen. Armin Wolf bringt es in seinem Blog auf den Punkt: "Der übergroße Einfluss der Politik auf den ORF müsste also ausgerechnet von Politikerinnen und Politikern bekämpft werden."

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