Wasserwirbel

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Fellner im Strudel von #MeToo

Wie sehr haben Wolfgang Fellner die Prozesse rund um die Vorwürfe der sexuellen Belästigung geschadet? Vor einem Jahr steht er erstmals mit seinem Namen in der Öffentlichkeit. Seitdem gab es Dutzende Klagen, Fellner verliert einen Prozess nach der anderen. Die Opfer warten auf eine Entschuldigung. Ihr Anwalt macht sie zur Bedingung. Die Verfahren sind wegweisend für andere Opfer.

Wolfgang Fellner

Wolfgang Fellner und Anwalt

APA/HERBERT NEUBAUER

Hätte Wolfgang Fellner seine "oe24"-Moderatorin Raphaela Scharf nicht rausgeworfen, wäre die Sache wohl nie so groß geworden. So ist aber der erste große #MeToo Fall in Österreich ins Rollen gekommen. Im Frühjahr 2021 gelangt der Fall an die Öffentlichkeit. Viele Medien, auch wir, berichteten anfangs, es gehe um einen "bekannten Medienmacher“. Zu groß war die Sorge, Fellner könnte klagen und in seinen Medien kampagnisieren. Dann ändert sich alles, Fellner wird von der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit“ erstmals mit Namen genannt. Ein Dammbruch. Die Moderatorin Scharf wirft ihrem Chef Wolfgang Fellner sexuelle Belästigung vor. Er wirft sie hinaus und klagt sie auf Unterlassung, dass sie das nicht behaupten dürfe. Er blitzt mit der Klage ab.

Raphaela Scharf und das bittere Ende

Raphaela Scharf klagt auch gegen die Entlassung. Sie erzählt vor dem Wiener Arbeits- und Sozialgericht von einem Pro-Grapscher bei einem Fotoshooting 2019 durch Wolfgang Fellner. Detailreich muss sie der Richterin schildern: Welche Po-Backe war es, wie genau war die Hand auf dem Po - und ob es geklatscht hat. Nach drei Jahren Stress und vielen Gerichtsterminen vergleicht sich Scharf dann ein Jahr später mit Fellner - arbeiten will sie dort ohnehin nie wieder. Sie bekommt 65.000 Euro Schadenersatz. "Ich habe immer gesagt, ich gehe bis zum bitteren Ende. Und nach drei Jahren, wo ich sämtliche Urteile erwirkt habe, ist das jetzt für mich das bittere Ende.“

Wolfgang Fellner und Raphaela Scharf (im Hintergrund).

Wolfgang Fellner und Raphaela Scharf (im Hintergrund).

APA/HERBERT NEUBAUER

"Sehe mich als Galionsfigur und Wegweiserin"

Das alles für eine "großartige Sache“, wie Scharf sagt. Weil sie diesen Stein ins Rollen gebracht habe, das sei das Gute an all dem Schlechten. Ein harter Kampf, der sich gelohnt habe: "Ich sehe mich als Wegweiserin und als Galionsfigur wenn es um #MeToo geht. Ich habe gewisse Dinge aufgezeigt in diesem Unternehmen, und zwei andere Frauen haben sich öffentlich angeschlossen. Ich hoffe sehr, dass ich anderen Frauen dadurch Mut machen konnte.“

Katia Wagner wartet auf Entschuldigung im TV

Weiterkämpfen will Katia Wagner. Auch sie wirft Fellner sexuelle Belästigung vor. Er wiederum wirft ihr vor, alles sei frei erfunden. Bis eine geheime Tonaufnahme beweist, wie Fellner ihr bei einem Abendessen Folgendes sagt: "Also erstens, ich liebe dich, nur dass das klar ist. Ja, ich hoffe, das wird gewürdigt und erwidert. Was hast heute schon wieder für ein Kleid an? Megafesch! Soll ich hinten reinschauen? Soll ich einmal kurz aufzippen?“ Fellner wird daraufhin zu einer Geldstrafe von 120.000 Euro verurteilt, 30.000 unbedingt.

In einem Interview auf seinem Sender spricht Fellner von einem Racheakt und wirft Wagner vor zu lügen. Das lässt die Moderatorin nicht auf sich sitzen: "Ich mache so lange weiter, bis er sich bei mir und bei allen anderen Opfern entschuldigt. Und das öffentlich. Ein Fernsehauftritt würde mich glücklich stimmen und eine schöne Berichterstattung, was wirklich Sache ist und wie sehr es ihm leid tut und dass er ein bisschen Reue zeigt. Solange er das nicht macht, werde ich nicht aufhören."

Anwalt sieht die Entschuldigung als Bedingung

Vertreten werden Wagner und Scharf durch Rechtsanwalt Michael Rami. Er macht die Entschuldigung zur Bedingung: "Das wäre ein erster wichtiger Schritt. Dann könnte man weiterreden über eine allfällige Bereinigung. Aber eine Entschuldigung ist das Mindeste, was er seinen Opfern schuldig ist“, sagt Rami. 48 Klagen führe er insgesamt, es gehe nicht nur um die sexuelle Belästigung, sondern auch um Unterlassung und Rufschädigung, weil Fellner den Frauen vorwirft zu lügen. Rami erwirkt zahlreiche Widerrufe, die Fellner in seinen Medien veröffentlichen muss.

"Wir haben praktisch alles gewonnen"

Je mehr Fellner poltert, desto mehr Klagen folgen, sagt Rami und betont, er habe bisher "praktisch alles gewonnen". Einige Fälle seien noch offen. Fünf Frauen seien aktenkundig, die bekanntgegeben haben, dass Fellner sie belästigt habe. Weitere Frauen hätten ihn kontaktiert, wollen aber nicht an die Öffentlichkeit, sagt Rami. Er vertritt drei Frauen. Die vielen Prozesse haben Fellner nach Angaben von Rami bisher schon 300.000 Euro gekostet - an Schadenersatz und Geldbuße. Noch nicht alles rechtkräftig.

