Halle des Halbleiterkonzerns Infineon in Villach

APA/INFINEON AUSTRIA

Matrix | 17 06 2022

Europas Antwort auf Mikrochip-Mangel

Wie sehr wir von Mikrochips abhängig sind, hat uns die Chipkrise während der Pandemie gezeigt. Vor allem Autohersteller mussten mangels Nachschub Produktionsstraßen einstellen. Und noch immer werden weniger Halbleiter produziert, als die Welt benötigen würde.

Denn unser Alltag ist durchsetzt mit Mikroelektronik. In jedem Ladegerät sitzt ein Mikroprozessor, in jedem Handy und fast jedem Kinderspielzeug. Die hochkomplexen Mini-Schaltkreise steuern Motoren genauso wie Ampelanlagen oder Waschmaschinen.

Europa antwortet auf den Mangel an Mikrochips mit dem European Chips Act, der einen Teil der Mikrochip-Produktion wieder nach Europa zurückholen will. Damit soll der europäische Weltmarktanteil an der Microchip-Produktion auf 20 Prozent gesteigert werden.

Chip-Treiber Elektromobilität

In dem Villacher Werk von Infineon, Europas größtem Mikrochip-Produzenten, arbeiten rund 4.000 seiner weltweit 50.000 Mitarbeiter:innen. Infineon ist trotz Problemen relativ gut durch die Krise gekommen, sagt die Infineon-Österreich Vorstandsvorsitzende Sabine Herlitschka. Weniger gut ging es Autobauern wie BMW oder VW und großen Zulieferern wie Hella. Die mussten teilweise die Produktion einschränken. Allein in einem klassischen Auto mit Verbrennungsmotor stecken Mikrochips im Wert von rund 400 Euro, bei E-Mobilen machen sie schon 800 Euro aus.

Corona als Chipfresser und Digitalisierungsschub

Dass um 2019/ 2020 herum die Chipwelt aus den Fugen geriet, hat weniger mit Rohstoffproblemen zu tun als vielmehr mit einer geänderten Nachfrage. „Kurz vor der Pandemie ist im Autobereich ganz massiv angekommen, dass die Transformation Richtung Elektromobilität markant wird und entsprechend ist die Nachfrage im Autobereich dann deutlich gesunken“, so Herlitschka. Corona löste wiederum einen Schub bei der Digitalisierung in der Breite aus. Homeoffice und Homeschooling führten zu einem großen Bedarf an Computerchips für Laptops, Router etc. Als die Autobauer erkannten, dass die E-Mobilität schneller kommt als erwartet, hatten die Chip-Hersteller ihre Kapazitäten bereits auf den Bereich Computer, Smartphone oder Unterhaltung verlagert.

Weltmarktführer sind Intel (79 Mrd. Dollar Umsatz im Jahr 2021) und Samsung. Dahinter kommt mit einem Umsatz von 45 Milliarden Dollar der größte Auftrags-Chiphersteller, die taiwanesische Firma TSMC. Infineon belegt auf dieser Liste mit elf Milliarden Dollar Umsatz Rang zehn.

Kostbares Gas für die Halbleiter-Produktion

Zuletzt gab es etwa Probleme mit dem Edelgas Neon. Zwei der wichtigsten Produktionsfirmen haben ihren Sitz in der Ukraine. Aber durch gute Lagerhaltung seien solche Engpässe kurzfristig beherrschbar, sagt der Infineon-Vorstand für Operations, Thomas Reisinger.

Chipmangel wird andauern

Nicht so schnell lösbar ist hingegen der Chipmangel in Europa, so Colette Maloney von der Europäischen Kommission. Im Gegenteil rechnet man für 2030 mit einem doppelt so hohen Mikrochip-Bedarf wie heute. „Wir sehen, wie stark die Wirkung der Krise auf die europäische Wirtschaft ist. Das hat zu großen Einbußen in der verarbeitenden Industrie und sogar zu Fabrikschließungen geführt. Halbleiter sind für unsere Zukunft lebensnotwendig. Die Krise hat uns die Augen geöffnet.“

Technologie-Souveränität nach Europa zurückholen

Jahrzehntelang hat Europa zentrale Technologien aufgegeben, vorwiegend nach Asien verlagert und sich damit wirtschaftlich ausgeliefert. Nun scheint es kehrt machen zu wollen. Ein erster Schritt ist der European Chips Act, mit dem es einen Weltmarktanteil von derzeit acht Prozent in der Microchip Produktion bis 2030 auf 20 Prozent ausbauen will. Dafür sollen nach jetzigem Stand 43 Milliarden Euro an öffentlichem und privatem Geld mobilisiert werden.

Das Ziel ist für Sabine Herlitschka gleichermaßen gut wie ambitioniert. „Von den 20 größten Halbleiter-Unternehmen werden drei aus Europa heraus gesteuert, und allein aus dem heraus sieht man, wie abhängig wir sind. Diese drei Unternehmen sind nicht die größten. Gott sei Dank ist es jetzt viel stärker im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit, dass wir bei systemrelevanten Technologien zentrale Kompetenzen auch in Europa haben sollten. Und die Mikroelektronik ist so eine Industrie.“

Der schwierige Weg zum 20 Prozent-Ziel

Ein Spaziergang wird die Erfüllung des Chips Act, der derzeit noch verhandelt wird, allerdings nicht werden. Einerseits fehlen Arbeitskräfte und Spezialisten, andererseits auch Knowhow, etwa im Bereich der sehr stark miniaturisierten Chips. Wenn der Bedarf 2030 doppelt so hoch ist wie heute, muss Europa seine Produktion außerdem mindestens vervierfachen, um sein 20 Prozent-Ziel zu erreichen. Und Mikrochip-Fabriken stellt man nicht einfach so auf die Wiese, bemerkt Thomas Reisinger. Bis die Anlage einsatzbereit ist, kann es mehrere Jahre dauern. Da momentan zudem alle Chiphersteller ausbauen, sei es auch schwierig, kurzfristig Hersteller von Reinräumen zu bekommen.

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