Ein Feldzug der „Kronen Zeitung“ gegen Fellner?

Wolfgang Fellner wittert hinter den Prozessen einen Feldzug seines Hauptkonkurrenten "Kronen Zeitung" gegen ihn. Denn Katia Wagner und Raphaela Scharf arbeiten jetzt dort, ihr Anwalt Michael Rami vertritt auch die "Krone". Rami sagt zu den Vorwürfen, das sei "eine letzte verzweifelte Verteidigungsargumentation“, die Vorfälle von Scharf und Wagner seien lange vor ihrem Engagement bei der "Krone“ passiert und die drei anderen Frauen hätten mit der "Krone“ gar nichts zu tun.

Auch Vorwürfe gegen die "Krone" hat Rami geklagt und in einigen Fällen rechtskräftig gewonnen. Fellner muss Schadenersatz zahlen. "Ich führe keine persönliche Vendetta“, sagt Michael Rami, er wolle den Frauen nur zu ihrem Recht verhelfen. Allerdings bezahlt die "Krone" die Prozesskosten für Wagner und Scharf, bestätigt Rami. Das passt in die Argumentation von Wolfgang Fellner. Eine Ausnahme gibt es: Die Entlassungsklage im Fall Scharf hat deren Rechtsschutzversicherung bezahlt.

Festung Newsroom: Einblicke unerwünscht

Ob sich nach all diesen Fällen in der Redaktion etwas verändert hat? Das ist schwer zu recherchieren. Viele Journalisten und Journalistinnen haben Job gewechselt. Recherchen unter seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wertet Wolfgang Fellner als unerlaubte Einmischung. So führte der Anruf bei einer Person, die #doublecheck als mögliches weiteres Opfer genannt wurde, zu Verwicklungen. Ähnlich ist es einem Kollegen vom "Standard" gegangen, auch ihm wollte Fellner das Nachfragen bei seinen Mitarbeitern untersagen - eine entsprechende Klage hat er schließlich zurückgezogen.

„Es ist dort zwischen Genie und Wahnsinn“

Tanja Pfaffeneder hat bis vor einem Jahr bei Fellner gearbeitet und moderiert jetzt bei der Online-Plattform Exxpress von Richard Schmitt. Sie sei nicht belästigt worden, sagt sie und erzählt von einer harten Schule, großem Druck und einem Klima zwischen Bewunderung und Angst, weshalb viele den Job wechseln würden. "Wenn irgendein neues Medium aufpoppt, gehen viele und schauen, dass sie wegkommen. Viele Kollegen sind aber auch zurückgekommen. Es ist dort halt so zwischen Genie und Wahnsinn gleichzeitig.“

Prozesse, die Wege für andere Frauen ebnen

Und was bleibt von den vielen Kämpfen vor Gericht? Viel Erfahrung. Denn nun gebe es viele Fälle, auf die sich andere Opfer berufen können, sagt Sandra Konstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Sie spricht von einem Durchbruch, dass den Frauen geglaubt wurde und sie ihre Fälle gewonnen haben. Die Urteile würden nun für andere Opfer die Verfahren erleichtern und beschleunigen. Die Diskussion über die Fälle habe auch deutlich gemacht, dass man auf die Strukturen dahinter schauen müsse. Konstatzky spricht von einer "Kultur von Machtmissbrauch und partriarchal toxischer männlicher Vorherrschaft“. Sexuelle Belästigung müsse als Machtübergriff verstanden werden. Wenn sie toleriert werden, werden sie legitimiert, sagt sie. Diese Strukturen gelte es aufzubrechen. Durch Trainings und die breite öffentliche Debatte.

Geheimer Mitschnitt bei Promi-Übergriffen erlaubt

Vor allem ein Urteil des Wiener Landesgerichts im Fall Katia Wagner hat vor kurzem aufhorchen lassen: Geheime Tonaufnahmen seien im Ausnahmefall erlaubt, weil das Opfer den Übergriff nicht anders beweisen könne, wenn Aussage gegen Aussage steht, entschied der Richter. Rami spricht von einem Meilenstein. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Fellner kann noch Berufung einlegen. Es hat auch einen Haken: Die Ausnahme gilt nur, wenn es sich um eine mächtige bekannte Person in der Öffentlichkeit handelt. Wenn die Person nicht bekannt ist, hilft das den Opfern nicht. Die Tonaufnahmen bleiben verboten. Also nur ein erster, wenn auch wichtiger Schritt, sagt Konstatzky.

Mehr Feingefühl bei Gericht statt "Eislutscher"

Vom Wegschauen und vom Relativieren erzählt auch Raphaela Scharf. Nicht nur im Fellner-Newsroom. Als sie der Richterin vom Po-Grapschen beim Fotoshooting und weiteren Belästigungen erzählt, wird sie gefragt, warum sie nicht gekündigt habe. Sie wisse doch, wie es bei Fellner zugehe. Als sie dann von ihrem Traumjob spricht und dass sie einfach nur ohne Fellner an ihrer Seite moderieren wolle, sagt die Richterin, sie träume wohl von "warmen Eislutschern". Scharf sagt: "Ich würde mir wünschen, dass man mit den Opfern sensibler umgeht." Ob sie auch eine Entschuldigung von Wolfgang Fellner will? "Das wäre mir schon wichtig. Aber ich würde mich sehr wundern, wenn er das macht.“

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